Das Geschenk

Anekdote zum Thema Aufmerksamkeit

von  Bluebird

Illustration zum Text
(von Bluebird)
Als ich im letzten Frühjahr frühabends - mein Fahrrad neben mir her schiebend - über die recht belebte Kölner Domplatte ging, wurde ich auf einmal durch eine helle Jungenstimme aus meinen Gedanken aufgeweckt: „Papa, Papa, schau mal was ich gefunden habe. Was ist das?“ Unwillkürlich wendete ich meinen Blick und sah, wie ein etwa 5-6 jähriger Junge einem Mann mittleren Alters ein kleines Heftchen hinhielt.
      Der Vater nahm es dem Jungen im Gehen aus der Hand: „Das Geschenk! Komischer Titel“. Er begann in dem Heftchen zu blättern und rief kurz darauf erstaunt aus: „ Aaah! Das ist ein Bibel-Comic! Mal sehen wer der Herausgeber ist!“
    Er blätterte weiter und lachte dann triumphierend auf: „Hab ichs mir doch gedacht. Christliche Schriftenmission!“ Und zu seinem Sohn gewandt: „Das ist nichts Vernünftiges. Ich werfe es gleich weg.“ „Nein, nein,“ protestierte der Sohn, „das gehört mir. Ich habe es gefunden. Gib es wieder her!“
    Mittlerweile hatte ich realisiert, dass zu den Beiden noch eine Frau mittleren Alters und ein Mädchen von etwa acht Jahren gehörten, die sich hatten bislang aber zurückgehalten hatten. Aber jetzt sagte die Tochter: „Papa, ich will das auch mal sehen.“
    Solchermaßen gefordert entschied der Vater kurzerhand. „Wisst ihr was? Wir lesen das gleich gemeinsam im Zug.. Da könnt ihr dann mal sehen, was für ein Unsinn so in der Bibel steht!“
 
Diese kleine Familienszene hatte zwar meine Aufmerksamkeit geweckt und mich ärgerte diese recht überhebliche Bemerkung des Vaters etwas, - was tat er da eigentlich seinen Kindern an - aber ich mass dem Ganzen keine tiefere Bedeutung bei. Allerdings kannte ich dieses kleine Comic- Heftchen. Ein ehemaliger christlicher Mitbewohner in einer Bremer WG hatte etliche solcher Missions-Hefte gehabt, u.a. auch dies mit dem Titel „Das Geschenk“, was sich auf Jesus als das wahre Gottesgeschenk bezog.
  Inzwischen war ich weitergegangen, als ich auf einmal aus dem Augenwinkel den Vater mit seinen beiden Kindern zu einem Brunnen laufen sah. An sich nichts Ungewöhnliches. Aber plötzlich wurde ich die Mutter gewahr. Sie ging in etwa einem Meter Entfernung neben meinem Fahrrad. Ein seltsamer Zufall, dachte ich, obwohl ich ahnte, dass es kein Zufall war. Es hatte eine Bedeutung. Aber welche? Nach ein paar Metern blieb die Frau stehen und beobachtete ihre Familie am Brunnen.

Ich war langsam weitergegangen und hatte nachgedacht. Mir waren meine Flyer im Rucksack eingefallen. Die hatte ich immer bei mir und bei Gelegenheit gab ich sie weiter. Sie enthielten einen kurze Zusammenfassung meiner Bekehrungsgeschichte mit Link zu meiner Homepage, wo man die ganze Geschichte lesen kann  hier
    Ich hätte ihr den Flyer vielleicht geben sollen, dachte ich. aber egal, nun ist es eh zu spät dafür.
Ich blieb kurz an einer Domtüre stehen, überlegte kurz ob ich mein Fahrrad in der Nähe anschließen und hineingehen sollte, entschied mich aber für`s Weitergehen, als ich plötzlich gewahr wurde, dass die Frau wieder neben mir her ging. Das gibt es doch nicht, dachte ich. Es bewegten sich Hunderte von Menschen auf der Domplatte und ausgerechnet sie ging nun wieder neben mir. Dafür gab es nur eine vernünftige Erklärung: Ich soll ihr einen Flyer geben.
Aber als ich mich endlich durchgerungen und den Flyer aus den Rucksack geholt hatte, war sie schon wieder im Gewühl verschwunden. Irgendwie erleichert aber auch mit schlechtem Gewissen ging ich zum Hauptportal des Doms. Ich hätte ihr den Flyer geben müssen. Wer weiss welcher Segen da jetzt verloren geht, ging es mir durch den Kopf. Andererseits eine wildfremde Frau anzusprechen und ihr einen Flyer in die Hand zu drücken, war überhaupt nicht mein Fall.
    Ich hakte die Sache aber mit einem Gefühl des Versagt-habens ab und blieb vor einem Plakat stehen, was zu einer Abendveranstaltung im Dom einlud. Interessant, dachte ich, entschied mich aber doch erst einmal für´s Kaffeetrinken.

Ich hatte gerade die Domtreppen in Richtung Hauptbahnhof erreic ht, als ich auf einmal die Familie von zuvor herannahen sah. Und dann geschah das Unglaubliche.Während der Vater und die beiden Kinder die Domtreppen hinunterliefen, blieb die Mutter abrupt in etwa einem Meter Entfernung von mir stehen. Sie holte eine Digitalkamera aus ihrer Handtasche hervor und machte ein Foto vom Bahnhofsvorplatz.
  Ich nahm nun allen Mut zusammen und sprach sie an. „Hallo,“ sagte ich. Sie schaute mich überrascht an. Schnell sprach ich weiter: „Ich habe zufällig die Sache vorhin mit dem Heftchen mitbekommen. Sie wissen schon, das mit dem Titel: Das Geschenk.“ Und bevor sie auch nur irgendwie reagieren konnte setzte ich mein charmantestes Lächeln auf, hielt ihr den Flyer hin: „Ich habe ein Buch geschrieben. Eine wahre Geschichte, die ich selber erlebt habe. Und die möchte ich Ihnen gerne schenken.“
    Sie nahm den Flyer entgegen und schaute kurz drauf. „Unten steht der Link zu meiner Homepage. Da finden sie dann das Buch. Viel Spass damit!“ Sie entgegnete: „Danke schön! Das werde ich tun!“ Und mit einem freundlichen Lächeln verabschiedete sie sich und ging die Domtreppen hinunter.

Mich durchströmte ein Glücksgefühl. Nun hatte ich meinen Auftrag doch noch erfolgreich durchgeführt. War über meinen Schatten gesprungen! Aber was für eine unglaubliche Lenkung von oben. Dreimal war die Frau wie aus dem Nichts – beziehungsweise einem riesigen Menschengewusel - neben mir aufgetaucht.
  Ja, dachte ich, wer weiss was dieser Tag für eine Wirkung im Leben der Familie haben wird, wenn ER so mit Nachdruck darauf bestanden hat, dass ich den Flyer mit meiner Bekehrungsgeschichte weitergebe. Es war ein wohl tatsächlich ein Geschenk Gottes gewesen

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(06.01.15)
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 Bluebird meinte dazu am 06.01.15:
Klar, aber dieses "Anstupsen" hat auch eine innere Seite Man versteht wie bei einer vertrauten Person, die einem einen Blick, ein Zeichen gibt, was gemeint ist .... Und so ist das auch in meiner fast dreißig-jährigen Gottesbeziehung ... da reichen solche "Anstupser" oder "Fingerzeige" oft aus ..Ein beziehungsinternes, intuitives Verstehen ...
(Antwort korrigiert am 06.01.2015)

 Dieter_Rotmund (06.01.15)
Gerne gelesen, vor allem, weil man die Geschichte aus mehreren Blickwinkeln lesen kann, m.E.:

1. Ein eher unbeholfener Versuch eines Vaters, seinem Sohn etwas Medienkompetenz beizubringen. Der Blick ins Impressum solcher Zeitschiften ist in der Tat wichtig und sollte als Erstes gemacht werden.

2. Menschen, die ihre persönliche Bekehrunggeschichte auf ein Flugblatt drucken und eine Homepage dazu haben. [...] Ich habe einige Jahre in Köln gewohnt und bin dort oft auf solche Menschen wie die Protagonistin / den Protagonisten gestoßen, das wirkt auf mich also sehr glaubwürdig. Um in dieser Stadt halbwegs bei Verstand bleiben zu können, nenne und nannte ich diese Menschen Spinner. Das mag etwas hart klingen, aber ist bei näherer Betrachtung zutreffend, diese rheinländische Kombination von persönlicher Außenwirkung (hier: Flugblatt und HP), Missionierungsgedanken (hier: Flugblatt verteilen), christliches Sektierertum (Thema des Flublattes) und Selbstdarstellung (alles zusammen). Gerade die Domplatte ist vermutlich der bundesweit attraktivste Anziehungspunkt für die so called Spinner.
Nichts für ungut, ich weiß, dass sich hier bei kV viele am Thema Religion abarbeiten!

3. In Köln gab und gibt es ein reichhaltiges Programmangebot an Kinofilmen. Manchmal konnte ich mich nicht entscheiden, ging zur U-Bahnhaltstelle und ließ mich davon anleiten, wohin die nächstbeste Bahn fuhr. Das war natürlich mitnichten ein "Wink des Himmels", wie man so sagt, ein "Gott" hatte sicherlich nichts damit zu tun, sondern Zufall und die KVB und ihre schäbigen Junkie-Kutschen...
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