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Novelle zum Thema Weihnachten

von  Skala

Kowalski wusste nicht, wie lange er bis zum Bahnhof zurück gebraucht hatte – es mochten zehn Minuten gewesen sein, oder eine halbe Stunde, er konnte es partout nicht sagen. Was zählte, war, dass der Regionalexpress noch genau dort stand, wo er ihn verlassen hatte. Kowalski sprang die Stufen zum Bahngleis hinauf und hämmerte ungeduldig auf den Türknopf. Der Schaffner stand bereits hinter der Tür. Gelangweilt kratzte er an irgendetwas unter seinen Fingernägeln herum und blickte überrascht auf, als Kowalski wie der Leibhaftige in den Zug gesprungen kam. „Und?“, fragte er. „War’s nett?“
„Nett?“, keuchte Kowalski und lehnte sich schwer atmend vor. „Nett? Na ja, gut, das Mittagessen vielleicht, aber ... nett?“ Er schüttelte den Kopf.

„Ein nettes Mittagessen ist doch besser, als nichts. Und der Rest?“
Kowalski wischte sich über das schweißnasse Gesicht. „Ich weiß jetzt auf jeden Fall, mit wem ich Weihnachten 2016 nicht verbringen werde, so viel ist sicher.“ Er hielt sich mit einer Hand an einer Stange fest, denn der Zug nahm langsam wieder Fahrt auf.
„Das ist doch schon einmal etwas wert“, meinte der Schaffner gutmütig und fuhr mit dem Putzen seiner Fingernägel fort.
„Hmm“, machte Kowalski und stellte dann die Frage, die ihm seit dem Mittagessen auf dem Herzen brannte: „Sagen Sie – sind Sie sich sicher, dass meine Anwesenheit hier im Jahr 2003, oder auch 1997, wirklich rein gar nichts an der Zukunft verändert? Nicht einmal das kleinste bisschen? Vielleicht eine winzige Erinnerung?“ Hoffnungsvoll blickte er dem Schaffner direkt in die Augen, doch dieser erwiderte seinen Blick äußerst mitleidig.
„Es tut mir leid, das habe ich Ihnen doch schon gesagt. Niemand wird sich an Ihre Erlebnisse erinnern – einmal abgesehen von Ihnen selbst.“

„Oh“,, machte Kowalski leise und schaute betreten auf den Boden. „Es ist nur so ... ich hatte gehofft ...“
„Tja“, machte der Schaffner. „Das hoffen viele. Aber leider gibt es an der Vergangenheit nichts zu rütteln. Das ist ein Ammenmärchen, eines der beliebtesten, und ich bin mir nicht sicher, wer es in die Welt gesetzt hat.“
„Hmm.“ Kowalski lief ein Stück den Gang entlang und ließ sich auf einen Sitz fallen. Der Schaffner folgte ihm.
„Ist es denn wirklich so wichtig für Sie, Ihre Vergangenheit zu ändern? Oder sogar die von jemand anderem?“
„Das weiß ich noch nicht sicher“, gab Kowalski zu. „Vielleicht brauche ich ja noch ein drittes Weihnachtsfest, um mir ganz sicher zu werden.“
Der Schaffner lächelte. „Ich sehe“, sagte er, „Sie haben unsere Arbeitsweise verstanden. Ich gratuliere Ihnen, Herr Kowalski.“ Er warf einen Blick zur Zeitanzeige. „Schauen Sie mal, wir sind schon im richtigen Jahr angekommen.“
Kowalski warf einen Blick nach oben. 24.12.2015.

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Kommentare zu diesem Text


 Songline (17.12.16)
Schrieb ich schon, dass ich mich täglich auf Kowalski freue? Nein? Dann mache ich das hiermit. Ich genieße die täglichen Türchen.
Liebe Grüße
Song
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