Perikles in Düsseldorf #5

Erzählung zum Thema Reisen

von  Graeculus

Immer mehr machte er auf den Lehrer einen perfekten Eindruck: perfekt entweder als Perikles oder als Irrer. Wobei er, auch wenn ihm sein Verstand dabei auf dem Kopf stand, mehr und mehr zu der ersten Variante neigte.

„Wir werden noch viel Zeit brauchen, aber auch, so hoffe ich zu den Göttern, viel Zeit haben, um alle deine Fragen zu beantworten, was so ganz einfach nicht ist. Gerne möchte ich dich meinen Gefährten vorstellen, den anderen Lehrern an unserer Schule, meine ich, vorzüglich denen des Altgriechischen. Wir könnten ein Kolloquium veranstalten, wie es die Welt noch nicht gesehen hat, einen Kongreß sogar. Wir könnten mit deiner Hilfe unsere Lehrbücher verbessern und unsere Editionen überarbeiten. Den Homer hast du doch sicher im Kopf, oder?“

Perikles ließ die Schultern herabhängen. „Was ich möchte, mein Freund, ist zurückzukehren, die Hügel Attikas wiederzusehen, in der Volksversammlung zu sprechen und es diesen Spartanern zu zeigen, die es wagen ...“ Er brach ab, dachte an seine Befragung der Pythia mit ihren katastrophalen Folgen und wurde sich bewußt, daß die Dinge des Lebens nicht nach unserem Willen verlaufen, sondern nach dem der Götter. „Wie komme ich zurück?“

Bedauernd antwortete ihm sein Gesprächspartner, am Kaffee nippend: „Das ist nun gerade die Frage, auf die auch ich nicht zu antworten vermag. Mir ist obendrein nicht bekannt, daß irgendeinem unserer Gelehrten ein Mittel dafür zur Hand wäre.“

An diesem traurigen Punkt schaltete sich die Kellnerin in das Gespräch ein: „Sagt mal, Jungs, du und dein kostümierter Freund, was ist das eigentlich für eine Sprache, in der ihr euch da unterhaltet? Mit Sprachen kenne ich mich ganz gut aus, aber die ist mir unbekannt.“


Anmerkung von Graeculus:

Fortsetzung folgt.

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Kommentare zu diesem Text


 EkkehartMittelberg (26.10.20)
Das wird ja immer komischer, im besten Sinne des Wortes. Ich hoffe mich noch lange amüsieren zu können.
LG
Ekki

Kommentar geändert am 26.10.2020 um 00:29 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 26.10.20:
Etwa an dieser Stelle wurde mir siedendheiß bewußt, daß ich aj nun irgendwie herauskommen mußte aus dieser Geschichte. Wie in aller Welt sollte ich sie enden lassen?

 Bergmann (26.10.20)
Nur nebenbei: Seit der 1. Fortsetzung kapiere ich besser den Charakter der Erzählung.
Wegen des Rückkehrmotivs findet jedoch meine Erwartungshaltung wieder Nahrung: es könnte ja Perikles' Rückkehrwunsch ein Zeichen sein - z. B. Umkehr für uns?

 Graeculus antwortete darauf am 26.10.20:
Nicht für uns, unsere Gesellschaft, aber halbbewußt mag der Gedanke eine Rolle gespielt haben, ich möge zurückkehren in die Zeit der Antike.

 TrekanBelluvitsh (26.10.20)
Jeder hat einen Begriff von Heimat, zu dem es ihn zurückzieht. Das funktioniert leider auch mit platten und albernen Heimatbegriffen. *seufz*

 Graeculus schrieb daraufhin am 26.10.20:
Für einen Griechen gab es ein recht präzise Vorstellung von Heimat: wo die Väter lebten und die Volksversammlung beriet. So klagt Alkaios im Exil:
Karge Nahrung und Schutz suchend, so kam ich her,
leb‘, wie Bauern es tun auf ihrem Ackerlos.
Nur eins sehn ich herbei: zu hören
wie Heroldes Ruf zu der Versammlung lädt,
wo mein Vater ergraut und meines Vaters Ahn,
wie sie pflogen des Rats mit diesen Bürgern, die
stets nur Böses gegeneinander sinnen. -
Mir ist das versagt. Fern an den fernsten Strand
zog ich, einsam, verbannt. Hauste, wie der gehaust,
den ein reißender Wolf ansprang: man meidet ihn.
[...]
(Alkaios von Mytilene)

 Bergmann äußerte darauf am 26.10.20:
So fühlst du dich, werter Graeculus, in der Haut deiner Perikles-Figur, gleichsam und partiell im Exil unserer Zeit? Aber immerhin freiwillig und nobel auf dem Dobel ... verzeih mir den liebevollen Scherz, ich fühle mich ja selbst manchmal als Exilant im eigenen Land.

 Graeculus ergänzte dazu am 27.10.20:
Zunächst wollte ich auf Trekans Frage nach dem Begriff "Heimat" eingehen, nämlich angeben, was Heimat für einen Griechen bedeutete - eine Sicht, die übrigens frei ist von Idylle:
"wie sie pflogen des Rats mit diesen Bürgern, die
stets nur Böses gegeneinander sinnen."
Ja, da wurde gestritten, aber es war eine Gemeinschaft, die lebte, und man wußte, worum es ging.
Die Probleme der Jetztzeit werden mir immer fremder. Früher habe ich bei meinem Vater den Kopf geschüttelt, wenn er sowas sagte; heute trifft es mich selber.
„Das Alter macht mich ziemlich bitter, die Fliege an der Wand ärgert mich. Aber was mich angeht – mein Leben liegt hinter mir; viderint iuvenes, d.h. jetzt sind die Jungen dran.“ (Cicero, ad Att. XIV 21,3)
Ah, und das im Original: "amariorem enim me senectus facit; stomachor omnia. sed mihi quidem βεβίωται; viderint iuvenes."
Wie er da an einer Stelle, an der das Lateinische (wie auch das Deutsche) versagt, ins Griechische wechselt: ein unpersönliches Perfekt Passiv = es ist gelebt worden!

Antwort geändert am 27.10.2020 um 14:23 Uhr

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 27.10.20:
Aber was mich angeht – mein Leben liegt hinter mir.
Nix für ungut, aber das halte ich doch für eine seltene Einstellung. Die Geschichte ist voll von alternden Potentaten, die sich nicht von der Macht trennen wollen. Im Augenblick denke man nur an den verbitterten und halsstarrigen Bundesinnenminister.

Bleibt die Frage,ob dieses Phänomen ein Anzeichen dafür ist, dass jene Leute nicht mit ihrer eigenen Sterblichkeit zurechtkommen.

 Graeculus meinte dazu am 27.10.20:
Gewiß, die Welt und die Geschichte wimmeln von alten Männern, die sich an die Macht klammern. Aber das sind eben keine Ciceros (der es übrigens dennoch erleben mußte, daß er geköpft wurde).

Sulla ist ein berühmtes Beispiel für einen alten Mann, der frewillig und ohne Druck abgetreten ist.

Die sich an die Macht klammern, haben wohl in der Tat ein Problem mit ihrer Sterblichkeit. Die anderen, die resignieren, mögen ebenfalls ein Problem damit haben - aber sie lassen das nicht an anderen aus, sondern sagen: "Viderint iuvenes."

P.S.: Der Bundesinnenminister, will oder muß ern ach der nächsten Bundestagswahl aufhören?
Fast tragisch ist ja Thomas Oppermann.
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