Das große Fressen

Kurzgeschichte zum Thema Gesellschaft/ Soziales

von  RainerMScholz


Ich ging also wieder die Straße entlang, um meine Wut in das blaue Grau des Asphalt zu treten.

Es lag an dem, was sie Arbeit nennen, an dieser Sklavenhaltergesellschaft, an der Schmierbäuchigkeit der Geldsäcke; es lag am unablässigen Geficktwerden, am Manchesterkapitalismus der C-Parteien, am Neoliberalismus der Roten, und die anderen sind doch bloß Dummschwätzer und Wichtigtuer oder bei der FDP; es lag am überhöhten Fahrgeld für verstunkene U-Bahnen die nie pünktlich sind und in denen der Bürgermeister nur für die Kameras fährt; an den Preisen für Kaffee, Bananen und Bier, der Inflation in den Taschen der Armen; an den Bettlern, Tagedieben und Hausbesetzern, die alle keine Chance haben und dennoch weiter machen. Es ging alles weiter! So wie es war, wie es ist, ist es in blutigen Zement gemeißelt. Es lag am Terror des ganz banalen Lebens, an den Folgen einer nicht bezahlten Telefonrechnung, einem kaputten Staubsauger, den Zeugen Jehovas. Es war breitgetretener Hundekot auf dem Bürgersteig. Es war die vergessene Weltrevolution, das Atomzeitalter, und den ganzen Computer-Bill-Gates-Kram kapierte ich sowieso nicht.

Ich hatte es satt, den Sonnenscheinjungen zu spielen unter den blinden Neonlampen einer Am-Fließband-krieg-ich-dich-Gesellschaft. Meine Augen starrten Kohlebriketts, meine Fäuste öffneten und schlossen sich um unsichtbare Rohrzangen, ich hatte rote hektische Flecken im Gesicht, ich wusste es ganz genau. Die abgetragenen Stiefel klackten auf dem Pflaster, als wollten sie mich in eine leergefegte Hölle tragen. Das hatten wir bereits hinter uns, da ich den Rost der Fabrik gefressen hatte und die Scheiße meines Vorarbeiters. Glückliche Menschen wachsen nicht! Es war eine einsame Gegend im Ghetto, zwischen den Betonsilos war alles Schatten, und bedrohlich schienen die Lichterigel aus verdorrten, vernachlässigten Wiesenstücken zur Markierung im Labyrinth von Kaspar-Hauser-Stadt.

Ich kochte, garte auf kleinen Scheiterhaufen, brodelte, brannte lichterloh, ich raste, sandte Blitze aus purem Hiroshima-Odem, verlor mich im Dunkel undurchdringlicher Böse!-geh ins Bett-Lyrik.

Hey, hastemal `ne Kippe, Alter?!".

Er war vierzehn. Ich sah es, roch es, schmeckte es im feinen Nieseln seiner Aura.

"Hey, ich red mit Dir, verstehste? Oder geb `mal fünf Mark.“.

Seine Kumpels standen in der Häusernische neben dem Eingang eines düsteren, abblätternden Häuserblocks Nummer vier. Sie kicherten hämisch und provozierend, als wüssten sie, was ich denke. Und bei Gott, sie wussten es. Dieser kleine Scheißkerl stand hier vor mir und trachtete danach, sich zu profilieren auf seine erbärmliche Weise, sich aufzublasen wie Quallensperma, um mir auf die Eier zu gehen. Dieser impertinente kleine Drecksack wollte mich ausrauben, entmündigen, in den Staub treten, wollte mich am Boden sehen, wie der Rest der Welt, und dazu wollte er rauchen, und zwar meine Zigaretten. Sie wollten die Kraftprobe. Die Horde junger Affen gegen den älteren, zerstörten Einzelgänger (nun ja). Ich würde sie nicht alle nehmen können.

"O.K., komm´ her, Kleiner.".

"Nenn´ mich nicht 'Kleiner', Du Schwanz. Ich will `was zu rauchen, Du verstehen? Gib `rüber, Mann.“.

"Aber selbstverständlich.".

Ich griff in die Tasche und zog ein Päckchen heraus, klopfte es auf den Handrist und bot ihm eine an.

"Nee, nee Alter, ich will dann schon noch welche für meine Kollegen dadrüben. Also?!".

Ich war ganz ruhig, ich war biegsames Schmirgelpapier und Gelee in Fässern. Ich kann`s selbst nicht fassen. Ich musste die Freundlichkeit in schlicht dermatologischer Hinsicht gewesen sein. Ich lächelte, nein, ich lachte über das ganze Gesicht. Wie ich lachte und kicherte und heulte vor Freude, ich schwitzte guten Willen aus wie ein neugeborener Buddha, ich war Jesus auf der Hochzeit zu Kanaan.

Ich ließ die Zigaretten fallen, nahm in einer blitzschnellen Bewegung seinen Schädel unter den Arm und rammte ihn mit Anlauf durch die eisengitterverstärkte Glasfasertür. Er blutete kaum, allerdings bewegte er sich auch nicht mehr. Alles war Brei und Schleim und troff wie klebriger Sirup von seinem Hals. Die anderen Typen waren starr vor Schreck, keiner rührte sich.

"Noch ein paar Kippen, ihr Arschlöcher?!".

Jedenfalls waren die dann weg. Rauchverbot auf öffentlichen Plätzen (oder gibt`s das schon?). Irgendwas. Merkwürdige hundsähnliche Sklavenkreaturen allesamt. Sollen sie in ihren Kinderkrippen krepieren!

Sein Körper hing halb auf meiner Seite und halb in der Tür. Glassplitter glitzerten feinsinnig im diffusen Licht des heruntergekommenen Treppenaufgangs. Ich rippte meinen Hosenlatz auf, zerrte seine Jeans herunter und fickte ihn von hinten. Ich glaube, er spürte sogar etwas. Er bewegte sich dabei und stöhnte wie ein Tier, aufgeilend röchelnd und brünstig wie Frauen, wenn sie ihre Tage haben. Besonders hart, besonders dreckig.

Ich spritze ihm das weiße Zeug `rein, wische mich ab und mache, dass ich wegkomme. Eine Scheiße ist das mit diesen Kids. Eine Scheißwelt, wo jeder das große Ficken so ganz nebenbei an der nächsten Ecke kriegen kann.




© Rainer M. Scholz


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