Ein nicht lebbares Leben - das Rätsel Georg Trakl

Rezension

von  DerHerrSchädel

Georg Trakl ist unter den deutschsprachigen Dichtern des vergangenen Jahrhunderts sicherlich eine der rätselhaftesten Gestalten. Mit gerade einmal 27 Jahren starb der österreichische Dichter, geschwächt von jahrelangem Alkohol- und Drogenkonsum und gebrochen von den Schrecken des Ersten Weltkrieges am 3. November 1914 an den Folgen einer Überdosis Kokain. Unter den Werken der expressionistischen Dichter stechen Trakls Texte mit ihrer überbordenden Symbolsprache, ihrer durchgehend düster-melancholischen Sprache und unheilschwangeren Szenerien hervor. Düstere Natur- und Stadtlandschaften in den Stunden der abendlichen Dämmerung, Gärten des Verfalls und der Verwesung, vielfach durchwandert von der schattenhaften Gestalt seiner von ihm über die Grenzen normaler Geschwisterliebe hinaus begehrten Schwester prägen die traklschen Gedichte.

Über den Menschen Georg Trakl, der diese noch immer faszinierenden Gedichte schrieb, ist indes nicht allzuviel bekannt. Zu jung ist er gestorben, zu unnahbar blieb er für seine Zeitgenossen und Manches sollte offensichtlich vertuscht werden. Seine Familie vernichtete sorgsam den größten Teil seines Nachlasses, so dass insbesondere das Verhältnis zu seiner vier Jahre jüngeren Schwester Grete bis heute Fragen aufwirft. Hat er, oder hat er nicht den Inzest mit ihr vollzogen? Ist eine Schwangerschaft Gretes, die 1914 in einer Fehlgeburt endete, gar das Resultat dieses Verhältnisses gewesen?

Der von Gunnar Decker anlässlich von Georg Trakls 100. Todestag veröffentlichte und schlicht „Georg Trakl“ betitelte biographische Bildband vermag diese und andere Fragen zu Trakls Leben nicht zu beantworten. Dazu reichen die vorhandenen Quellen schlicht nicht aus. Die Stärke dieses 95 Seiten umfassenden Buches liegt in der komprimierten und visualisierten Darstellung eines Lebens, das, wie Stephan Hermlin einmal schrieb, „nicht lebbar war“.  Ein Leben, geprägt von Drogen, Ekstase, Niederlagen und Selbstzerstörung, von verbotener Liebe und dem Untergang einer ganzen Epoche. Verfall und Niedergang scheinen sich bereits früh in Trakls Leben anzukündigen, dennoch ist es erst das apokalyptische Inferno des Weltkrieges, die Menschenmassen verschlingende moderne Kriegsmaschinerie, welche Trakl endgültig in den Abgrund reißen sollte – und mit ihm das ganze reaktionäre Scheinidyll der Belle Époque, dass diese Kriegsmaschinerie im imperialen Größenwahn jener Zeit geschaffen hatte.

Den Weg dorthin schildert Deckers Bildband anschaulich und knapp. In elf Kapiteln erhält der Leser Einblick in das kurze und traurige Leben des hochbegabten Dichters, über die wichtigsten biographischen Stationen und die wenigen Bezugspersonen, die sein Vertrauen fanden. Die Fotos und Zeichnungen Trakls sprechen für sich. Sie zeigen einen ernsten, misstrauischen und ruhelos dreinblickenden Menschen, der seine inneren Dämonen kaum zu bändigen vermochte und der bereits als Jugendlicher seiner bedrückenden Umwelt durch massiven Alkohol- und Drogenkonsum zu entfliehen versuchte.

Decker gelingt es geschickt, Trakls Gedichte in dessen Lebensgeschichte hineinzuflechten und auf diese Weise jene auf den ersten Blick so schwer verständliche Bilder- und Symbolwelt für den Leser greifbar und verständlich zu machen. Man erhält einen Einblick in die vulkanisch brodelnde Seelenlandschaft Trakls, die dieser hinter einer extrem menschenscheuen, beinahe lebensunfähigen Fassade versteckte. Die Schleier und Aschewolken lüften sich ein wenig. Ein Rätsel aber wird dieser Dichter wohl immer bleiben.



"Der Wahrheit nachsinnen -
Viel Schmerz!
Endlich Begeisterung
Bis zum Tod.
Winternacht
Du reine Mönchin!"

(Im Schnee, Nachtergebung, 1. Fassung)


Anmerkung von DerHerrSchädel:

Gunnar Decker: Georg Trakl. Deutscher Kunstverlag. Berlin und München 2014.

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (18.11.14)
Das Buch sollte man erwerben, auch wenn das Rätsel bleibt. Sehr anregender Text. LG

 DerHerrSchädel meinte dazu am 18.11.14:
Danke dir!

Viele Grüße

DerHerrSchädel
Graeculus (69)
(18.11.14)
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 DerHerrSchädel antwortete darauf am 18.11.14:
Komme leider viel zu selten zum lesen. Herzlichen Dank!

 FRP (18.11.14)
Zum Thema, vor allen für die Wessis, die den Verfasser gar nicht weiter kennen werden, auch Franz Fühmanns wunderbares Buch "Vor Feuerschlünden".


"Hat er, oder hat er nicht den Inzest mit ihr vollzogen? "
Für mich ist die Antwort klar:

- " ... stich, schwarzer Dorn ..."

 DerHerrSchädel schrieb daraufhin am 18.11.14:
Danke für den Tipp!

Ein Gedicht ist ein Gedicht
und mehr nicht!

Dass er seine Schwester begehrte, kann als sicher gelten, alles andere lässt sich nicht beweisen. Die Gedichte allein reichen nicht aus, da kann man viel schreiben. Persönlich halte ich den Inzest auch für sehr wahrscheinlich, aber der endgültige Beweis fehlt und wird wohl nie erbracht werden, wenn nicht irgendwo in einer Schublade oder einer alten Hutschachtel bisher unbekannte Dokumente gefunden werden.

Viele Grüße

DerSchädel
AbrakadabrA (45)
(18.11.14)
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 DerHerrSchädel äußerte darauf am 18.11.14:
Langweilig? So kann man das, verehrter Herr Zauberer, doch nicht sagen...

Verwirrend, verworren, ja, dass schon, aber nicht langweilig. Gibt doch keinen deutschsprachigen Dichter, wo Natur- und Seelenlandschaft in ihrem ganzen trübsinnigen Chaos eine eine derart gut funktionierende Einheit bilden.

Aber Landschaftsbilder in der Lyrik sind wohl deine Sache nicht, hab ich schon gemerkt.
AbrakadabrA (45) ergänzte dazu am 18.11.14:
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 DerHerrSchädel meinte dazu am 18.11.14:
Glaubst du wirklich, dass man mit Trakl "Kohle macht"? Ich wage zu bezweifeln, dass mit Trakls Gedichten heute noch große Auflagen absetzen kann. Das ist ein eher spezielles Geschäft für Liebhaber.

Das klappt mit Dieter Bohlens Büchern besser. Der hat auch keine Probleme mit der bürgerlichen Gesellschaft, was ihn nicht interessanter macht.


Außerdem finde ich George viel langweiliger...

 EkkehartMittelberg (21.11.14)
Danke für den Hinweis auf Gunnar Decker.
Vielleicht interessiert es dich, dass wir in einer nicht überdurchschnittlich musischen Gymnasialklasse von 1956-1958 gelegentlich Gedichte von Georg Trakl lasen, die alle gut ankamen. Wir wussten damals kaum etwas über das Leben des Dichters, aber seine wundervollen Metaphern, die Musikalität seiner Sprache und die meisterhafte Gestaltung des Verfalls hatten es uns angetan.

LG
Ekki

 DerHerrSchädel meinte dazu am 21.11.14:
Das freut mich sehr zu hören, zumal Trakl nicht unbedingt einfach zu lesen ist und man Schüler mit Gedichten ja auch sehr gut traktieren kann. Ich bin fast froh darüber, dass ich in meiner Gymnasialzeit in der Schule nur sehr selten Gedichte zu lesen hatte. Ein schlechter Lehrer kann soviel kaputt machen...


Ich habe Trakl mit 16/17 entdeckt. Die Titanic hatte ein Gedicht von ihm abgedruckt und ich mir sodann ein Reclam-Bändchen von ihm besorgt. Ich war von seiner Bildersprache sofort gefangen, auch wenn ich viele seiner Metaphern nicht verstanden hatte. In der Schule habe ich ihn nie gelesen.

Viele Grüße

DerHerrSchädel

 Dieter_Rotmund (14.02.20)
Der Jack Kerouac seiner Zeit?
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