Ein Schatten huscht leichtfüßig über das glänzende Parkett, aus den Augenwinkeln hast du ihn bemerkt; ruckartig wendest du den Kopf, und da läuft das Knäuel, unbemerkt geglaubt, unsichtbar, ungewollt. Du stöhnst an die Decke, erhebst dich, in deiner Ruhe gestört, von deinem Sessel, nimmst ein breitrandiges Glas aus der Schublade, das für diese Zwecke bereitsteht und stülpst es über die Spinne, um sie so hinauszubefördern. Doch die Spinne, die kaum unter das gewöhnliche Trinkglas passt, bewegt das Behältnis von sich aus weiter, sie läuft mit dem Glas, das sie scheinbar nicht aufhalten kann, weiter, schiebt ihr durchsichtiges Gefängnis weiter über das Parkett. Die Ränder singen, geben einen hohen Ton von sich, wie auf einer Schiefertafel. Es singt und klingt und unter dem Glas ist die Spinne, die mit aller Macht flüchten will. Du hast das Glas über sie gestellt, um sie so einigermaßen wohlbehalten nach draußen befördern zu können, hast sie nicht zertreten oder erschlagen, und sie, die du retten wolltest vor dir selbst, dankt es dir, indem sie sich wehrt und rennt und schiebt und drückt mit ihren acht hohen Beinen, ihrem klumpigen Körper, ihrer Verzweiflung. Das Glas schiebt über das Parkett.
Dann stürzt es um, die Spinne steht auf, schaut dich an und fragt: „Wohin soll das denn führen?“, sie habe nicht mehr atmen können, ob du sie habest umbringen wollen. Verblüfft zuckst du entschuldigend mit den Schultern, dir fehlt die Sprache. Sie glotzt dich herausfordernd mit ihren schwarzen Facettenaugen an, ihre Arme schlenkern an ihrem Körper. Sie brabbelt etwas von großer Idiotie und Ignoranz, dass Speichelfetzen an die Tapete klatschen, dann dreht sie sich unwirsch um und geht zur Terrassentür hinaus, um in der Kirschlorbeerhecke zu verschwinden. Ich starre ihr schuldbewusst hinterher.
Weiß Gott, was die Kakerlaken neulich unter dem Sofa mir erzählt hätten. Wenn sie noch hätten sprechen können. Ich bin mir da nicht mehr ganz sicher.
© Rainer M. Scholz