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Novelle zum Thema Weihnachten

von  Skala

Es dauerte keine fünf Minuten, und die junge Kellnerin stand wieder an Kowalskis Tisch. Er erhob sich von seinem Stuhl und wartete, bis sie sich ihm gegenüber gesetzt hatte, bevor er wieder Platz nahm. Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann fasste sich Kowalski ein Herz, räusperte sich und öffnete den Mund, um etwas zu fragen, als ihm die Kellnerin zuvorkam: „Ich dachte, Sie hätten vielleicht gern etwas Gesellschaft beim Mittagessen. So an Weihnachten.“ Sie zwinkerte, aber Kowalski war sich sicher, dass sie es ernst meinte.
„Ihre Gesellschaft ist mir viel lieber, als gar keine“, entgegnete er. „Aber Sie müssen wirklich nicht Ihre wohlverdiente Pause damit verbringen, einen alten Mann zu bespaßen.“
„So alt sind sie doch noch gar nicht“, entgegnete die Kellnerin prompt, und Kowalski grinste.
„Da haben Sie Recht. Eigentlich bin ich erst neunundzwanzig.“

Die Kellnerin lächelte unsicher. „Das war jetzt aber ein Witz, oder?“
Kowalski gluckste. „Mehr oder weniger“, sagte er. „Aber sagen Sie – Sie haben eben vermutet, wir würden uns von irgendwoher kennen?“
Die Kellnerin schaute ihm offen ins Gesicht und nickte. Kowalski versuchte, ihr nicht zu lange in die Augen zu starren, und hielt seine Augen damit beschäftigt, die Sommersprossen auf ihrer Nase zu zählen. Es waren dreizehn. „Ja“, gab sie zu. „Irgendwoher kommen Sie mir bekannt vor, und ich versuche schon seit Sie das Restaurant betreten haben, herauszufinden, woher. Kommen Sie hier aus der Stadt?“
Kowalski überlegte einen Moment und antwortete dann ein zweites Mal mit: „Mehr, oder weniger.“
„Wie meinen Sie das?“
„Ich habe früher mal hier gewohnt“, sagte Kowalski.
„Was hat Sie – Entschuldigung, ich habe Sie noch gar nicht nach Ihrem Namen gefragt!“
„Kowalski“, sagte Kowalski.

„Was verschlägt Sie ausgerechnet an Weihnachten wieder in diese reizende Gegend, Herr Kowalski? Besuchen Sie Verwandte?“
Kowalski nickte. „Das kann man so sagen“, sagte er. Eine andere Kellnerin trat zu ihnen an den Tisch, stellte einen Teller dampfende Nudeln vor Kowalski und ein Glas Cola vor ihre Kollegin.
„Chef sagt, du sollst nicht so lange herumtrödeln“, verkündete sie missmutig. „Ist ja nicht so, als wäre heute tote Hose.“ Sie wandte sich Kowalski zu. „‘n Guten.“ Kowalski, bereits Gabel und Löffel in der Hand, nickte lächelnd. Vorsichtig wickelte er eine kleine Portion Spaghetti auf seine Gabel, pustete und probierte. Seine Tischnachbarin hatte nicht zu viel versprochen – die Tomatensoße war köstlich.
„Guter Tipp“, lobte er.
„Das freut mich.“ Die Kellnerin lächelte und schaute Kowalski eine kleine Weile beim Essen zu. Dann nahm sie ihr Gespräch wieder auf. „Also Verwandtenbesuch, sagen Sie? Wo sind denn Ihre Verwandten, dass sie Sie so ganz allein zu Mittag essen lassen?“
Kowalski zuckte die Schultern. „Sie wissen doch, wie das mit Verwandtschaft und Weihnachten so ist“, entgegnete er lapidar. „Man geht hin, aber nicht gern. Und eigentlich ist jeder froh, wenn der andere sich möglichst früh wieder verabschiedet, oder etwa nicht?“

Die Kellnerin schaute etwas hilflos drein. „Also ... ich weiß ja nicht“, meinte sie zögernd. Dann runzelte sie die Stirn. „Kowalski“, sagte sie. „Sind Sie zufällig verwandt mit der Klavierlehrerin Kowalski?“
Kowalski blieben beinahe die Spaghetti im Hals stecken. Er hustete, nahm einen Schluck Wasser und keuchte: „hhch‘ssst meine Mutter.“
Die Kellnerin machte große Augen. „Ist das Ihr Ernst?“, und Kowalski bereute augenblicklich seine spontane Ehrlichkeit.
„War eine Teenagerschwangerschaft, damals“, erklärte er hastig. „Meine Mutter war sehr jung. Ja.“
„Hmm.“ Die Kellnerin beäugte ihn skeptisch. „Wissen Sie, ich hatte jahrelang Klavierunterricht bei Ihrer Mutter ... Ihr Verhältnis ist nicht das Beste, nicht wahr?“
Kowalski breitete die Arme aus. „Meine Anwesenheit hier sagt eigentlich alles, oder?“

„Auch wieder wahr.“ Die Kellnerin schlug die Augen nieder. „Im ganzen Haus gab es kein Bild von Ihnen“, sagte sie dann leise. „Nur von Ihrem Bruder – er muss doch Ihr Bruder sein, habe ich Recht? Ich habe ihn nur ein paar Mal kurz gesehen, aber Ihre Mutter schien auch zu ihm ein eher ... angespanntes Verhältnis zu haben. Trotzdem ...“ Sie blickte wieder auf. Kowalski saß wie versteinert da.
„Katharina?“, fragte er nur.
„Ja?“, sagte die junge Kellnerin unsicher. „Woher – woher kennen Sie meinen Namen?“
„Ähm.“ Kowalski wusste keine Antwort auf diese doch sehr berechtigte Frage – zumindest keine, die nichts mit der vollkommen absurden Wahrheit zu tun hatte. Sich selbst im Geiste verfluchend sprang er auf, kramte einen alten Fünfzigeuroschein aus seinem Portemonnaie, warf ihn auf den Tisch und verließ mit einem „Danke, stimmt so, frohes Fest noch!“ das Restaurant.

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