Einführung, IV
Text zum Thema Allzu Menschliches
von bluedotexec
Mr. Mellencamp, vor drei Tagen, 7:41 Uhr
Viktor ist es also. Mein Tag beginnt mit der Suche nach einer Stripperin. Völlig grundlos, wie mir scheint, doch meine Füße beginnen, mich zu tragen. Ich habe keinen Einfluss mehr darauf, nach was ich suche. Der Ablauf ist seit einigen Jahren schon gleich geblieben: Man sagt meinem Verstand, dass jemand oder etwas vermisst wird. Mein Unterbewusstsein versteht, dass es sich auf den Weg machen und danach suchen soll, was oder wer immer es auch ist. Und meine Beine gehen los, noch bevor mein Verstand Bescheid über das weiß, was als nächstes passieren soll.
Wer weiß, ob Ramón am Ende nicht sogar Recht behalten soll. Vielleicht liegt Angie wirklich irgendwo in der Gosse, mit weißem Schaum vor dem Mund und einer Atmung, die weniger aus Zügen denn aus unkontrolliertem Zucken besteht. Vielleicht sitzt sie nur zuhause, mit einer Schachtel Aspirin und einem fettreichen Frühstück, denkt für einen Tag nicht an ihre Figur und versucht, einen mörderischen Kater auszukurieren. Oder sie hat einfach nur verschlafen; schließlich folgen bei ihr Früh- auf Nachtschichten.
Das Lusty Heart liegt etwas östlich von hier, um dort hin zu kommen, muss man durch einige Nebenstraßen laufen, wenn man keinen Wert auf zwanzig Minuten Umweg und drei Hauptstraßen legt.
Ich zünde mir eine Zigarette an, während ich durch die erwachenden Straßen von Gotham laufe. Es kotzt mich so an, hier zu leben. Der Asphalt ist dreckig. Die Häuser – ebenfalls dreckig. Mir begegnen Menschen, spärlich treibt sie ihr Tagesrhythmus pulsierend an mir vorbei. Kleine Grüppchen meist, ab und an Solisten, die im Fluss dieser grauenerregenden Musik aber untergehen.
Ich reagiere wieder über. Ich sollte nach Hause gehen, eine Pille oder zwei vielleicht einwerfen und einige Stunden an die Westwand starren. Oder ich suche nach Angie, um mich auf andere Gedanken zu bringen.
Die wild geschwungene rosafarbene Leuchtreklame taucht auf. Die Linien des L am Anfang und die des T am Ende verlieren sich in der Mitte des Namens und bilden zwei Herzen, ein großes und ein kleineres, die sich ineinander zu verschlingen scheinen, bevor sie an einem Punkt, den ich, so oft ich auch darauf schaue, noch nie entdecken konnte, treffen. Würde man die endlosen Schnörkel, Schleifen, Kurven und Windungen entheddern, wäre nicht mehr von diesem Schild übrig als ein übergroßes O.
„Oh. Mr Mellencamp. Hi.“ Das nervöse Flattern in der tiefen Stimme, die jeden russischen Akzent vermissen lässt, lässt nur den Schluss zu, dass Viktor sich wenig schöner Dinge zu erinnern mag, die ihn auf eine angenehme Begegnung mit mir hoffen lassen.
„Hi, Vic.“ Grunze ich. Und gehe an ihm vorbei in den Club. Er muss ja nicht sofort wissen, dass ich nur seinetwegen hier bin.
Eine Gruppe der hier beschäftigten Mädchen sitzt in einer Reihe auf den Barhockern und diskutiert. Es riecht süßlich nach schalem Bier, erloschenen Zigaretten, sterbenden Zigarren und Schnaps. Der ekelhafte Geruch von Bourbon sticht stark heraus. Ein widerliches Getränk. Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu schlucken. Ich setze mich zwei Hocker weit von den Mädchen entfernt ebenfalls an den Tresen, und nacheinander landen alle Blicke auf mir.
„Entschuldigen Sie, Mister. Wir haben schon geschlossen.“ Eine der Damen kommt hinter die Bar und stellt sich mir gegenüber hin. Sie ist schön, selbst nach meinen libidoarmen Maßstäben, verhüllt eine geradezu göttliche Figur mit einem Tartan-gemusterten Minirock, den die Farben Schwarz und Rot dominieren, einem breiten Bra im gleichen Muster, jedoch mit Satinbesatz, und einem schwarzen Bolero, der mit diesem feinen Glitzerstaub bedeckt ist, der an Orten wie diesem vermutlich mit Kohleschaufeln hinein- und hinausgeschafft wird. Ihren Kopf ziert eine Krone aus blondem Haar, das sie elegant hochgesteckt hat, nicht jedoch ohne auf die wohldosierte Menge Fransen zu achten, die glattgekämmt der Schwerkraft folgt und ihr herzförmiges Gesicht umrahmt, damit in perfekte Korrespondenz mit dem orientalisch inspirierten Make-Up tritt, bei dem die Linien des Kajals an den Augenwinkeln zusammen treffen und eine schmaler werdende Welle in Richtung der Schläfen bilden.
Auf dem Schild an ihrer Brust steht „Hanna“.
„Es tut mir Leid.“ Sage ich. Das tut es wirklich. „Ich möchte keine Umstände machen, Schätzchen. Lass' mich nur einen Scotch trinken, danach verschwinde ich wieder. Ich werde niemanden bei irgendetwas stören.“
Sie seufzt. „Na gut, ausnahmsweise. Aber wehe, Sie suchen jemanden zum Jammern. Unsere Schichten sind vorbei. Was darf es dann sein?“ Fügt sie hinzu, und falls sie etwas von ihrer gespielten Wärme kurzzeitig verloren hatte, dann ist sie jetzt wieder der gefallene Engel, der sich seine Wiederaufnahme in den Himmel damit zu erkaufen versucht, dass er auf der Erde die Sünder wieder auf den richtigen Pfad bringt. Sie tritt beiseite, damit ich das Regal mit den Flaschen sehen kann.
„Oban, den siebzehnjährigen. Einen Doppelten, und ich gehe wieder.“
Sie wirft einen Blick auf die große Uhr hinter ihr. Es ist noch nicht ganz acht Uhr.
„Na schön.“
Als das Glas vor mir steht, komme ich nicht umhin zu bemerken, dass das Mädchen, das mir am nächsten sitzt, versucht, eine Alkoholfahne an mir festzustellen.
Natürlich. Wer vermutet schon, dass jemand morgens um acht schon Scotch trinkt, damit die Leute denken, er täte es immer noch? Ich bin ein Idiot. Ich habe für genau solche Fälle einen Flachmann voll Bourbon dabei, aber ich dachte natürlich nicht daran, ihn zu benutzen.
Ich trinke einen Schluck. Meinen Magengeschwüren gefällt es nicht, schon um diese Uhrzeit mit Whiskey aufgeweckt zu werden, aber der Rest meines Körpers kann sich einer gewissen Befriedigung nicht erwehren. Die Wärme schießt aus der Speiseröhre direkt in meine Gliedmaßen. Jemand beginnt bereits damit, die Bühne abzusaugen. Ich erkenne im Spiegel über der Bar nur die Silhouette, aber hin und wieder bückt er sich und hebt einen der Geldscheine auf, den die Tänzerinnen dort vergessen haben, und steckt ihn ein.
Ich spüre, dass ich zornig werden sollte. Das Geld gehört den Mädchen, und irgendjemand da hinten stiehlt es ihnen.
Ich trinke das Glas aus. Niemand ist durch die Eingangstür herein- oder hinausgegangen, und die Mädchen unterhalten sich noch immer über die Finanzen der vergangenen Nacht, die Gesamteinnahmen und ein paar private Dinge.
Zeit, Viktor ein paar Fragen zu stellen.
Viktor ist es also. Mein Tag beginnt mit der Suche nach einer Stripperin. Völlig grundlos, wie mir scheint, doch meine Füße beginnen, mich zu tragen. Ich habe keinen Einfluss mehr darauf, nach was ich suche. Der Ablauf ist seit einigen Jahren schon gleich geblieben: Man sagt meinem Verstand, dass jemand oder etwas vermisst wird. Mein Unterbewusstsein versteht, dass es sich auf den Weg machen und danach suchen soll, was oder wer immer es auch ist. Und meine Beine gehen los, noch bevor mein Verstand Bescheid über das weiß, was als nächstes passieren soll.
Wer weiß, ob Ramón am Ende nicht sogar Recht behalten soll. Vielleicht liegt Angie wirklich irgendwo in der Gosse, mit weißem Schaum vor dem Mund und einer Atmung, die weniger aus Zügen denn aus unkontrolliertem Zucken besteht. Vielleicht sitzt sie nur zuhause, mit einer Schachtel Aspirin und einem fettreichen Frühstück, denkt für einen Tag nicht an ihre Figur und versucht, einen mörderischen Kater auszukurieren. Oder sie hat einfach nur verschlafen; schließlich folgen bei ihr Früh- auf Nachtschichten.
Das Lusty Heart liegt etwas östlich von hier, um dort hin zu kommen, muss man durch einige Nebenstraßen laufen, wenn man keinen Wert auf zwanzig Minuten Umweg und drei Hauptstraßen legt.
Ich zünde mir eine Zigarette an, während ich durch die erwachenden Straßen von Gotham laufe. Es kotzt mich so an, hier zu leben. Der Asphalt ist dreckig. Die Häuser – ebenfalls dreckig. Mir begegnen Menschen, spärlich treibt sie ihr Tagesrhythmus pulsierend an mir vorbei. Kleine Grüppchen meist, ab und an Solisten, die im Fluss dieser grauenerregenden Musik aber untergehen.
Ich reagiere wieder über. Ich sollte nach Hause gehen, eine Pille oder zwei vielleicht einwerfen und einige Stunden an die Westwand starren. Oder ich suche nach Angie, um mich auf andere Gedanken zu bringen.
Die wild geschwungene rosafarbene Leuchtreklame taucht auf. Die Linien des L am Anfang und die des T am Ende verlieren sich in der Mitte des Namens und bilden zwei Herzen, ein großes und ein kleineres, die sich ineinander zu verschlingen scheinen, bevor sie an einem Punkt, den ich, so oft ich auch darauf schaue, noch nie entdecken konnte, treffen. Würde man die endlosen Schnörkel, Schleifen, Kurven und Windungen entheddern, wäre nicht mehr von diesem Schild übrig als ein übergroßes O.
„Oh. Mr Mellencamp. Hi.“ Das nervöse Flattern in der tiefen Stimme, die jeden russischen Akzent vermissen lässt, lässt nur den Schluss zu, dass Viktor sich wenig schöner Dinge zu erinnern mag, die ihn auf eine angenehme Begegnung mit mir hoffen lassen.
„Hi, Vic.“ Grunze ich. Und gehe an ihm vorbei in den Club. Er muss ja nicht sofort wissen, dass ich nur seinetwegen hier bin.
Eine Gruppe der hier beschäftigten Mädchen sitzt in einer Reihe auf den Barhockern und diskutiert. Es riecht süßlich nach schalem Bier, erloschenen Zigaretten, sterbenden Zigarren und Schnaps. Der ekelhafte Geruch von Bourbon sticht stark heraus. Ein widerliches Getränk. Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu schlucken. Ich setze mich zwei Hocker weit von den Mädchen entfernt ebenfalls an den Tresen, und nacheinander landen alle Blicke auf mir.
„Entschuldigen Sie, Mister. Wir haben schon geschlossen.“ Eine der Damen kommt hinter die Bar und stellt sich mir gegenüber hin. Sie ist schön, selbst nach meinen libidoarmen Maßstäben, verhüllt eine geradezu göttliche Figur mit einem Tartan-gemusterten Minirock, den die Farben Schwarz und Rot dominieren, einem breiten Bra im gleichen Muster, jedoch mit Satinbesatz, und einem schwarzen Bolero, der mit diesem feinen Glitzerstaub bedeckt ist, der an Orten wie diesem vermutlich mit Kohleschaufeln hinein- und hinausgeschafft wird. Ihren Kopf ziert eine Krone aus blondem Haar, das sie elegant hochgesteckt hat, nicht jedoch ohne auf die wohldosierte Menge Fransen zu achten, die glattgekämmt der Schwerkraft folgt und ihr herzförmiges Gesicht umrahmt, damit in perfekte Korrespondenz mit dem orientalisch inspirierten Make-Up tritt, bei dem die Linien des Kajals an den Augenwinkeln zusammen treffen und eine schmaler werdende Welle in Richtung der Schläfen bilden.
Auf dem Schild an ihrer Brust steht „Hanna“.
„Es tut mir Leid.“ Sage ich. Das tut es wirklich. „Ich möchte keine Umstände machen, Schätzchen. Lass' mich nur einen Scotch trinken, danach verschwinde ich wieder. Ich werde niemanden bei irgendetwas stören.“
Sie seufzt. „Na gut, ausnahmsweise. Aber wehe, Sie suchen jemanden zum Jammern. Unsere Schichten sind vorbei. Was darf es dann sein?“ Fügt sie hinzu, und falls sie etwas von ihrer gespielten Wärme kurzzeitig verloren hatte, dann ist sie jetzt wieder der gefallene Engel, der sich seine Wiederaufnahme in den Himmel damit zu erkaufen versucht, dass er auf der Erde die Sünder wieder auf den richtigen Pfad bringt. Sie tritt beiseite, damit ich das Regal mit den Flaschen sehen kann.
„Oban, den siebzehnjährigen. Einen Doppelten, und ich gehe wieder.“
Sie wirft einen Blick auf die große Uhr hinter ihr. Es ist noch nicht ganz acht Uhr.
„Na schön.“
Als das Glas vor mir steht, komme ich nicht umhin zu bemerken, dass das Mädchen, das mir am nächsten sitzt, versucht, eine Alkoholfahne an mir festzustellen.
Natürlich. Wer vermutet schon, dass jemand morgens um acht schon Scotch trinkt, damit die Leute denken, er täte es immer noch? Ich bin ein Idiot. Ich habe für genau solche Fälle einen Flachmann voll Bourbon dabei, aber ich dachte natürlich nicht daran, ihn zu benutzen.
Ich trinke einen Schluck. Meinen Magengeschwüren gefällt es nicht, schon um diese Uhrzeit mit Whiskey aufgeweckt zu werden, aber der Rest meines Körpers kann sich einer gewissen Befriedigung nicht erwehren. Die Wärme schießt aus der Speiseröhre direkt in meine Gliedmaßen. Jemand beginnt bereits damit, die Bühne abzusaugen. Ich erkenne im Spiegel über der Bar nur die Silhouette, aber hin und wieder bückt er sich und hebt einen der Geldscheine auf, den die Tänzerinnen dort vergessen haben, und steckt ihn ein.
Ich spüre, dass ich zornig werden sollte. Das Geld gehört den Mädchen, und irgendjemand da hinten stiehlt es ihnen.
Ich trinke das Glas aus. Niemand ist durch die Eingangstür herein- oder hinausgegangen, und die Mädchen unterhalten sich noch immer über die Finanzen der vergangenen Nacht, die Gesamteinnahmen und ein paar private Dinge.
Zeit, Viktor ein paar Fragen zu stellen.