Übermensch

Kurzprosa zum Thema Philosophie

von  RainerMScholz

Das über den Löffel barbierte Osterlamm, das am Kreuz nach seinem Vater ruft und verzweifelt, während die Mutter schweigend zu seinen Füßen wacht, es ist das trimetaphorische Wesen aus Zeugung, Sein und Idee, vereinigt im Untergang, die Dreigestalt Gottes. Doch der Gezeugte, die Bezeugung, inkarniert das menschliche Scheitern, als Missgestalt und Aussätziger, als Gott der Verstoßenen und Geisterseher – unser aller Gott. Müssen denn die Schwachen und Kranken überleben in den Vorstandsetagen in Politik, Wirtschaft, Religion? Werden wir regiert von den Zurückgebliebenen, Versehrten an Körper und Seele und den im Geiste Armen, die nur zur Macht gelangen konnten, weil eine Kirche die Lehren dieses Gekreuzigten deformiert und pervertiert, dank eines Gottes, der die Schwachen nicht nur nicht tötet, sondern gar favorisiert? Sind deswegen die Starken schwach und die Schwachen stark? Sollten diese nicht eher ihre Schwäche akzeptieren lernen und könnten nicht erst dann die Starken ihre Gnade beweisen? Nur die Starken sind überhaupt in der Lage an das Schwache in der Welt zu glauben, einen Gedanken an die Hungernden, die Bedürftigen, die Menschen zu verwenden.
Wieso sind denn die Starken so schwach und die Schwachen so mächtig. Der schwache Mensch denkt doch an sich nur zuerst. Denn anders versteht er es nicht. Dieser verirrte Glaube hat die Menschen nicht erlöst, sondern zu Boden gedrückt, weil er den Falschen das Heft des ewigen Lebens in die Hand gab, das diese gar nicht zu sehen im Stande sind; diese Menschen konnten sich vermehren; diese sandten ihre Söhne in die Kathedralen dieser vermeintlichen Wahrheit, die die Übriggebliebenen in den Staub drückt; diese regieren, erpressen und morden aus Gleichgültigkeit. Und wir fürchten uns, und wir geben ihnen eine Stimme und mästen sie. Nur die Brosamen sind für uns und wir bedanken uns dafür. Voller Ehrfurcht, voller Demut. Die Furcht bleibt uns, das Grauen, das einst für die Feigen war, und diese Furcht begleitet uns jetzt ein Leben lang. Geschlagen und getreten schrecken sie uns mit ihrem Kapitalismus, ihrem Faschismus, ihrem Neoliberalismus. Wer würde nun aufstehen uns zu heilen? Wer sich kreuzigen lassen aufs Neue? Wem würden wir glauben wollen in all diesem Getöse, in diesem Inferno.


© Rainer M. Scholz

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