Herr und Frau Tarantel gehen beim Zebrastreifen über die Straße. Sie waren im Spinnensupermarkt einkaufen und Herr Tarantel schleppt schwer an den Tüten. Seine matt glänzenden Facettenaugen beobachten misstrauisch den Verkehr zu beiden Seiten der Straße, denn seit dem Unfall im letzten Winter hat er nur noch sieben Beine. Frau Tarantel schaut ungeduldig tadelnd hinter sich, während ihr Mann, der etwas kleiner ist als sie und behäbiger, sich für ihren Geschmack wieder einmal zu sehr Zeit lässt. Mit einem Satz springt sie auf den Bordstein, schüttelt raschelnd ihr borstiges Haar und zieht sich schnell mit Kajal den Lippenansatz über der Kau- und Greiföffnung ihres gedrungenen Schädels nach, der ansatzlos in den beleibten Körper übergeht.
„Komm jetzt, Schatz, ich möchte rechtzeitig zuhause sein, sonst werden die Menschenteile noch schlecht. Und die Weberknechts kommen doch immer so überpünktlich.“
„Ja, ja, ich komme. Du weißt: mein Bein, das ab ist.“
„Ja, das Bein. Jetzt komm!“
Herr Tarantel hüpft auf den Gehsteig, gerade noch rechtzeitig, um einem heranbrausenden Omnispinnenbus auszuweichen.
„Verdammte Spinner, diese Busfahrer.“
„Jetzt mach doch `mal, Liebling!“
’Mach doch `mal, mach doch `mal’, denkt Herr Tarantel, ’mach`s dir doch selbst’, wagt es aber nicht, den Satz laut auszusprechen. Stattdessen spritzt er dem davoneilenden Fahrzeug eine Ladung Gift hinterher, die jedoch im Rinnstein verpufft. Er wischt sich den Geifer fort und hinkt missmutig seiner Frau hinterher.
Im lichtgedämpften Hofeingang begegnen sie Kreuzspinners. Es wird freundlich gegrüßt, hohle Plattitüden werden ausgetauscht, doch eigentlich weiß die gesamte Spinnennachbarschaft, dass Tarantels das Nest der Kreuzspinners im Frühjahr ausgeräumt und den gesamten Nachwuchs vertilgt haben. Aber das ist eben der Lauf der Dinge.
Tarantels schließen die Tür hinter sich und Frau Tarantel macht sich in der Küche daran, das Abendessen zuzubereiten.
„Hilf mir `mal bitte, Schatz, der Mensch ist noch zu sehr am leben. Da haben sie an der Fleischtheke wieder nicht richtig aufgepasst.“
Herr Tarantel kommt mürrisch aus dem Wohnzimmer, kniet sich über das Abendessen und lähmt den wimmernden Menschen mit einem unwirschen Biss in die Kehle, um sich dann wieder seiner Zeitungslektüre zu widmen.
„Immer Ärger mit dem Essen.“
„Aber ein bisschen leben muss es ja noch.“
„Aber nicht zu sehr, und jetzt lass mich kurz ausruhen und die Zeitung lesen.“
Manchmal denkt Frau Tarantel darüber nach, ob es nicht allmählich an der Zeit sei, sich nach einem frischeren Modell umzusehen. Sie wird schließlich auch nicht jünger, und wenn es mit der Begattung das nächste Mal wieder nicht klappen sollte, stünde eben Ehemann auf der Speiseliste, obschon an ihm nicht viel dran wäre, wie sie immer wieder zu bedauern geneigt ist.
Kurz vor acht klingelt es und Familie Weberknecht wird ins Wohnzimmer gebeten. Die Konversation ist dezent, aber anregend, man redet über die Arbeit, genießt den Blutwein Cabernet und verspeist den Menschen komplett bis auf die Knochen. Als Nachtisch wird karamellisiertes Menschenkinderhirn gereicht, ganz frisch und zart. Frau Tarantel hatte es extra bei Feinkostspinn bestellt.
„Was macht der Nachwuchs, Frau Weberknecht?“, erkundigt sich Frau Tarantel.
„Nun, wissen Sie, es gibt ja immer etwas zu tun und zu bemängeln, und man hat soviel Arbeit, die Kleinen davor zu bewahren, sich gegenseitig zu verspeisen.“
„Bringen Sie die Kinder das nächste Mal doch mit zum Essen. Mein Mann freut sich immer so, wenn die Wohnung voller Leben ist.“
„Ach eigentlich, es klappt sehr gut, so wie es läuft, wissen Sie. Haben Sie recht schönen Dank. Ich weiß doch wieviel Arbeit das jedes Mal ist in der Küche, und der Mensch, der ist Ihnen wirklich vorzüglich gelungen.“
„Ja, wirklich?“
„Ja, das findet mein Mann auch. Wo ist er denn?“, Frau Weberknecht sieht sich zittrig um und huscht nervös mit den dürren Beinen.
„Wer?“
„Mein Mann. Heinz? Heinz, wo bist du denn?“
„Ach, die nehmen bestimmt nur einen Zug auf dem Balkon.“
„Was?“
„Eine Zigarette vielleicht.“
Heinz Weberknecht ist gerade in einer dunklen Flucht der Zimmerdecke von Herrn Tarantel betäubt worden und wird nun allmählich ausgesaugt, bis sein Körper nur noch als totes Skelett dahängt. Der war ihm nämlich im Netz der Karriereleiter irgendwie in die Quere gekommen, und der Weber ist auch unablässig am Quatschen gewesen. Nervtötend. Und außerdem hat Herr Tarantel noch Hunger verspürt. Und er weiß natürlich, in diesem Moment, dass der nächste Begattungsversuch der letzte sein könnte. Da braucht man Stärkung. Jeder Akt kann der letzte sein. Und Mensch war aus.
© Rainer M. Scholz