Ein ungewöhnlicher Heiliger Abend

Erzählung zum Thema Weihnachtsgeschichte

von  KayGanahl

Ich war ziemlich hungrig. Die Sonne neigte sich zum Abend. Im Wald stand mir der Schnee bis zu den Knien, meine Lippen zitterten schon. Die frostige Jahreszeit durchdrang auch meine Gedanken; mein Hunger wurde dadurch noch größer.
Ich trug in der rechten behandschuhten Hand meinen kleinen Weihnachtsbaum, dessen billige Machart aus Kunststoff mich mittlerweile anekelte. Einen derartigen Weihnachtsbaum hatte ich bis dahin noch nicht mein Eigentum nennen müssen! Ihn zu transportieren war allerdings einfach, er war fast so leicht wie eine Tüte mit den Federn eines Papageien.
Die Fußspuren, die ich im Wald hinterließ, würden mich wohl jedem Verfolger verraten, aber ich übte mich in äußerster Gelassenheit, jauchzte bisweilen ironisch vor mich  hin - mein Weihnachtsfest war dies heute! Meines! Es war einzigartig, da war ich mir ganz sicher. Freude konnte angesichts der Gesamtlage, in der ich mich befand, nicht aufkommen. Alle Gefühle rangierten im "Bereich negativ", wo sie nach meiner Meinung hingehörten, weil sie nicht anders gefühlt werden konnten.
In diesem Wald, den ich nun mit möglichst großen Schritten eilig durchmessen wollte, gefiel mir rein gar nichts. Der Schnee lag dick auch auf dem letzten Zweig all dieser Nadelbäume ringsumher. Eine laut heulende Fabriksirene irgendwo machte mir deutlich, dass dieser Wald ein kleines Waldstück in einer Großstadt war, in welches sich gelegentlich mal ein Freizeitwanderer begab, um seinen freien Stunden einen mittelhohen existenziellen Sinn zu verleihen. Ein solcher Wanderer war ich allerdings nicht.
In meinen halbhohen Winterstiefeln überwand ich zwar den Schnee, hingegen nicht die Kälte. Sie wärmten mich kaum. Jetzt wollte ich laut aufschreien, weil meine Nerven blank lagen. Ganz laut. Doch das brachte ich nicht fertig.
Der heutige Heilige Abend gehörte mir, es war nicht anders zu sagen, doch es war bis jetzt ein sehr einsames Weihnachtsfest. Und ich wusste nicht die genaue Örtlichkeit, auch hatte ich kaum eine Vorstellung, wo ich mich würde niederlassen können, was nötig war, damit ein bisschen echte Feierlichkeit entstehen konnte. Das hielt ich ja auch für nötig, denn feierliche Gefühle wollte ich gerade heute nicht entbehren. Der Entbehrungen hatte ich in den vergangenen Monaten genug gehabt! Und nun gelang mir tatsächlich ein leises Aufschreien, für das ich mich zu schämen begann, obwohl kein Mensch in der Nähe war. Hätte einer das gehört, das wäre schrecklich gewesen! Wo war die "feierliche Örtlichkeit", die ich für mich heute brauchte? Meine Augen tasteten jeden Punkt meiner unmittelbaren Umgebung ab. Hier war ich vorher noch nie gewesen. Gewiss kannte mich hier kein Baum (!). Und noch gewisser fand ich es hier keineswegs gemütlich, was die Voraussetzung für die Entstehung der echten Feierlichkeit war.
Dann zog ich aus meiner linken Manteltasche (Ich trug immerhin einen festen Wintermantel, der innen dick gefüttert war!) einen Schokoladen-Nikolaus, den ich sofort essen wollte. Der Hunger war inzwischen zu groß geworden. Also setzte ich den Weihnachtsbaum auf dem Schnee ab, um mich dem Nikolaus zu widmen. Es war ein ganz typischer Nikolaus aus einem der Discounter im Stadtteil, wo ich wohnhaft war. Geschickt zog ich die Aluminiumfolie an dem Teil des Nikolaus ab, wo der rote Nikolaus-Mantel fast bis zu den schwarzen Nikolaus-Stiefeln reichte. Ein Stück Schokolade aß ich jetzt mit Genuss. Plötzlich setzte wieder Schneefall ein. Ich hätte flüchten mögen, doch ich beherrschte mich. Die Örtlichkeit musste unbedingt gefunden werden, es wurde mir jetzt schon zu einer Art Ritual. Würde ich in den nächsten Jahren immer wieder in dieses Waldstück keine fünf Kilometer von meinem Wohnhaus entfernt gehen, um meine eigene kleine Weihnachtsfeier zu zelebrieren (Oder nur zelebrieren zu wollen?). Das war natürlich möglich. An diesem Abend musste ich mich auf jeden Fall sehr beeilen. Als die Schokolade verputzt war, ging ich also schnell weiter. Leider drohte mir das Versagen, denn ich sah weit und breit nichts Geeignetes. Es war ein Abend, ein Heiliger Abend, den ich zu hassen begann, weil ich mir - ein wenig naiv - viel mehr Gefühlsweltliches von ihm erhofft hatte.

Ein Christkind aus echtem Kristallglas, keine drei Zentimeter groß, fand ich schließlich überraschend in meiner linken Hand, als ich sie einmal während des Gehens durch den Schnee öffnete. Das Christkind schaute ich mir genauer an, als ich dann vor einer winzigen Baude (Kaum mehr als ein besserer Windschutz!) stand, die vorzufinden ich nicht erwartet hatte.

"Die hier?" entfuhr es mir aber auf der Stelle, ansonsten entfloh mir kein Tönchen an diesem ungewöhnlichen Abend. Ich ließ das Christkind in meiner Manteltasche verschwinden. Und ich befand sogleich, dass diese Baude nicht völlig ungeeignet sein konnte, so dass ich nach ihrer Eingangstür suchte, jedoch war da keine zu sehen. Sehr stark frierend, sprang ich in die Höhe und ließ mich auf nassem Geäst fallen, was da so herumlag. Der Weihnachtsbaum, der bis dahin fest in meiner Hand gewesen war, entglitt nun meiner Hand und landete unsanft. Ich blickte auf dem Rücken liegend ins Halbdunkel dieses Abendwaldes, der so unheilig war wie nichts sonst auf Erden.

So kam es mir jedenfalls vor. 

By Kay Ganahl
Copyright By Kay Ganahl.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (11.08.19)
Vielleicht auch noch ein "All rights reserved" dazu? Und ein echtes Copyright-Zeichen? Und ein Link zu einer Lizenzvereinbarung? Und ein Wasserzeichen, in dem ebenfalls "Von Gay Ganahl" steht? Ja, muss doch sein, oder? Damit auch jeder in der ganzen Welt weiss: Diese Geschichte ist von Gay Ganahl. Und von keinen anderen! Niemals! Nirgends!

 FrankReich meinte dazu am 11.08.19:
Mensch, Dieter, was ist denn los mit Dir, bist Du jetzt zwischen die Copywriter gefallen, in irgendein Tintenfass, oder gar ein schwarzes Loch? Komm da bloß wieder raus, und veröffentliche doch mal wieder selbst etwas!
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