Wie ein Vorläufer der Bergpredigt

Erörterung zum Thema Widerstand

von  loslosch

Iniuriarium remedium est oblivio (Publilius Syrus, 1. Jh. v. Chr.; Sententiae). Ein Gegenmittel für (erlittenes) Unrecht ist das Vergessen.

Rachegelüste waren zu allen Zeiten gewichtige Verhaltensfaktoren, in der Antike mit unterentwickeltem Rechtssystem ausgeprägter als heute. So erklärt sich womöglich der hochmoralisch wirkende Spruch aus dem letzten vorchristlichen Jahrhundert. Er wurde von vielen antiken Schriftstellern, nicht zuletzt Seneca, zum Vorbild genommen. Die Sentenz klingt wie der Vorläufer zum Spruch der Bergpredigt. Dort sagt Jesus nach der Überlieferung: Wenn dir einer auf die rechte Backe haut, so halte ihm auch die andere hin. Die theologisch gewitzten Ausdeuter laufen sich bei der Interpretation den Rang ab. Im Extrem folgern einige Exegeten, Jesus habe hier eine Provokation empfohlen. Wenn der Schlagende, normalerweise Rechtshänder, die linke Backe treffen will, schlägt er mit der Rückhand, so wie der Römer den Sklaven als Ausdruck seiner Geringschätzung. Nur ein Schlagen auf die rechte Backe würde einem "standesgemäßen" Schlag unter Vollbürgern gleichkommen. Nein, eine Provokation dürfe es nicht sein, sagen andere Exegeten. Und es stünde zur Gesamtaussage Jesu im Widerspruch.

Was bleibt? Der Appell Jesu zum Verzicht auf Gegenwehr und auf das Hinnehmen des Leidens. Mit der Empfehlung, erlittenes Leid zu vergessen, war somit Publilius Syrus etliche Jahrzehnte früher eine Art Vorreiter dieses wohl praxisuntauglichen Modells. Doch Mahatma Gandhi hat es erfolgreich getestet, in einem Großversuch mit Abertausenden von Anhängern. Dann ja!

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (08.02.16)
Manche Menschen reden sich erlittenews Unrecht so lange schön, bis es eine so geringe Quantität hat, dass sie es vergessen können.

 loslosch meinte dazu am 08.02.16:
vermutlich handelt es sich um eine (aussterbende?) minderheit. oder hast du andere erfahrungen gemacht? meine mutter zb hatte ein elefanten-gedächtnis.

 TrekanBelluvitsh (08.02.16)
Nur oft genug lässt das Unterbewusstsein dieses Gegenmittel nicht zu.

 loslosch antwortete darauf am 08.02.16:
ja. nur bei der "guten alten zeit" ist es ein wenig anders.

 niemand (08.02.16)
Die "andere Wange auch noch hinzuhalten" das mag ja praktizierbar sein, aber wohl eher für Masochisten.
Für mich käme das nicht in Frage. Ich bin für sich nicht alles bieten zu lassen. Nur weil jemand auf eine Idee kommt, muss ich diese nicht befolgen. LG Irene

 loslosch schrieb daraufhin am 08.02.16:
masochistisch versus heldenhaft. die kirche selbst hat es in ihrer 2.000-jährigen geschichte nicht vorgelebt, ausgenommen einige märtyrer. lo

 niemand äußerte darauf am 08.02.16:
Was sagt man von Helden? Heldentum und Dummheit liegen oft nah beieinander ...
Graeculus (69)
(08.02.16)
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 loslosch ergänzte dazu am 08.02.16:
nr. 1 kannte ich nicht. erkennt der gewalttäter dieses motiv, könnte das einen wutanfall bei ihm auslösen. nr. 2 wirkt auf agnostiker wie atheisten so: einfach peinlich.
Graeculus (69) meinte dazu am 08.02.16:
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