Mein zweiter Geburtstag

Text zum Thema Alltag

von  Borek

Mein zweiter Geburtstag.


Die Sonne schickte ihre ersten morgendlichen Strahlen durch die Gardienen meines Zimmers. Sie kitzelten meine Nasenspitze und ich erwachte mit einem herrlichen Gefühl. Es ist für mich heute ein besonderer Tag, ein Tag an dem ich mein Leben in die eigenen Hände nehmen darf. Ein Tag der mich in die Verantwortung entlässt mein Leben zu gestalten so wie ich es will. Der mich der Bestimmtheit meiner Eltern entzieht und ich auch vor dem Gesetz meinen eigenen Weg gehen darf.
Es war mein 21. Geburtstag.
Schnell sprang ich aus dem Bett. Ein Lied trällernd auf meinen Lippen, den Kopf in das klare Wasser getaucht um auch ganz frisch diesen Tag zu begehen. Die Umarmungen und guten Wünsche meiner großen Familie nahmen kein Ende. Die Wärme meiner Mutter, die mich in all den Jahren behütet hatte, übertrug sich auch an diesen Tag auf mich. „Mein Kind“, sagte meine Mutter, „auch wenn du heute 21 geworden bist, wirst Du immer mein Kind bleiben. Alle deine Sorgen werden auch meine sein. Behüte Dich Gott und Glück und Segen auf all Deinen Wegen.“
Wie wichtig diese Worte in meinen späteren Leben sein sollten, erfuhr ich erst viel später in meinen Leben. Das waren die wärmsten und herzlichsten Wünsche, die mich in all den Situationen  meines Lebens begleiteten.
Es war ein schöner Tag, der voller Harmonie begann und der seinen Höhepunkt fand, als meine Freundinnen und Freunde am Nachmittag kamen. Ini, ein Wildfang mit Erfahrungen, die uns schon ab und zu einige ihrer Geheimnisse preisgab, da sie einen gut aussehenden Freund mit Auto hatte und wir anderen Mädchen aus dem Stadion des harmlosen Flirtens nicht hinausgekommen waren. Es genügte uns, aber trotzdem waren wir neugierig und wissenshungrig über diese Sachen die wir noch nicht wussten oder nur erahnten.
Es war ein lustiger Nachmittag, ich spielte Gitarre, wir sangen bei Kaffee und Kuchen. Ein herrlicher Übermut der in seiner Unbeschwertheit nur der Jugend zugesprochen werden kann. Was machen wir heute Abend? Wo gehen wir hin?  Wir können doch jetzt nicht einfach Deinen Geburtstag so beenden! Natürlich wir gehen tanzen. Ini, vielleicht findest du heute an deinen Geburtstag den Mann deines Lebens, es ist heute dein Glückstag.
So beschlossen wir gemeinsam den Ausklang meines Geburtstages mit einem besuch in einer Disko auslaufen zu lassen. Wir haben gelacht, getanzt, geflirtet, wir waren ganz drauf und haben auch getrunken. Was tun wir jetzt es ist viel zu früh schon mit feiern aufzuhören, ja, wir feiern weiter bei Mischka in der Mühle. Diese Ort war etwas Besonderes und nicht jeder der ihn kannte, hatte so einfach Zutritt. Nein nur Gäste, die künstlerische Ambitionen hatten, oder die schon öfters dort waren, hatten Eintritt zu der Mühle, der sich auf die ganze Tageszeit erstreckte. Mischka war ein Künstler und so verlief auch sein Leben und Zeiteinteilung. Bei ihm wurde gesungen, gefeiert und diskutiert, nicht der Alkohol war der Anziehungspunkt der Mühle sondern seine Lage, sein Ambiente, sein bohämischer Tatsch und die guten Gespräche, unkontrolliert und unzensiert. Hier hatte die Welt eine neue, eine andere Anschauung, als die, die täglich in den Zeitungen stand und die uns die Regierung auferlegen wollte. Die Unruhe in uns, die Zweifel, die zwischen den uns täglich offerierten Doktrinen des Leninismus und Stalinismus, die Segnungen des Sozialismus, und die raue Wirklichkeit, ließen immer mehr Fragen aufkeimen, die von uns heftig aufgenommen wurden, und die nur unter Gefahr für die eigene Freiheit diskutiert werden konnten. Hier in der Mühle war der Ort, wo man unter gleichgesinnten war, und alle Fragen ohne Scheu und Angst diskutiert werden konnten.
Ja, der Abschluss meines Geburtstages konnte kein würdigeren finden als in der Mühle.
Wir hatten alle schon über das Maß getrunken, nur Hanna die uns mit dem Wagen ihres Freundes zum Disko gefahren hatte, war enthaltsam und als einzige von uns fahrtauglich.
Der Weg zur Mühle ist ebenso romantisch wie die Mühle selbst. Nachts  allerdings werfen die Bäume im Scheinwerferlicht gespenstische Schatten die Straße ist eng und führt durch eine Schlucht. Wir waren zu fünft in dem Wagen. Hanna hatte keinen Führerschein und verlor die Kontrolle über das Auto. Wir erreichten die Mühle nie.
Zwei Tage später stand ein Man in Weiß vor mir und sagte: „ich gratuliere ihnen zu ihren zweiten Geburtstag.“
Das Frohsinn, Freude und gute Laune so schnell sich in Leid, Verzweiflung und Schmerzen wandeln sollte war die bitterste Erfahrung und erste Lektion meines Lebens das mit meiner Eigenverantwortung an meinen 21 Geburtstag beginnen sollte.
Freude und Leid liegen ebenso eng beieinander wie Glück und Verzweiflung. Alles liegt im Leben dicht nebeneinander und der Schritt vom einem Extrem zum anderen ist nur sehr schmal, aber alles aber auch alles gehört zum Leben um die Reife zu erfahren, die der Mensch braucht um eben auch aus dem Leid wieder Glück zu gewinnen. Und so war meine erste Lektion, eine meiner schwersten. Aber sie hat mich gelehrt an den Sonnenschein des Lebens zu glauben, so wie er mich an diesen wichtigen Tag meines Lebens geweckt hatte.

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