Ideologie, Wissenschaft und das "Kampffeld" Geschichte

Rezension zum Thema Politik

von  DerHerrSchädel

Der Titel läßt aufhorchen: „»Vorwärts und nicht vergessen«?“ hat der junge Historiker Christian Lannert seine Dissertation genannt. Im Untertitel benennt er konkret den anvisierten Untersuchungsgegenstand, nämlich die Vergangenheitspolitik der PDS und deren Nachfolgerin DIE LINKE. Ein spannendes und reichlich kontrovers diskutiertes Thema. Schreibt doch der Autor selbst im Umschlagtext: „Keine der im Bundestag vertretenen Parteien steht so sehr im Banne der Geschichte wie die Partei DIE LINKE und ihre Vorgängerin PDS.“
Zu Recht verweist Lannert auf die Neigung politischer Parteien, Geschichte für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Demgegenüber sei es die Aufgabe des Historikers, ideologisch konnotierte Geschichtsmythen zu dekonstruieren und die dahinter versteckten Denkmuster offen zu legen. Der geschichtswissenschaftliche Diskurs um die Partei wird, wie der Autor nicht zu Unrecht bemerkt, oft von Historikern geführt, die der Partei entweder mit entschiedener Abneigung oder offener Sympathie begegnen. Er kritisiert den „missionarischen Eifer“ eines Hubertus Knabe, der seine Abneigung gegen DIE LINKE und deren Vorgängerin kaum verhehlen kann.

Der Autor ist demgegenüber sichtlich um eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema bemüht. Seine Darstellung zeigt eine Partei – dies gilt für die PDS wie auch DIE LINKE –, die von einer extrem pluralistischen Binnenlandschaft geprägt ist. Unterschiedliche und in vieler Hinsicht gegensätzliche ideologische Strömungen ringen dort um die Diskurshoheit und bemühen sich, aus den Ruinen des gescheiterten Staatssozialismus zukunftsorientierte Sozialismuskonzepte zu konstruieren. Die Geschichtsdebatten innerhalb der Partei reflektieren dabei diesen Diskurs. Während der „orthodoxe“, marxistisch-leninistisch orientierte Flügel möglichst wenig ideologische Substanz aufgeben möchte und in Fragen zur DDR-Geschichte zumeist reine Apologetik betreibt, üben die „Reformer“ aus linkssozialistisch-sozialdemokratischen  Perspektiven vehemente Kritik an überkommenen historischen und weltanschaulichen Positionen.
Die Parteiführung sucht in ihrer Außendarstellung die verschiedenen Positionen zu vereinigen, was allzuoft einer Quadratur des Kreises gleichkommt. Scharf kritisiert der Autor die ihm zu vage erscheinenden Äußerungen zu den Opfern der Diktatur, zur MfS-Tätigkeit von teilweise hochrangigen Parteimitgliedern sowie die offene Klientelpolitik für die Mitarbeiter des DDR-Staatsapparats. Zuweilen übe die Partei, die gleichzeitig vehement die Vereinigungspolitik der Bundesregierung im wiedervereinigten Deutschland kritisiere, in offiziellen Verlautbarungen nur sehr vorsichtige Kritik am autoritären Staatssozialismus und stoße damit nicht nur ihre Gegner vor den Kopf, sondern auch eigene Mitglieder und Sympathisanten.

Als einigendes Band gilt laut Lannert der von allen Strömungen geteilte antikapitalistische Konsens und er bemerkt zu Recht, dass dies in der medialen Berichterstattung, wo hauptsächlich die Flügelkämpfe thematisiert werden, völlig übersehen wird. Darüber hinaus existiere eine Art arbeitsteiliges Abkommen zwischen den verschiedenen Flügeln. Während sich „orthodoxe“ Genossen in Traditionspflege übten und das ideologische Profil der Partei schärften, hätten die Reformer pragmatische Konzepte zur politischen Mitarbeit entworfen und der Partei damit machtpolitische Perspektiven eröffnet.

Darüber hinaus habe die einseitige Dämonisierung der DDR als „Unrechtsstaat“ und die Unfähigkeit des Westens, Errungenschaften der DDR und vor allem die Leistungen ihrer Bürger zu würdigen, viele Menschen in Ostdeutschland enttäuscht. Die Politik der Treuhand betrachtet der Autor insgesamt jedoch als notwendig und hält den Kritikern der Vereinigungspolitik die hohen finanziellen Transferleistungen von westlicher Seite entgegen. Gleichzeitig verweist er auf die enormen Herausforderungen, die der Transformationsprozeß vielen ehemaligen DDR-Bürgern abverlangte, die den völligen Verlust vertrauter politischer Strukturen und gesellschaftlicher Werte zu verkraften hatten, was zum Überleben der PDS maßgeblich beigetragen hätte. Dabei wirft der Autor der PDS vor, diese habe wie auch DIE LINKE berechtigte Kritik der Ostdeutschen für die eigenen ideologischen Zwecke instrumentalisiert.

Im antikapitalistischen Profil der Partei und der offenen Duldung marxistisch-leninistischer Positionen sieht der Autor Beweise für deren zweifelhaftes Verhältnis zur Demokratie. Zugleich gesteht er der Partei zu, sowohl strukturell als auch programmatisch tiefgreifende Veränderungen vollzogen und sich in vieler Hinsicht von der SED gelöst zu haben. Die Mehrheit der Parteimitglieder wolle nicht zum Staatssozialismus der DDR zurück.

Gelegentlich fragt man sich jedoch, ob der Autor die von ihm angeführten Primärquellen wirklich alle gelesen hat. So führt er die Rede von Gesine Lötzsch über „Wege zum Kommunismus“ als Beispiel für deren unkritisches Geschichtsbild und mangelnde Kritikfähigkeit zum untergegangenen Staatssozialismus an, obwohl sie in jener Rede diesen scharf attackierte. Leider verwendet der Autor auch den Extremismus-Begriff vollkommen unkritisch, obwohl dieser inzwischen selbst zu einem ideologischen Kampfbegriff der Konservativen geworden ist und von zahlreichen Wissenschaftlern abgelehnt wird. Verfechter des Extremismus-Begriffes wie Eckhard Jesse werden völlig unkritisch zitiert. Der Autor scheint seltsamerweise auch davon auszugehen, dass der Marxismus-Leninismus noch immer die programmatischen und politischen Leitlinien der Partei DIE LINKE dominiert. Für die KPF mag dies zutreffen, nicht aber für die Gesamtpartei.

Es hätte der Sachlichkeit seiner Arbeit sicherlich nicht geschadet, auch die eigenen politischen und weltanschaulichen Positionen zu hinterfragen. Die maßgeblich auf der Basis von NS-Gesetzen und vielfach von NS-Funktionsträgern in der BRD vorangetriebene Kommunistenverfolgung in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die für über 100.000 unschuldige Menschen, darunter viele Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime, lange Bespitzelung durch den Verfassungsschutz, Untersuchungshaft und lange Haftstrafen, Arbeitsplatzverlust und Renteneinbußen zur Folge hatte, als „rechtsstaatliche“ Verfolgung von „Stalinisten“ zu bezeichnen, ist weder historisch-politisch noch wissenschaftlich zu rechtfertigen. Derartige Entgleisungen sind glücklicherweise selten, weisen aber darauf hin, dass der Autor selbst gelegentlich überholten antikommunistischen Geschichtsmythen verhaftet zu sein scheint, die wiederum einer kritischen Aufarbeitung bedürfen.

Auf dem „Kampffeld“ der Geschichte konfrontiert der Autor DIE LINKE und ihre Vorgängerin mit den Schatten ihrer Vergangenheit. Seine Darstellung zeigt die Widersprüchlichkeit einer Partei, die es erst allmählich vermochte, mit den tradierten autoritären Denkstrukturen und -systemen aus der DDR-Zeit zu brechen. Sehr viel Neues fördert der Autor dabei nicht zutage, fasst die Ereignisse und Diskurse aber gut zusammen. Eine engere zeitliche oder thematische Begrenzung des Themas wäre für die Lektüre und die Wissenschaft nützlich gewesen. Dennoch gelangt der Autor aus einer konservativ-antiextremistischen Position heraus zu einem überraschend differenzierten Urteil über die Partei, weshalb es sich trotz aller hier geäußerten Kritik durchaus um ein lesenswertes Buch handelt.


Anmerkung von DerHerrSchädel:

Eine Rezension zu:

Christian Lannert, »Vorwärts und nicht vergessen«? Die Vergangenheitspolitik der Partei DIE LINKE und ihrer Vorgängerin PDS, Wallstein Verlag, Göttingen 2012, 292 Seiten.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (22.07.14)
Eine differenzierte Rezension eines Buches, das von Widersprüchen nicht frei, einer Partei gilt, für die dies auch zutrifft.

 DerHerrSchädel meinte dazu am 22.07.14:
Ich sollte allerdings anmerken, dass das Buch sehr weniger kontrovers ausgefallen ist, ich als ich das erwartet hatte. Ich kenne nämlich den Autor.

Danke für die anerkennenden Worte!


Viele Grüße

DerHerrSchädel
Nimbus (38)
(22.07.14)
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 DerHerrSchädel antwortete darauf am 22.07.14:
Danke dir!
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