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Novelle zum Thema Weihnachten

von  Skala

Kowalski rechnete sich keine Chancen aus, in dem kleinen italienischen Restaurant einen Tisch zu bekommen, nicht an Heiligabend, doch er hatte Glück. Eine junge Kellnerin führte ihn zu einem kleinen Tisch in einer Ecke des freundlichen, hellen Lokals, das, einziger Wermutstropfen, wie Kowalski fand, mit einer scheußlichen Mischung aus roten, grünen und weißen Christbaumkugeln und blinkenden Lämpchen dekoriert war.
„Danke“, sagte Kowalski, als er sich setzte, die Plastiktüte mit der Weinflasche und seine Aktentasche unter den Tisch stellte, und ihm die Serviererin eine Karte reichte.
„Darf es schon etwas zu trinken sein?“, erwiderte sie. Kowalski bestellte ein Glas Wasser und schaute ihr hinterher, als sie sich einem anderen Tisch zuwandte. Die junge Frau kam ihm bekannt vor, aber dieses Gefühl hatte er auf seiner nun bereits zweiten Reise zu den Weihnachtsfeiertagen seiner Vergangenheit des Öfteren gehabt. Kowalski schmunzelte. Von Stappert einmal abgesehen, dem nicht einmal aufgefallen war, dass sein Arbeitskollege plötzlich um sechzehn Jahre gealtert war, hatte ihn noch niemand erkannt, was Kowalski beinahe bedauerte. Er schaute sich im Restaurant um. Sonst kein bekanntes Gesicht.

Niemand sonst saß allein am Tisch. Kowalski beobachtete die Familien, Pärchen und Gruppen, deren Zusammensetzung sich ihm nicht auf den ersten Blick erschloss. Er schluckte. Auch, wenn er genau wusste, dass er eigentlich nicht hier sein sollte, dass er nicht in diese Zeit gehörte, und nur ein Beobachter aus der Ferne war, so machte ihm schon zu schaffen, dass die einzige Person, mit der er seit, ja, seit wann eigentlich, ein längeres Gespräch geführt hatte, ein uralter Schaffner war, der sich partout weigerte, ihm auch nur eine einzige Frage klar und eindeutig zu beantworten.
Kowalski starrte in die Speisekarte, ohne ein Wort zu lesen.

Irgendwann kam die Kellnerin mit seinem Mineralwasser zurück und zückte ihren Notizblock.
„Ähm“, machte Kowalski hilflos.
„Wenn Sie noch nicht soweit sind, lasse ich Ihnen noch ein paar Minuten“, bot die Kellnerin an, doch Kowalski schüttelte den Kopf.
„Schon gut. Können Sie mir etwas empfehlen?“
Die Kellnerin zuckte die Schultern. „Unsere Pizzen sind sehr gut, wir haben ausgezeichnete Pizzabäcker in der Küche, aber – unter uns gesagt, auch wenn das jetzt wirklich platt klingt – ich finde, das Allerbeste hier sind die Spaghetti al Pomodoro. Die Tomatensoße ist ein Geheimtipp, wird nur leider nicht so oft bestellt, klingt wohl zu unspektakulär. Aber ...“ Sie machte eine bedeutungsvolle Pause, die Kowalski dazu nutzte, ihr die Speisekarte zurückzugeben und „Die würde ich dann gerne einmal versuchen“, zu sagen.

Die Kellnerin lächelte, nahm die Karte an sich und wandte sich zum Gehen. Dann drehte sie sich aber noch einmal zu Kowalski um, schaute ihm ins Gesicht und sagte: „Entschuldigen Sie, dass ich Sie so direkt frage, aber ... sind wir uns schon einmal irgendwo begegnet? Ich meine, außerhalb dieses Restaurants?“
Kowalski zog die Augenbrauen in die Höhe. „Das habe ich mich auch gefragt“, gestand er. „Aber ich war mir nicht ganz sicher.“ Verlegen fuhr er sich mit der Hand durch die Haare und fragte sich, wie er wohl mittlerweile aussehen musste (und wie er wohl roch, aber diesen Gedanken verdrängte er, so gut es eben ging). Die Kellnerin schaute ihn nur an und kaute auf ihrer Unterlippe herum. Dann nahm sie eine entschlossene Haltung ein. „Wissen Sie was“, erklärte sie bestimmt, „meine Kollegin fängt in ein paar Minuten mit ihrer Schicht an. Ich bringe jetzt Ihre Bestellung in die Küche, und dann mache ich eine Viertelstunde Pause. Wenn Sie möchten, können wir uns ein wenig unterhalten.“
Kowalski lächelte. „Danke“, sagte er. „Das wäre sehr schön.“

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Kommentare zu diesem Text

Gerhard-W. (78)
(13.12.16)
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 sandfarben (13.12.16)
Ich freue mich auf morgen...
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