Das Kartenspiel der Madam Lenormand

Text

von  Borek

1.Teil Mille

                              Das Kartenspiel der Madam
 
                                          Lenormand

Natürlich war ihr Name in Paris bekannt, später berühmt:
Bei den Eingeweihten, bei all denen, die auf ihrer langen Warteliste von Madam Lenormand standen
Ein Hauch von Boheme umgab sie in ihrem eleganten Haus mit kleinen Erkern, Balkanchen. Der Vorgarten mit Hecken, Kieswegen
sauber vom Gärtner gepflegt.
Madam schaute für ihre Klienten in die Zukunft, gab Ratschläge,
beeinflusste auch damit manchmal etwas die Pariser Börse.
Weckte Hoffnungen, auch wenn sie nicht bestanden; warnte Männer vor ihren Dummheiten, auf die sie kaum hörten: zumindest, solange sie Madam noch nicht kannten.
Das Neunzehnte Jahrhundert hatte begonnen. Pferdekutschen und
Reiter bevölkerten die Straßen und elegante Damen flanierten den Boulevard entlang. Kostbare Auslagen in den Vitrinen. Der Schmuck in den Auslagen, die Pelz- und Modemacher, ließen Paris mit seinem Charme einheimischer eleganter Menschen eine Kulisse entstehen, die viele wohlhabende Menschen aus dem Ausland nach Paris trieben.
Paris: Schon allein der Name eine Offenbarung. Ein Hauch von Verführung, Leichtigkeit, Genuss lag in der Luft. Der Genusstempel einheimischer Küche, waren und sind noch heute unübertroffen.
Der Käse eine Offenbarung, das Fleisch zart; würzig in vielen Varianten zubereitet, öffnete die Geschmacksknospen. Der Wein
perlte mit seinem Bukett in die menschlichen Tiefen, und vermischt sich mit dem Blut zu einem Wonnegefühl. Das weiße Brot, mit Namen
Baguette, vermutlich eine Pariser Erfindung seiner Bäcker, dessen
Genuss nicht nur erlesener Geldbeutel zustand: es war ein Volksnahrungsmittel geworden.
Es war eine Sehnsucht, die viele Gäste aus aller Welt sich erfüllten;
die Metropole Paris zu erleben, und hineinzutauchen in ein Fluidum
der Einmaligkeit. Es zog auch Künstler und Lebenskünstler an und
so entstand der besondere prickelnde Hauch einer Weltstadt.

Madam war geachtet in ihrer Straße, ihrem Stadtteil Montmartre.
Ein Viertel der Lebenskünstler, Maler, verkrachten Existenzen und
Philosophen.
                                             
Sie suchte nicht mehr, wie viele andere Künstler: sie
hatte Erfolg mit ihren Künsten.
Sie malte keine Portraits, sie malte Schicksale; Leben und Erfolge,
oder auch traurige Dinge mit ihren 36 Karten.
Geheimnisvolle Kutschen fuhren oft nach Einbruch der Dunkelheit vor, und verschleierte Damen, gut behütete Männer, liefen raschen Schrittes durch den Vorgarten um Einlass zu finden.
Es war aber nicht immer so, dass Madam über ein beachtliches Refugium verfügte.
Eine enge Gasse mit eben solchen engen Häusern, verwinkelten Treppen, und engen Stuben, waren auch einmal ihre unbekannte ärmliche Bleibe. Ein kleiner Freundeskreis der Strasse in der sie wohnte, war ihr ganzer Kontakt in dieser großen Stadt.


Als Kind wurde sie in einer stürmischen Nacht geboren.
Blitze zuckten wie Leuchtfeuer vom Himmel, und der Donner klang eher
nach Krieg, als nach einem Gewitter.
Ihr Schwarzes Haar und dunkle Augen zogen die Menschen schon in ihrer frühen Jugend in den Bann. Sie war keine Schönheit, doch sie besaß eine eigenartige Ausstrahlung; anziehend oder beängstigend.

Ihre Familie lebte auf dem Land und sie hatte den Tod ihres Neffen vorhergesagt. Als Hexe war sie deshalb in ihrem Dorf verschrien.
.So packte sie ihre Koffer, ergriff die Flucht nach Paris, vor den Menschen die Angst vor ihr hatten, und dem Rufmord, eine Hexe zu sein, zu entkommen.
  Sie hatte eigenartige Träume oder Visionen und dies beängstigte sie
selbst. Sie sah den Tod ihres Neffen und schwieg nicht darüber, sie sah noch andere Dinge, die zutrafen und lernte darüber zu schweigen, denn ihr begegnet eine verachtende Feindseligkeit.
Sie war nichts Besonderes, und sie wollte es auch nicht sein, aber sie
sah Dinge die danach eintrafen.





So lebte sie anfänglich in einer Bescheidenheit, half in einem kleinen
Bistro als Aushilfe.
Die Gäste waren kleine Handwerker, Händler, Kaufleute der näheren Umgebung mit kleinem Einkommen. Oft hörte sie an den Tischen ihre
Gespräche über ihre Sorgen und um ihre Existenzängste.                                                                                                                                                               
"Mille was soll ich tun? Der Lederpreis steigt von Tag zu Tag, er ruiniert mich! Wer kann mit diesem Preis noch meine Schuhe bezahlen?"
"Warte noch 14 Tage und du wirst das Leder so billig bekommen, wie noch nie."
Mille hatte diese Unterhaltung schon lang vergessen. Nach drei Wochen kam der Schuhhändler mit einem verschnürten Päckchen zu Mille ins Bistro.
"Öffne es zu Hause."
Es enthielt ein Paar entzückende Pumps, mit hohem Absatz. Sie passten wie angegossen, nur sehen konnte sie sich nicht, da sie keinen Spiegel besaß.
Sie zog sich an und lief eilig zum Schneider in ihrer Straße und bat, sich in seinem Spiegel betrachten zu dürfen. Der Schneider, mit einem Lächeln, rückte den Spiegel so zurecht, dass sie auch von hinten ihre Schuhe bewundern konnte.
Ein hoher roter Absatz war der modische Kontrapunkt zu ihren elegant geschwungenen Beinen, die eher einer optischen Sünde glichen.
"Wo hast du diese elegant, teuren Lederpomps gestohlen? Sie sind
für dich überhaupt nicht zu bezahlen."
"Ich habe sie geschenkt bekommen!"
"Geschenkt für eine Nacht, meine Liebe?
Es ist ein großzügiges Geschenk für eine Nacht!"
"Ach Meister Guido, ich habe unserem Schuster gesagt er soll noch warten mit dem Ledereinkauf und er hat auf mich gehört und vermutlich hat er sehr günstig eingekauft, nachdem ich ihm geraten hatte, bei den steigenden Preisen noch 14 Tage warten, dann wäre Leder billiger. Vermutlich hat er meinen Rat befolgt."
"Ach, das gibt es doch nicht, , wo hast du sie geklaut, ich erzähle es auch keinem Menschen."
Mit erhobenem Haupt ließ sie ihn stehen, drehte sich unter der Tür nochmals um und sagte: "Ich lüge nicht."

Den Blick den Meister Guido erhielt, ging ihm durch Mark und Bein,
und bei jedem Stich, den er am dritten Tag nähte, ging ihm die Geschichte mit den Schuhen und der Blick von Mille nicht aus dem Sinn.
Er ging am darauf folgenden Tag zu dem Schuster, und wollte sich ein Paar Schuhe reparieren lassen. So langsam brachte er das Gespräch  auf  sein eigentliches Anliegen
"Die Mille, hat ein Paar wunderschöne Beine, ein Gedicht: und ein Paar tolle neue Pamps, sind die von dir?"
"Ja, ich habe sie ihr geschenkt, sie hat mir den besten Rat meines Lebens gegeben. Die Preise  für Leder stiegen und stiegen, ich war verzweifelt; ich sagte es ihr im Bistro und sie meinte, ich soll noch 14 Tage warten, nie wieder würde ich so günstiges Leder bekommen."
Sie hatte Recht! Ich habe gekauft und gekauft, es war das beste Geschäft meines Lebens."

Nachdenklich verließ Guido den Schuhmacher. Er versuchte Mille zu treffen, aber es war schwierig, da sie nur als Aushilfe im Bistro beschäftigt war. Eines Tages traf er sie auf der Straße.
"Madam Mille, ich möchte mich bei ihnen entschuldigen. Natürlich haben sie die Schuhe nicht gestohlen. Meister Gabor hat sie ihnen  geschenkt."
"Also haben sie meinen Worten nicht geglaubt!"
"Na ja, solche teure Schuhe! Können sie mir nicht auch einen guten Rat geben? Eine hübsche Bluse würde ich ihnen dafür nähen."
"Nein, sie glauben mir nicht, und vermuten, dass ich stehle! Also brauchen
sie auch keinen Rat von mir. Meine Antwort ist nein!"
Und Mille ging weiter, drehte sich nochmals um und sagte:
"Stellen sie einen Wassereimer in ihre Schneiderstube, bevor sich ihr glühendes Bügeleisen sich an ihren Stoffen erfreut."
"So ein Blödsinn," meinte Meister Guido.

2 Tage später weckte das tatütata der Feuerwehr die Bewohner der Straße auf. Bei Meister Guido brannte es in der Schneiderstube. Einen
Eimer Wasser schüttete er über das Bügeleisen und schnell war der Rest durch die Feuerwehr gelöscht.
"Gut, dass sie einen Eimer Wasser bereitstehen hatten, ansonsten wäre vom Haus nicht viel übrig geblieben," meinte der Feuerwehrhauptmann.
Ein entzückendes Kleid und ein Paar elegante Schuhe machten aus Mille, Madam Mille.
Es brauchte nicht lange in den engen Gassen und dicht aufeinander wohnender Menschen, um diese wahren Geschichten die Runde machen zu lassen. Kleine Ratschläge und kleine Dankeschöns erfüllten sie mit Freude aber auch mit Angst.

Es war ein stürmischer Novemberabend. Die  Nebelschwaden waren Spielball des düsteren Laternenlichtes, einmal war es verhüllt,  verschleiert und plötzlich leuchtete es wieder hell auf.
An Milles Wohnung erklang ein einlassend, begehrendes Pochen, heftig und nicht zu überhören.
"Öffne, ich bin das Schicksal!"
"Haha, das Schicksal," und Mille riss die Tür auf: "Komm rein, Schicksal,
was hast du mir zu bieten?
Traurigkeit der Straße? Verzweiflung der Menschen dieser Straße? Armut? Hast du dich schon umgesehen in unserer Straße unserem Viertel: Schicksal?
Armut, Schmutz, Verzweiflung, Hunger, Elend, Krankheiten?
Ist es deine Aufgabe und von wem?
Tritt ein und erkläre es mir!"

Eine hagere Gestalt, eingehüllt in einem langen Kutschermantel, trat in das Licht der Stube.
"Darf ich mich setzen?"
"Wenn das Schicksal so höflich fragt, darf ich seinen Wunsch nicht abschlagen. Setze dich und sage mir deine Wünsche: Schicksal!
Mit so einem bedeutsamen Wort sollte man nicht Schicksal spielen!"
"Ich bin das Schicksal"
Mille erbleichte. Mit ihren Ratschlägen und Empfehlungen die eintrafen, war es die Angst, die sie aus ihrem Dorf vertrieben hatte, sollte dies auch hier wieder eintreffen?  Wie lange würden die Menschen brauchen sie wieder als Hexe zu bezeichnen?

"Madam es wird ihnen alles etwas eigenartig erscheinen, aber bei ihrer
Geburt ist ihnen eine Eigenschaft irrtümlich verliehen worden, die sie befähigt,
in die Zukunft der Menschen zu sehen. Das darf nicht sein!
Die Zukunft der Menschen ist das eigene Rätsel welches sie selbst lösen
müssen. Es kann nicht sein, dass sie ihnen die Zukunft aufzeigen. Kleine
Ratschläge, ja, aber keine Zukunft, obwohl die ihnen verliehenen Fähigkeit gerade
das ermöglichen..
Der Mensch muss mit den ihm gestellten Problemen selbst fertig werden, dies ist seine Lebensaufgabe. Sie können ihm nicht diesen Weg erleichtern oder sogar abnehmen.
Ich bin nur ein Bote des Schicksals, aber wir müssen eine andere Regelung ihrer angeborenen Fähigkeiten finden. Wir müssen über dieses Thema sprechen.
Wenn ein Mensch über sein Leben etwas erfährt, was ihm immer von
Problem zu Problem erfolgreich führt, mit dieser Gabe, die er hat oder sucht, verliert er die Angst vor Verantwortung.
Dieser Verlust führt ihm zu einer Verantwortungslosigkeit, mit der er andere Menschen gefährdet.
Das möchte das Schicksal nicht, es entspricht nicht den Grundsätzen des menschlichen Lebens!"

Mille lächelte. Es war eine eigenartige Begegnung mit einem Witzbold der
viel philosophisches Einfühlungsvermögen besaß, etwa ein armer Poet aus ihrem
Viertel, sie belustigte dies, die mit Ernst vorgetragenen Argumente.
"Du bist also das Schicksal oder sein Abgesandter? Sprich, was verschafft mir die große Ehre?
Ja es stimmt, die Empfehlungen die ich ausspreche trafen zu!
Es war Glück für mich, und Schicksal für die Betroffenen!"

"Es war ein kleiner Schöpfungsfehler, den ich jetzt zu korrigieren suche."

"Meinst du ich sehe für alle Menschen, die mich nach ihrer Zukunft oder
Probleme fragen, die Zukunft voraus?"

"Ja"

"Oh, Gott"

"Du musst, deine Fähigkeiten verändern. Das Schicksal wird dir dankbar dafür sein."
"Aber wie? Wenn du mich darauf aufmerksam machst, dass ich etwas über Menschen sehen kann, worüber die Menschen nichts wissen sollten, sie mich aber um Hilfe bitten? Wie soll ich das abwägen, was ich
ihnen sage, und was ich nicht sagen soll."

"Ich gebe dir ein Kartenspiel mit 36 Karten. Lasse es die Menschen mischen und viermal acht Karten auflegen und in der Mitte einmal vier Karten.
Die Bilder auf den Karten wird dein veranlagtes Gefühl anregen: wie und wo sie liegen. Der Mensch legt sein Schicksal mit diesen Karten selbst.
Du bist frei von schlechten Prophezeiungen, die dich dein Leben kosten könnten. Du bist frei von deiner Angst, wieder den Ruf einer Hexe zu erlangen. Jeder Mensch legt seine Karte, sein Schicksal selbst.
Mehr kann ich dir nicht helfen.
Ein Mann wird allerdings zu dir kommen, klein vom Wuchs und in der
Uniform eines Premierleutnants, ihm zeigst du nicht deine Karten.
Folge deinem Gefühl und deinem Gewissen, stelle ihm eine hohe Forderung damit er dich nicht vergisst, dann wird er sich immer an
seinen Besuch bei dir erinnern. Präge ihm ein: das Recht ist der Grundstock für Gerechtigkeit, er soll es nie aus den Augen verlieren.
Ich nehme an, Madam, es war mein erster, und auch letzter Besuch bei ihnen. Sie wissen, sie haben Verantwortung mit einer Fähigkeit, die ihnen
irrtümlich bei der Geburt verliehen wurde.

Ich finde selbst den Ausgang. Nutzen sie ihre Fähigkeiten zum Guten.
Leben sie wohl!"
Die Tür öffnete sich von allein und ihr Gast verschwand in den bewegten
Nebel der Nacht.

Mille saß wie erstarrt am Tisch. Sie war nicht in der Lage das Kartenspiel
in die Hand zu nehmen. Schon immer hatte sie sich selbst gefragt woher
ihr Sehen in die Zukunft kam. Sie hatte sich davor geängstigt, war jetzt mit dem Kartenspiel ihre Angst behoben?
Erschöpft ging sie schlafen, das Kartenspiel kann auch bis morgen warten.

Die Nebel verschwanden und ein kalter sonniger Novembertag war
angebrochen.
Mille weckten die morgendlichen Geräusche eines neuen Tages auf.
Noch ganz benommen trank sie ihren morgendlichen Kaffee und nahm die Karten zur Hand, die das Schicksal gestern Abend überreicht hatte.
Es waren schöne bunte Karten mit bedeutungsvollen Bildern. Mille wusste sofort wie sie einzusetzen waren.
Die Zwei ein Kleeblatt: bringt Glück.
Die Drei ein Schiff: bedeuten Reichtum durch Handel oder Reisen.
Die Vier ein Haus: bedeuten Gelingen und eine bessere Zukunft, wie sie
                              sich selbst auch ein schönes Haus wünschte.
Die Acht ein Sarg: war eindeutig das Zeichen des Todes.
Die Achtzehn ein Hund: ein Zeichen für treue Freundschaften.

Sie war fasziniert von den Karten und die Varianten die mit dem Spiel zu legen waren. Sie erkannte folglich, jeder Besucher legt seine Karten selbst, und somit auch sein Schicksal; Es lag in seinen Händen.
Ihr Rat oder Empfehlung fiel nicht auf ihr sehende Fähigkeit zurück, der
Besucher mischte und legte die Karten selbst. Sie konnte es nur kontrollieren was sie auch ohne Karten von dem Besucher sah.
Eine unsagbare Freude und Dankbarkeit bewegten sie.
Von diesem Tag an, legte sie ihren Gästen die Karten und kontrollierte diese mit ihren eigenen Beobachtungen. Trotz der zunehmenden Besucherzahl half Mille immer noch im Bistro aus, und es war für sie ein
freudiges Ereignis sich unter Menschen zu bewegen. Menschen aus ihrer Straße und ihrem Viertel.
Ein guter Ruf verbreitet sich oft schneller als ein schlechter.
Hatte sie Arbeit im Bistro füllte sich dieses schnell mit neugierigen Menschen. Viele versuchten damit den Kontakt zu ihr herzustellen.
"Mille sag mir meine Zukunft."
"Ich kann keine Zukunft vorhersagen, du musst schon deine Zukunft selbst auf den Tisch legen, dann kann ich dir vielleicht sagen wohin dein
Schiff fährt.“
Je mehr sie bekannt wurde, desto dankbarer war Mille dem Schicksal für
seine Karten.
Nur ein Geheimnis blieb: Wann kommt der geheimnisvolle junge Offizier.


























              Das Kartenspiel der Madam Lenormand
                                    2. Teil  Der Offizier

Was ist mit mir geschehen?
Warum frage ich, statt zu handeln?
Er stand am Fenster und schaute in den nebelverhangenen Park.
Viele Gedanken quälten, zerrissen ihn.
Das Grün ist matt, so wie meine Seele matt ist. Hast du Skrupel,
das zu tun was die Zeit erfordert?
Was erfordert die Zeit?
Nichts, vieles oder alles?
Und was ist dein Preis: geliebt, geachtet, erfolgreich, oder verflucht, gehasst und hingerichtet zu werden?
Wo bleiben da mein Glück, meine Zufriedenheit, mein Leben und die
beglückende Liebe die mir heute noch nicht sagen kann, was ich tun soll?

"Charles, lass mein Pferd satteln."
"Sehr wohl, Exzellenz"

Soll oder soll ich nicht?
Wenn ich mir die Frage stelle und ich soll, so sie dies mein letzter Luxus.
Von da an ist Freiheit der Zwang der Pflicht.
Soll ich sie stürzen oder nicht, immer diese Fragen; sie bringen mich auf den falschen Weg.
Eine Pariserin soll die Zukunft sehen können, sie sei begnadet.
Soll oder soll ich nicht.
Noch darf ich mir die Frage stellen.
Nein, du musst dich selbst entscheiden, entweder bist du ein guter Offizier, der dem leidenden Volk verpflichtet ist zu helfen, oder du bist Masse.
Oh nein: Masse, wie schlimm.
Ich bin ich, ich bin Napoleon.

"Charles, das Pferd, ich reite zu Madam Lenormand um mir meine
Bestätigung zu holen.
Morgen stürze ich das Direktorium! 




                                               

Hufgetrappel verstummt vor ihrer Haustür. Ein zögerndes Klopfen, dann
stürmischer. Es war schon dunkel, eigentlich keine Zeit auf das Klopfen zu antworten.
"Madam Mille, darf ich ihnen zu so später Stunde noch einen Besuch abstatten?"
Eine Stimme sympathisch, aber um diese Zeit macht man keine Besuche.
"Der Tag hat 24 Stunden und es sind jetzt ungünstige Stunden für einen
Besuch die sie sich auswählen."
"Ich weiß, und bitte sie um Entschuldigung. Ich habe von ihnen gehört und ich habe für Frankreich eine wichtige Entscheidung zu treffen.
Ich brauche ihren Rat.....Bitte!"
"Sind sie Offizier?"
"Ja"
Mille öffnete die Tür, und vor ihr stand ein kleiner hübscher Soldat mit
Auszeichnungen und Streifen die ihm als Offizier erkennen ließen.
"Treten sie ein. Was ist ihr Anliegen zu so später Stunde?"

"Madam ich bin Soldat und Offizier. Das Leben hat mich aber auch in die Politik gestürzt. Es sind Fragen, die gegenwärtig auftreten, die ich aber
schlüssig beantworten muss: Soll ich so, oder soll ich anders handeln.
Frankreich ist in einer unruhigen Situation durch die noch nicht bewältigte Revolution mit ihren Geschwüren danach oder auch in Zukunft. Es muss wieder Ordnung und Anstand in Frankreich  entstehen.
Sie sollen eine begnadete Seherin sein. Ich will nicht meine Zukunft sehen, sondern nur wissen, ob meine Entscheidungen im Sinne des Volkes sind?"
 
"Was sind das für Entscheidungen?"
"Das Direktorium zu stürzen, keine Zersplitterung der Macht, die Ordnung wieder herzustellen, und dem französischen Menschen wieder eine erstrebenswerte Zukunft zu geben."
"Ist das Alles, mein Herr?"
"Entschuldigung, ich heiße Bonaparte Napoleon."
"Sie kennen meinen Namen und meine Anschrift, ich brauche mich ihnen nicht vorstellen."
"Nein! Sie haben einen eigenartigen Ruf."
"Was für einen Ruf?"

"Sie hätten ein untrügliches Talent Empfehlungen und Ratschläge  auszusprechen die unweigerlich zutreffen."
"Herr Offizier, ich kann es nicht beurteilen. Was wollen sie von mir erfahren? Wann sie sterben? Welche Freunde sie betrügen? Wie viele Frauen sie lieben?... Und es werden viele sein!
Was wollen sie!"
"Ich will wissen, und davon bin ich überzeugt, dass was ich tue ist zum  Wohl des französischen Volkes."

"Ja, da stimme ich ihnen zu!"
Napoleon schaute sie verdutzt, nein, erschrocken an.
"Ist das ihre ehrliche Meinung?"
"Nein, nicht meine Meinung, sondern mein Gefühl! Frankreich braucht
eine Veränderung, das wissen sie, ich und viele Menschen. Sind sie der
Messias, dann hat das Schicksal sie dazu ausgewählt. Handeln sie so wie sie es ihrem Gewissen gegenüber verantworten können. Handeln sie so, dass das Recht wieder gefestigt wird, auf alle Zeiten.
Handeln sie im Großen und nicht im Kleinen, setzen sie Maßstäbe nach dem die Menschen künftig sich richten können, aber werden sie nicht
überheblich. Sie sind nur ein Mensch, vielleicht ausgewählt vom Schicksal. Gehen sie ihren Weg, und nun gehen sie, bitte!
Denken sie daran die Zeit braucht Veränderungen, aber die Sehnsucht des Menschen ist Friede und nicht Krieg. Diese richtige Überlegung wird ihr Schicksal sein."

Napoleon saß wie erstarrt am Tisch. Er brauchte Minuten bis er sich gefangen hatte.
"Madam, es war ein sehr persönliches Gespräch. Ich danke ihnen für
ihre Offenheit, was bin ich ihnen dafür schuldig?"
Mille sah ihn durchdringend an.
"Meine Beratung und Empfehlung ist ihnen selbst nach dem Wert des Gespräches für sie messbar. Bevor sie Kaiser werden wünschte ich mir
ein schönes Refugium in dem ich sie und ihre Freunde empfangen kann.
Leben sie wohl, Herr General; das Schicksal wird sie gnädig begleiten. Denken sie an Recht und Ordnung und an die Verletzlichkeit der Menschen.
Mille, begleitete Napoleon zur Haustür. Er bestieg in Gedanken versunken sein Pferd und ritt langsam davon.
Mille, sah ihm nach. Sie wusste es war eine schicksalhafte Begegnung  mit der Zustimmung des Schicksals hatte sie Schicksal gespielt?
Oder war es wirklich dass, was sie gesehen hatte: Kaiser, großer Feldherr und Reformer?
Die Turmuhr schlug die 24 te Stunde, es war der 8.11.1799.
Am darauf folgenden Novembertag stürzte Napoleon das Direktorium
und wird der erste und alleinige Konsul Frankreichs.

Napoleon war leutselig. Zu seinen Freunden hielt er schon fast bedingungslos: mit Zuwendungen und Titeln. Er wusste, hast du Freunde ist man nicht allein, und so schaffte er sich eine neue kluge Elite die ihm umgab; die er später in den Adelstand erhob.
Auch Mille stand in seiner besonderen Gunst. Es gab keinen Grund sie irgendwie in den Adelsstand zu erheben, es öffnete zu viele Fragen, aber sie hat ihm ein wichtiges Detail auf seinem Weg nach oben gegeben: Sicherheit für seine Fantasie.
Mille bekam, bevor Napoleon Kaiser wurde ein wunderschönes Refugium.
Ein kleiner Dank eines großen Mannes.
Keiner kannte die eigenartige Verbindung von Mille zu Napoleon und es war gut so. Sie legte Karten, und daraus las sie das Schicksal oder die Ereignisse der betroffenen Person. Mille war zu einer Institution in Paris
geworden. Sie verließ sich nur auf die Weisung des Schicksals und ließ
nur Karten legen, und war somit der Angreifbarkeit enthoben.
Ihre Besucher legten sich selbst ihre Karten.                                                 
                                         
Eine einzige Ausnahme bestand noch mit Napoleon inzwischen Kaiser geworden, besuchte er sie heimlich und inkognito.
"Schön hast du es dir hier eingerichtet."
"Nicht so schön, kaiserliche Hoheit, wie in ihrem Palast."
"Mille, ich verehre sie, ich bewundere sie. Aber ich glaube ich hätte alles so gemacht auch ohne ihren Ratschlag."
"Warum haben sie mich dann gefragt, und dieses schöne Haus bezahlt?"

"Ich war unsicher, ich wusste es nicht."
"Und jetzt wissen sie es, Hoheit?"
"Natürlich, das alles was ich tue ist richtig!"
Ein langer Blick traf Mille.
"Was ist richtig und was ist falsch?"
"Sie als Kaiser sollten es wissen!"
"Ach ja? ....Immer nur ich."
"Was drückt sie Majestät?"
"Die Kleinkartiertheit aller Staaten. Jedes Volk versucht nur kleine Könige, Fürsten, Monarchen zu produzieren. Warum nicht für alle einen?"
"Sie Majestät?"
"Nein nicht ich. Wir haben einen großen Raum von Korsika bis Moskau. Warum gibt es nicht ein einheitliches Recht für alle?
Warum gibt es keine klaren Aussagen dieser Völker zu ihren gemeinsamen Bedürfnissen. Muss ich sie dazu erst durch Waffengewalt zwingen? Mille, manchmal habe ich Angst mit meiner Aufgabe zu scheitern."
"Majestät, sie werden daran scheitern!  Wer gutes will, wird nie verstanden werden, heute, morgen und übermorgen.
Denken sie an sich, wenige Schlachten und mehr Freude am Leben."
"Was ist Leben?"
"Leben ist das Unbegreifliche zu begreifen. Es ist eine Annahme auch in ungewohnten Situationen damit fertig zu werden.
Leben ist:
Es verantworten zu können vor einem höheren Gericht.
Denken sie daran Majestät."

Mille ging es sehr gut. Eine prachtvolle Villa mit Gärtner, viele Klienten die von ihrer Weitsicht profitierten, und sie besaß einen makellosen Ruf. Keine Skandale, keine Männergeschichten die sich wegen ihr
duellierten, Mille war ein wahrsagendes Neutrum.

Und trotzdem beschäftigte sie eine Sorge unentwegt. Sie konnte nicht zu ihm gehen und sagen: du machst es falsch, gehe einen anderen Weg. Gehe nicht mit deinen Soldaten nach Russland. Sperre nicht den Papst ein, du machst dich auf eine besondere Art lächerlich. Man sperrt keinen Papst ein. Dich wird man einsperren. Es ist ein kläglicher Versuch deiner Machtvollkommenheit. Du stehst als Kaiser Gott nicht näher als der Papst. Es waren keine Worte die gesprochen wurden, aber beängstigende Gedanken.

Und so lief die Weltgeschichte anders, oder so wie sie laufen sollte.
Ohne die Meinung und Ratschläge von Madam. Sie hatte ihm Mut gegeben etwas zu tun, was er selbst tun wollte. Er hat Gerechtigkeit eingeführt wie sie es ihm empfohlen hatte.
Er hat großes bewegt und erreicht.
Er ist aber an der Größe seiner Ideen, die letztendlich wenige
Menschen damals verstanden, gescheitert.
Er war trotz seines kleinen Wuchses ein großer Ideenträger.
Die wenigsten Gedankenträger erkannte dies.
Das Schicksal hat ihm seine Grenzen aufgezeigt.
Die Schicksalskarten der Madame Lenormand werden auch
noch heute gelegt.











































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