On the road again

Anekdote zum Thema Freiheit/ Unfreiheit

von  Alex

Dieser Text ist Teil der Serie  Lebensfreude
Mein Urgroßvater war ein Lebemann, der ständig auf der Reise war. Meine Oma sagte immer, ich habe die Liebe zum Reisen von ihm. Vielleicht ist da etwas dran, auf jeden Fall ist das Unterwegssein etwas, das ich für mein persönliches Wohlbefinden brauche. Ich kann mir nicht vorstellen, einen Bürojob zu machen. Ich muss immer draußen sein, frische Luft riechen, die Natur sehen...

Seit fünf Jahren lebe ich in Spanien in einer Höhle am Strand, obwohl ich kein Wort Spanisch konnte, als ich herkam. Ich verdiene mein Geld mit Gelegenheitsjobs und nachts fahre ich mit meinem Rad ein paar Kilometer in die nächste Stadt und sehe sie mir von oben an. Mein Hund kommt niemals mit, denn ich habe eine gefährliche Leidenschaft: Ich liebe das  Klettern. Das erste Mal bin ich mit acht Jahren auf einer alten Burgruine geklettert. Zur einen Seite ging es etwa 30 Meter steil hinunter. Die Burg stehtan auf einem Berg und dort ist eine Schlucht. Ich habe hinunter gesehen. In mir war keine Angst.  Ich erinnere mich noch gut an dieses Gefühl. Ich habe Freiheit zwischen meinen Zähnen geschmeckt, bis ich von meiner Erzieherin dort hinunter gezerrt wurde. Heute fürchte ich mich manchmal. Ich bin vorsichtiger geworden, denn die Gefahr ist mir bewusst. Die Welt sieht wunderschön von dort oben aus. Die Sterne so nah, die Stadt so weit weg und unter mir Lichter. Es ist bestimmt Wahnsinn, was ich mache. Aber es fühlt sich so verdammt intensiv an. Wenn ich falle, habe ich bis zuletzt das getan, was ich wirklich geliebt habe. Ich bin geübt in dem, was ich tue. Ich entscheide mich jedes Mal, wenn ich dies tue, für mein Verständnis eines selbstbestimmten Lebens.

Es ist ein schönes Leben. Für mich ist es lebenswert. Wenn ich aufwache, sehe ich das Meer. Es ist ganz friedlich hier. Die Sonne scheint. Manchmal regnet es. Dann zünde ich ein Feuer an und mache mir etwas von dem Tee aus der Stadt. Die Menschen sind viel friedlicher, wenn man ihnen hier begegnet.  Wildfremde lächeln einen an und grüßen einen. Auch in Dörfern ist das noch oft der Fall. Es ist schade, dass diese Gewohnheiten in großen Städten immer mehr verblassen. Manchmal trampe ich nach Deutschland. Auch auf  dieser Reise ist diese Art der zwischenmenschlichen Begegnung wieder überall präsent. Ich möchte barfuß durch diese Welt laufen, Fremden mein Leben anvertrauen, wenn ich bei ihnen ins Auto steige und sie mich in die nächste Stadt oder noch weiter mitnehmen.

Obwohl ich das Schwimmen nie gelernt habe, besitze ich ein kleines, altes Boot. Damit fahre ich regelmäßig hinaus aufs Meer fischen. Die Fische ernähren meinen Hund und mich. Wenn ich eines Tages merken sollte, dass es mir zu viel Schwierigkeiten bereitet, meinen Hund zu füttern und mit ihm am  Strand zu spielen, wenn ich die Höhle in Spanien  nicht mehr allein versorgen kann, wenn ich nicht mehr wandern und radfahren kann, weil meine Beine zu lahm sind, dann werde ich mein Boot nehmen, aufs Meer segeln und nie wieder zurück kommen.


Anmerkung von Alex:

Das Mädchen mit den schwarzen Stoppelhaaren hört mir schweigend zu, während ich ihr all dies erzähle. Sie unterbricht mich kein einziges Mal. Als ich meine Geschichte erzählt habe, räuspert sie sich geräuschvoll.

"Hast du nie Angst?", fragt sie dann.

Ich überlege sorgsam, bevor ich antworte:
" Natürlich habe ich manchmal Angst. Es ist wichtig, sich manchmal vor etwas zu ängstigen, damit man nicht kopflos in jede gefährliche Situation rennt.. Aber macht es einen Sinn, sich von dieser Angst beherrschen zu lassen?"

Sie entgegnet:
" Ich denke nicht. "

"Manchmal muss man einfach nur die Augen zumachen, ins kalte Wasser springen und leben", bestätige ich die junge Frau, die meine Tochter sein könnte.

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Kommentare zu diesem Text

Deek (43)
(03.07.18)
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 Alex meinte dazu am 03.07.18:
Man kann auch vergewaltigt werden, ohne getrampt zu haben und sterben ohne jemals die eigene Heimatstadt von ganz oben gesehen zu haben.

 Alex antwortete darauf am 03.07.18:
Ich habe mit acht Jahren auf einer Ruine geklettert. Die Erzieher haben sich Sorgen gemacht und mich da runter gezerrt. Mein Gedanke war bestimmt nicht:" Gott sei Dank haben sie mich gerettet. " Es war super geil und super intesnsiv, das zu tun und ich würde es jederzeit wieder machen.

 LotharAtzert schrieb daraufhin am 03.07.18:
Eine weise Anmerkung - das bezog sich auf den ersten Kommentar. Inzwischen, wo ich Xenias las, beziehe es sich bitte auf alles.

Antwort geändert am 03.07.2018 um 14:13 Uhr

 Alex äußerte darauf am 03.07.18:
Die Sache ist, wenn du über eine Straße gehst, kannst du unerfahren werden. Wenn du auf ein Hochhaus kletterst, kannst du runterfallen, wenn du trampst, kannst du vergewaltigt und zerstückelt werden. Wenn du anschaffen gehst, kann dir das selbe passieren. Das Kunststück ist es, sich davon nicht so beeindrucken zu lassen, von diesem Risiko, dass man sich nicht mehr traut, das zu tun, was für einen Leben bedeutet.
Echo (34) ergänzte dazu am 03.07.18:
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 LotharAtzert meinte dazu am 03.07.18:
Wie Hölderlin schon sagte:
Wo Gefahr ist, wächst auch das Rettende.
matwildast (37) meinte dazu am 03.07.18:
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Echo (34) meinte dazu am 03.07.18:
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Deek (43) meinte dazu am 03.07.18:
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 Alex meinte dazu am 03.07.18:
Was ist für dich der Unterschied zwischen einer Ruine, auf deren einer Seite es 30 m abwärts geht, und einem Hochhaus?
Echo (34) meinte dazu am 03.07.18:
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 Alex meinte dazu am 03.07.18:
@echo: Ich kann nicht mehr nachzählen, zu wie vielen Fremden ich im Laufe meines Lebens schon ins Auto gestiegen bin. Aber eine Sache kann ich dir sagen: Die wahre Gefahr geht wahnsinnig oft gerade von den Menschen aus, denen du am meisten vertraust. Nicht den Fremden, sondern deinen Eltern, deinem Freund, dem Lehrer....

 Alex meinte dazu am 03.07.18:
@echo: man kann alle diese Dinge risikoärmer machen, wenn man sie bewusst tut. Bevor ich zu einem Typen (beruflich) ins Auto steige, übermittle ich einem Vertrauten seine Handynummer, den letzten Standort und manchmal auch den Namen oder ein Foto vom Kennzeichen. Bevor man auf Hochhäuser geht, kann man das Klettern in eine Halle dafür üben, etc.
Echo (34) meinte dazu am 03.07.18:
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Deek (43) meinte dazu am 03.07.18:
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matwildast (37) meinte dazu am 03.07.18:
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Deek (43) meinte dazu am 03.07.18:
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Echo (34) meinte dazu am 03.07.18:
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 Dieter_Rotmund (03.07.18)
Fängt interessant an, der Ich-Erzähler erzählt - wie es sein sollte - dann entwickelt es sich aber eher zu so einem Art trockenen Plädoyer mit Nabelschau-Attitüde, und er untermauert nicht (mehr) mit eigenen, spannenden Erlebnissen.

 LotharAtzert meinte dazu am 03.07.18:
Dieter, du hast mal wieder in den Spiegel geschaut: die Frisur sitzt!
Deek (43) meinte dazu am 03.07.18:
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 Alex meinte dazu am 03.07.18:
Danke, Lothar.

 Alex meinte dazu am 03.07.18:
Deek, wir haben ein Problem:

Ich rede davon, etwas zu tun, weil es der tiefsten Bestimmung entspricht. Einem Gefühl, dass man etwas für sich tun muss.

Du redest von einem Jungen, der sein Leben für Klicks riskiert. Merkst du nicht, dass der Junge aus Angst handelt? Der, den du beschrieben hast, handelte aus der Angst, nicht geliebt zu werden.

Das, was ich meinte, ist etwas ganz anderes:
Wenn du aus deinem tiefsten Inneren fühlst, dass du etwas tun musst, weil es für dich, für dein Leben richtig ist, ist es egal, ob du dabei stirbst, weil du nur in diesen Momenten wirklich lebst.

So wie ich für dich ohne Zögern in einen Kugelhagel rennen würde, und für Zippo, aber nicht für ein scheiß Vaterland.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 03.07.18:
Ihr könnt euch gerne amüsieren, meine sehr konstruktiv-inhaltliche Kritik sitzt ebenso gut wie meine Frisur.

 Alex meinte dazu am 03.07.18:
@matwilda:
Irgendwie habe ich das Gefühl, du bist die einzige, die meinen Text so versteht, wie of es gemeint habe. Danke.

 Alex meinte dazu am 03.07.18:
Ja, Dörte:)
Graeculus (69)
(03.07.18)
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 Alex meinte dazu am 03.07.18:
Genau so sehe ich das auch, graeculus
Deek (43) meinte dazu am 03.07.18:
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 Alex meinte dazu am 03.07.18:
Ich wage ganz stark zu bezweifeln, dass ALLE Jugendlichen, die jemals auf Hochhäusern rumgeklettert sind, das gefilmt haben.

Und das
"Deek, wir haben ein Problem" war nur halb so ernst gemeint, wie es geschrieben aussieht.

(Zitat Sherlock Holmes)

:)
Deek (43) meinte dazu am 03.07.18:
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Deek (43)
(03.07.18)
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 Alex meinte dazu am 03.07.18:
Danke.

 Augustus (03.07.18)
Freiheit ist ein Sammelbegriff für die mannigfaltigen positiven sowohl als auch negativen Gefühle. Es fängt beim Künstler an oder Tramper und hört beim Mörder auf.
Ein Mörder, der eine Tramperin tötet, die sich frei in ihrer Tat zu reisen fühlt, fühlt der sich vielleicht ebenso in seiner Tat frei in dem Augenblick; und man könnte meinen, umso größer das Risiko, desto größer die Freiheit.

Ave

Kommentar geändert am 03.07.2018 um 20:28 Uhr
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