Einführung, V
Text zum Thema Allzu Menschliches
von bluedotexec
James Furtado, vor acht Jahren, drei Tage nach dem Mord, 08:50 Uhr
Das Telefon klingelt. Ich stehe noch unter der Dusche und genieße, wie mich das Wasser langsam aufweckt. Die Trägheit des Morgens wird verdrängt von dem Gedanken an einen heißen Kaffee, den meine Frau schon in der Küche zubereitet. Ich weiß, sobald ich das Wasser abstelle, kann ich den Duft wahrnehmen, und ich beginne, mich darauf zu freuen. Sie nimmt den Hörer ab und kommt kurz darauf zu mir ins Bad.
„James? Der Coroner hat angerufen. Er meint, du sollst heute früh sofort ins analytische Labor kommen, noch bevor du dich an den Schreibtisch setzt.“
„Na, da wird mein Chef aber gar nicht begeistert sein.“ Sage ich grinsend zu den Fliesen.
„Der hat schon das Okay gegeben.“
Dann muss es wirklich wichtig sein.
„Dann muss es wirklich wichtig sein.“
Sie spricht wieder in den Hörer: „Er wird in einer halben Stunde bei Ihnen auf der Matte stehen.“ Eine Pause. „Ja, das wünsche ich Ihnen auch. Auf Wiederhören.“
Ich trockne mich ab, und sie drückt mir einen Kuss auf die Wange.
„James, du siehst heute morgen fantastisch aus.“
Ich betrachte sie im Spiegel. Sie ist wunderschön. Der beste Friseur für eine Frau ist das Bett, denke ich, während mein Blick über die Woge blonden Haars gleitet, dass zerzaust auf ihren Schultern liegt. Vermutlich sieht sie das anders, aber für mich ist es die Wahrheit. Sie trägt meinen Morgenmantel, auch das ist eine weitere Spitze für meine Libido.
„Ich liebe dich.“
„Ich liebe dich auch, James. Komm' heil wieder zurück.“ Nach diesem allmorgendlichen Ritual verschwindet sie wieder im Schlafzimmer.
Der Kaffee in der Küche steht schon in einer Thermo-Tasse bereit. Ich richte meine Krawatte, das Schulterholster und die Gürtelschnalle ein letztes Mal, dann verlasse ich das Haus.
Der Highway ist zu meiden, denke ich lächelnd, und fahre die Hauptstraße entlang. Noch ist der Verkehr zu ertragen, es geht gut voran, doch innerlich bin ich schon auf der Arbeit. Es kommt selten genug vor, dass die Detectives gleich zum Anfang ihrer Schicht ins Labor gerufen werden, und meist gibt es auch einen spektakulären Grund dafür. Das letzte Mal ist mir im Gedächtnis geblieben – ein Brandanschlag auf ein Mehrfamilienhaus in der Bronx. In den Trümmern wurden verschiedene, zerstörte Gefäße gefunden, die verschiedene Sprengstoffe enthielten, doch es gab keine Anzeichen für eine Explosion. Es stellte sich heraus, dass in dem Haus eine Gruppe Mafia-Angehöriger lebten, die ein Bombenattentat geplant hatten, doch eine andere Famiglia ist ihnen wohl zuvor gekommen, nicht ganz so, wie sie es geplant hatten. Obwohl drei Menschen im Feuer ihr Leben ließen, hatte der Fall so noch eine humoristische Komponente.
Ich erreiche das Präsidium, der Parkplatz ist voll, alles wie immer. Während ich das Treppenhaus aufwärts laufe, kommt mir der Polizeipsychologe Dr. Taylor Perlmutter entgegen.
„Guten Morgen, James.“ Ich bleibe kurz stehen. Perlmutter betreut im Moment Matthew.
„Morgen, Doktor.“ Ich zögere einen Moment, und wir stehen uns schweigend auf der Wendeltreppe gegenüber. „Wie läuft's?“ Sage ich dann.
„Wir sind erst seit zwei Tagen dabei.“ Sagt er und rückt sich die randlose eckige Brille zurecht. „Ich kann Ihnen nicht viel sagen, Sie wissen ja...“ Er überlegt einen Moment, was er mir sagen kann. „Nicht gut. Aber wie soll sowas auch gut laufen? Sie waren vor Ort. Ich habe die Akte gelesen. Ich habe die Fotos gesehen.“
Wir schweigen. Kein Wunder, was soll man auch sagen? Es gibt keine Worte für die Dinge, die niemand je auszusprechen gewagt hat.
„Na ja. Ich muss weiter. Wir sehen uns, denke ich.“ Er gibt mir in seiner umständlichen, distanzierten Art die Hand und verschwindet dann in kleinen Kreisen abwärts.
Das Labor ist im vierten Stock, und der Leichenbeschauer wartet vor der Tür.
„Guten Morgen. Sollen wir gleich anfangen?“ Er trägt seinen Kittel. Diesmal kann ich seinen Namen nicht vergessen.
„Doktor Lockwood. Ja, wieso nicht.“ Ich nippe an meinem Kaffee. „Worum geht es?“
„Um den Mellencamp-Fall. Und auch die Sache mit dem Junkie von gestern.“
„Es gibt eine Verbindung?“
„Das können sie laut sagen.“ Er öffnet die Tür zum Labor, indem er sie hinter seinem Rücken mit dem Fuß aufschiebt.
„Doktor Rainwater hat die Blutuntersuchungen der Körper vorgenommen und bei den chromatografischen Messungen einige Substanzen entdeckt, die sich nicht identifizieren lassen.“
Ein älterer Herr tritt vor. Wenn ich jemandem, der keine Ahnung davon hätte, erklären müsste, was ein Großvater ist, ich täte es anhand eines Fotos von diesem Mann. Doktor Rainwater wäre ein Schwiegervater, der mich tatsächlich überreden könnte, Kinder zu bekommen, einfach weil er ein vollkommenes Bild mit seinen Enkeln abgeben würde.
„Im Regelfall fällt ein geringer Teil der Probe durch das Raster. Wir finden viel Wasser – keine große Überraschung -, viele Spurenelemente, Salze, das ganze Programm. Allerdings hat mich Doktor Lockwood informiert, dass der Schnelltest am Fundort der Leichen positiv auf fast alles ausfiel. Deswegen habe ich versucht, die Substanzen zu isolieren.“
Er greift nach einem Klemmbrett von einem der Labortische. „Da hätten wir Ephedrin und Methylendioxy-Methamphetamin, das Sie vermutlich als Ecstasy kennen.“
„Ihr Chemiker habt eine ganz eigene Form von Arroganz entwickelt, oder?“ Sage ich trocken.
Er sieht nicht einmal von seinem Klemmbrett auf. „Ach ja? Ich habe einen Studienfreund, der Physiker ist. Sie müssten den einmal treffen.“
„Ein Grundverständnis für das Universum und alles darin?“
„So würde er es ausdrücken. Weiter im Text. Ich habe außerdem Lysergsäurediethylamid gefunden, das ist...“
„LSD-25.“
„Ja. In Anbetracht des Todeszeitpunkts, den Doktor Lockwood festgestellt hat, lässt sich sagen, dass, sofern die Blutversorgung der Leber bis zum Ende intakt war, eine ziemlich große Menge der Droge verabreicht wurde."
"Wieso der Leber?"
"Weil für den Todeszeitpunkt die Temperatur der Leber ausschlaggebend ist. Wir können uns auch um einige Stunden irren, wenn die Blutversorgung der Leber nicht gewährleistet war." Erklärt mir Dr. Lockwood.
"Zumindest ist das Doktor Shockleys Meinung.“ Fügt der Chemiker dann noch hinzu.
Ich kenne Dr. Shockley. Ich kenne auch die legendären Wettstreite, die wöchentlich im Labor entbrennen. Es ist bemerkenswert: Die beiden Doktoren bekommen Montags eine Aufgabe, die mindestens vier Tage in Anspruch nimmt, und am Ende des Tages sind sie damit beschäftigt, sich gegenseitig anzuschreien. Und Dienstag Mittag kommt einer der wenigen Laborassistenten, die es mit den beiden aushalten, zu uns herunter und sagt, die Aufgabe wäre erledigt. Dann streiten sie schon über die nächste Aufgabe, und es wird bis Freitag immer schlimmer. Wenn man aber mit ihnen in einem Raum ist, geben sie sich alle Mühe, freundlich zu sein, und ich kann mir die beiden auch gut vorstellen, wie sie nach Feierabend alle Streitigkeiten vergessen und gemeinsam ein Bier trinken gehen.
Doktor Shockley ist im Moment jedoch nicht im Labor.
Ich seufze. „Und was ist Ihre Meinung?“
„Auch die Menge MDMA war eigentlich höher als normal. Meiner Meinung nach hat man den Opfern eine Mischung der beiden Substanzen verabreicht, einen sogenannten 'candyflip'. Können Sie sich die Wirkung vorstellen? Ein Halluzinogen und ein Amphetamin. Die Wahrnehmung wird völlig auf den Kopf gestellt.“
„Sie wurden also unter Drogen gesetzt, ja. Das hat der Schnelltest auch schon ergeben.“
„Ja, also. Jedenfalls hat Doktor Shockley eine infrarotspektrometrische Analyse all der Substanzen durchgeführt, die die Hochdruckflüssigchromatografie isolieren konnte. Ein ganz schöner Aufwand, wenn man bedenkt, dass wir vorher die körpereigenen Stoffe, Medikamente und so weiter aussortieren mussten.“
„Ja. Sie beide sind fantastisch.“
„Vielen Dank.“ Keinerlei Sinn für Sarkasmus. „Doktor Shockley fand eine ganze Menge, darunter die drei bereits genannten. Außerdem klassisches Amphetamin, Koffein in einer Dosis über eintausend Milligramm, also stark überdosiert. Das interessanteste ist aber das hier.“ Er reicht mir einen Computerausdruck. Die obere Hälfte ziert eine Linie voller Kurven, einem Herzmonitor nicht unähnlich. Der untere Teil ist eine Auflistung verschiedener Chemikalien, hinter denen eine Prozentzahl steht.
„Das ist die Aufzeichnung eines Infrarotspektrums. Das Aussehen dieser Linie ist bei jedem Stoff – im chemischen Sinn – anders, und darum immer charakteristisch. Sehen Sie, hier vorn finden sie den typischen Wasser-Peak. Das hier hinten ist der Fingerprint-Bereich,“ er deutet auf einen großen Haufen Zacken, mit dem meiner Meinung nach niemand etwas anfangen kann, „und das hier unten sind die bekannten Stoffe, mit denen die Kurve verglichen wird. Natürlich haben wir nicht jede Substanz auf der Welt zum Vergleich herangezogen, aber da es sich um etwas Körperfremdes zu handeln scheint, unsere Datenbank für Medikamente, Drogen und Rauschmittel und eine Liste weiterer Substanzen, die Doktor Shockley anhand einer schnellen Interpretation des Spektrums erstellt hat.“
„Und?“
„Nichts.“
„Also?“
„Wir haben es mit einer neuen Substanz zu tun. Doktor Shockley und ich arbeiten im Moment noch an der Struktur. Da das Spektrum die meisten Informationen darüber enthält, können wir es eingrenzen, aber es ist trotzdem ein langwieriger Prozess.“
„Wie lange?“
„Bis wir alle Kombinationen haben oder bis wir uns auf eine davon festlegen können?“
„Bis Sie mir den Namen der Substanz nennen können.“
„Die Liste ist noch nicht vollständig, aber es wird mindestens einen Monat dauern.“
„Einen Monat!“
„Ja. Jeder Stoff muss synthetisiert und verglichen werden. Wie ich sagte: Ein langwieriger Prozess.“
„Können Sie denn irgendwas über den Stoff sagen?“
„Etwas. Wir wissen, dass er ein selektiver Agonist des Opioidrezeptors ist, aber nicht für welchen. Es wird auch an 5-HT-Rezeptoren wirken, was typisch für klassische Halluzinogene ist. Opioidagonisten sind normalerweise Schmerzmedikamente, aber ich denke, eine analgetische Wirkung wird die Substanz in Anbetracht ihrer Verwendung nicht haben. Nein, das hier ist eine Folterdroge auf Basis eines Halluzinogens.“
Das Telefon klingelt. Ich stehe noch unter der Dusche und genieße, wie mich das Wasser langsam aufweckt. Die Trägheit des Morgens wird verdrängt von dem Gedanken an einen heißen Kaffee, den meine Frau schon in der Küche zubereitet. Ich weiß, sobald ich das Wasser abstelle, kann ich den Duft wahrnehmen, und ich beginne, mich darauf zu freuen. Sie nimmt den Hörer ab und kommt kurz darauf zu mir ins Bad.
„James? Der Coroner hat angerufen. Er meint, du sollst heute früh sofort ins analytische Labor kommen, noch bevor du dich an den Schreibtisch setzt.“
„Na, da wird mein Chef aber gar nicht begeistert sein.“ Sage ich grinsend zu den Fliesen.
„Der hat schon das Okay gegeben.“
Dann muss es wirklich wichtig sein.
„Dann muss es wirklich wichtig sein.“
Sie spricht wieder in den Hörer: „Er wird in einer halben Stunde bei Ihnen auf der Matte stehen.“ Eine Pause. „Ja, das wünsche ich Ihnen auch. Auf Wiederhören.“
Ich trockne mich ab, und sie drückt mir einen Kuss auf die Wange.
„James, du siehst heute morgen fantastisch aus.“
Ich betrachte sie im Spiegel. Sie ist wunderschön. Der beste Friseur für eine Frau ist das Bett, denke ich, während mein Blick über die Woge blonden Haars gleitet, dass zerzaust auf ihren Schultern liegt. Vermutlich sieht sie das anders, aber für mich ist es die Wahrheit. Sie trägt meinen Morgenmantel, auch das ist eine weitere Spitze für meine Libido.
„Ich liebe dich.“
„Ich liebe dich auch, James. Komm' heil wieder zurück.“ Nach diesem allmorgendlichen Ritual verschwindet sie wieder im Schlafzimmer.
Der Kaffee in der Küche steht schon in einer Thermo-Tasse bereit. Ich richte meine Krawatte, das Schulterholster und die Gürtelschnalle ein letztes Mal, dann verlasse ich das Haus.
Der Highway ist zu meiden, denke ich lächelnd, und fahre die Hauptstraße entlang. Noch ist der Verkehr zu ertragen, es geht gut voran, doch innerlich bin ich schon auf der Arbeit. Es kommt selten genug vor, dass die Detectives gleich zum Anfang ihrer Schicht ins Labor gerufen werden, und meist gibt es auch einen spektakulären Grund dafür. Das letzte Mal ist mir im Gedächtnis geblieben – ein Brandanschlag auf ein Mehrfamilienhaus in der Bronx. In den Trümmern wurden verschiedene, zerstörte Gefäße gefunden, die verschiedene Sprengstoffe enthielten, doch es gab keine Anzeichen für eine Explosion. Es stellte sich heraus, dass in dem Haus eine Gruppe Mafia-Angehöriger lebten, die ein Bombenattentat geplant hatten, doch eine andere Famiglia ist ihnen wohl zuvor gekommen, nicht ganz so, wie sie es geplant hatten. Obwohl drei Menschen im Feuer ihr Leben ließen, hatte der Fall so noch eine humoristische Komponente.
Ich erreiche das Präsidium, der Parkplatz ist voll, alles wie immer. Während ich das Treppenhaus aufwärts laufe, kommt mir der Polizeipsychologe Dr. Taylor Perlmutter entgegen.
„Guten Morgen, James.“ Ich bleibe kurz stehen. Perlmutter betreut im Moment Matthew.
„Morgen, Doktor.“ Ich zögere einen Moment, und wir stehen uns schweigend auf der Wendeltreppe gegenüber. „Wie läuft's?“ Sage ich dann.
„Wir sind erst seit zwei Tagen dabei.“ Sagt er und rückt sich die randlose eckige Brille zurecht. „Ich kann Ihnen nicht viel sagen, Sie wissen ja...“ Er überlegt einen Moment, was er mir sagen kann. „Nicht gut. Aber wie soll sowas auch gut laufen? Sie waren vor Ort. Ich habe die Akte gelesen. Ich habe die Fotos gesehen.“
Wir schweigen. Kein Wunder, was soll man auch sagen? Es gibt keine Worte für die Dinge, die niemand je auszusprechen gewagt hat.
„Na ja. Ich muss weiter. Wir sehen uns, denke ich.“ Er gibt mir in seiner umständlichen, distanzierten Art die Hand und verschwindet dann in kleinen Kreisen abwärts.
Das Labor ist im vierten Stock, und der Leichenbeschauer wartet vor der Tür.
„Guten Morgen. Sollen wir gleich anfangen?“ Er trägt seinen Kittel. Diesmal kann ich seinen Namen nicht vergessen.
„Doktor Lockwood. Ja, wieso nicht.“ Ich nippe an meinem Kaffee. „Worum geht es?“
„Um den Mellencamp-Fall. Und auch die Sache mit dem Junkie von gestern.“
„Es gibt eine Verbindung?“
„Das können sie laut sagen.“ Er öffnet die Tür zum Labor, indem er sie hinter seinem Rücken mit dem Fuß aufschiebt.
„Doktor Rainwater hat die Blutuntersuchungen der Körper vorgenommen und bei den chromatografischen Messungen einige Substanzen entdeckt, die sich nicht identifizieren lassen.“
Ein älterer Herr tritt vor. Wenn ich jemandem, der keine Ahnung davon hätte, erklären müsste, was ein Großvater ist, ich täte es anhand eines Fotos von diesem Mann. Doktor Rainwater wäre ein Schwiegervater, der mich tatsächlich überreden könnte, Kinder zu bekommen, einfach weil er ein vollkommenes Bild mit seinen Enkeln abgeben würde.
„Im Regelfall fällt ein geringer Teil der Probe durch das Raster. Wir finden viel Wasser – keine große Überraschung -, viele Spurenelemente, Salze, das ganze Programm. Allerdings hat mich Doktor Lockwood informiert, dass der Schnelltest am Fundort der Leichen positiv auf fast alles ausfiel. Deswegen habe ich versucht, die Substanzen zu isolieren.“
Er greift nach einem Klemmbrett von einem der Labortische. „Da hätten wir Ephedrin und Methylendioxy-Methamphetamin, das Sie vermutlich als Ecstasy kennen.“
„Ihr Chemiker habt eine ganz eigene Form von Arroganz entwickelt, oder?“ Sage ich trocken.
Er sieht nicht einmal von seinem Klemmbrett auf. „Ach ja? Ich habe einen Studienfreund, der Physiker ist. Sie müssten den einmal treffen.“
„Ein Grundverständnis für das Universum und alles darin?“
„So würde er es ausdrücken. Weiter im Text. Ich habe außerdem Lysergsäurediethylamid gefunden, das ist...“
„LSD-25.“
„Ja. In Anbetracht des Todeszeitpunkts, den Doktor Lockwood festgestellt hat, lässt sich sagen, dass, sofern die Blutversorgung der Leber bis zum Ende intakt war, eine ziemlich große Menge der Droge verabreicht wurde."
"Wieso der Leber?"
"Weil für den Todeszeitpunkt die Temperatur der Leber ausschlaggebend ist. Wir können uns auch um einige Stunden irren, wenn die Blutversorgung der Leber nicht gewährleistet war." Erklärt mir Dr. Lockwood.
"Zumindest ist das Doktor Shockleys Meinung.“ Fügt der Chemiker dann noch hinzu.
Ich kenne Dr. Shockley. Ich kenne auch die legendären Wettstreite, die wöchentlich im Labor entbrennen. Es ist bemerkenswert: Die beiden Doktoren bekommen Montags eine Aufgabe, die mindestens vier Tage in Anspruch nimmt, und am Ende des Tages sind sie damit beschäftigt, sich gegenseitig anzuschreien. Und Dienstag Mittag kommt einer der wenigen Laborassistenten, die es mit den beiden aushalten, zu uns herunter und sagt, die Aufgabe wäre erledigt. Dann streiten sie schon über die nächste Aufgabe, und es wird bis Freitag immer schlimmer. Wenn man aber mit ihnen in einem Raum ist, geben sie sich alle Mühe, freundlich zu sein, und ich kann mir die beiden auch gut vorstellen, wie sie nach Feierabend alle Streitigkeiten vergessen und gemeinsam ein Bier trinken gehen.
Doktor Shockley ist im Moment jedoch nicht im Labor.
Ich seufze. „Und was ist Ihre Meinung?“
„Auch die Menge MDMA war eigentlich höher als normal. Meiner Meinung nach hat man den Opfern eine Mischung der beiden Substanzen verabreicht, einen sogenannten 'candyflip'. Können Sie sich die Wirkung vorstellen? Ein Halluzinogen und ein Amphetamin. Die Wahrnehmung wird völlig auf den Kopf gestellt.“
„Sie wurden also unter Drogen gesetzt, ja. Das hat der Schnelltest auch schon ergeben.“
„Ja, also. Jedenfalls hat Doktor Shockley eine infrarotspektrometrische Analyse all der Substanzen durchgeführt, die die Hochdruckflüssigchromatografie isolieren konnte. Ein ganz schöner Aufwand, wenn man bedenkt, dass wir vorher die körpereigenen Stoffe, Medikamente und so weiter aussortieren mussten.“
„Ja. Sie beide sind fantastisch.“
„Vielen Dank.“ Keinerlei Sinn für Sarkasmus. „Doktor Shockley fand eine ganze Menge, darunter die drei bereits genannten. Außerdem klassisches Amphetamin, Koffein in einer Dosis über eintausend Milligramm, also stark überdosiert. Das interessanteste ist aber das hier.“ Er reicht mir einen Computerausdruck. Die obere Hälfte ziert eine Linie voller Kurven, einem Herzmonitor nicht unähnlich. Der untere Teil ist eine Auflistung verschiedener Chemikalien, hinter denen eine Prozentzahl steht.
„Das ist die Aufzeichnung eines Infrarotspektrums. Das Aussehen dieser Linie ist bei jedem Stoff – im chemischen Sinn – anders, und darum immer charakteristisch. Sehen Sie, hier vorn finden sie den typischen Wasser-Peak. Das hier hinten ist der Fingerprint-Bereich,“ er deutet auf einen großen Haufen Zacken, mit dem meiner Meinung nach niemand etwas anfangen kann, „und das hier unten sind die bekannten Stoffe, mit denen die Kurve verglichen wird. Natürlich haben wir nicht jede Substanz auf der Welt zum Vergleich herangezogen, aber da es sich um etwas Körperfremdes zu handeln scheint, unsere Datenbank für Medikamente, Drogen und Rauschmittel und eine Liste weiterer Substanzen, die Doktor Shockley anhand einer schnellen Interpretation des Spektrums erstellt hat.“
„Und?“
„Nichts.“
„Also?“
„Wir haben es mit einer neuen Substanz zu tun. Doktor Shockley und ich arbeiten im Moment noch an der Struktur. Da das Spektrum die meisten Informationen darüber enthält, können wir es eingrenzen, aber es ist trotzdem ein langwieriger Prozess.“
„Wie lange?“
„Bis wir alle Kombinationen haben oder bis wir uns auf eine davon festlegen können?“
„Bis Sie mir den Namen der Substanz nennen können.“
„Die Liste ist noch nicht vollständig, aber es wird mindestens einen Monat dauern.“
„Einen Monat!“
„Ja. Jeder Stoff muss synthetisiert und verglichen werden. Wie ich sagte: Ein langwieriger Prozess.“
„Können Sie denn irgendwas über den Stoff sagen?“
„Etwas. Wir wissen, dass er ein selektiver Agonist des Opioidrezeptors ist, aber nicht für welchen. Es wird auch an 5-HT-Rezeptoren wirken, was typisch für klassische Halluzinogene ist. Opioidagonisten sind normalerweise Schmerzmedikamente, aber ich denke, eine analgetische Wirkung wird die Substanz in Anbetracht ihrer Verwendung nicht haben. Nein, das hier ist eine Folterdroge auf Basis eines Halluzinogens.“