Potto Patta

Erzählung zum Thema Reisen

von  Moja

Die staubigen Taxis aus Dakar fädeln sich im rasanten Tempo dicht an dicht auf dem Garagenplatz vor dem Fährhafen in Barra ein. Wieder haben die alten Autos den Härtetest über die roten Sandpisten von der Grenze in Amdalai nach Gambia überstanden, ohne auseinander zu fallen. Mühsam falten die Fahrgäste ihre Körper auseinander, schlagen den Staub aus der Kleidung, stecken die schweißgetränkten Tücher, die sie während der Fahrt als Mundschutz trugen, in die Taschen. Steif kriechen sie aus den kleinen Autos, beinahe kleben sie aneinander, so eng zusammengepfercht saßen sie über viele Stunden hinweg, dösend, kaum etwas wahrnehmend von der verdorrten Landschaft, den Salzfeldern und Rundhütten, weit ausgreifenden Baobabbäumen, den Affen, Kühen, Ziegen und Schafen, die vorüber zogen. Die Rüttelei in den Taxis machte sie willenlos. Sie übergaben sich der Obhut der kleinen drahtigen Fahrer, die energisch von der löchrigen Straße herunter auf die schmalen buckligen Lateritwege auswichen. Nur die willkürlichen Polizeikontrollen an den Rändern der Straße – und Legalität – weckten sie für die Dauer der Verhandlungen über das zu zahlende Schmiergeld. Schlaglöcher wechselten sich ab, die stechend heiße Sonne schlug ihre Strahlen ins Blechdach, röstete den Sand zu feinstem Staub, überließ ihn dem Fahrtwind, scharf und bitter.

Schnell greifen die Fahrgäste nach ihren gequetschten Gepäckstücken, zerren die verkrumpelten Taschen aus den zerbeulten Kofferräumen. Hände greifen gleichzeitig hinein. Ein wirres Knäuel entsteht aus langen weiten Ärmeln, ineinander verhakten Fingern, die ungeduldig an Henkeln, Gurten reißen, Köpfe stoßen aneinander. Sie kommen kaum voran. Ihnen entgegen stürzt eine Schar Händler, die ihnen Tabletts unter die Nase halten, kleine Plastiktüten gefüllt mit Wasser, Erdnüssen, Bananen, Kokosscheiben, hart gekochte Eiern rollen durcheinander. «Kauft Leute, kauft!»

Staubige Kinderhände umschließen Seifenstücke, bieten sie zum Kauf an, greifen durch Autofenster. Neugierig folgen ihre wuscheligen Köpfe nach, mit breitem Lachen, unentwegt den Vers wiederholend wie ein Mantra, hindern am Aussteigen. Lumpen umhüllen ihre schmalen Körper, dünne Beine wie Äste staken aus zerlatschten Flipflops hervor. Hinter ihnen schwenken Händler bunte Handtücher durch die Luft, türmen Stapel von Frottiertüchern auf den Köpfen, schlagen sie über die Schulter, halten Bauchläden mit billigen Armbanduhren, Sonnenbrillen hoch. Zigaretten, Zuckertüten, grüner Tee wechseln den Besitzer. Alle reden aufeinander ein, keiner hört dem anderen zu. Wie gut täte jetzt ein Bad, der Strahl kühlen klaren Wassers aus einer alten Tomatenbüchse! Ein Königreich für Wasser bei dieser Hitze gegen den klebrigen Pelz auf der Haut.

Voran, die Händler beiseitegeschoben, dem monotonen Singsang der Bettler ausgewichen, eine Schneise geschlagen durch das Labyrinth von Taxis und Stimmengewirr, die Taschen vorweg balancierend. Der Schweiß läuft in Strömen, tropft, rinnt, das hämmernde Motorengeräusch noch unter der Schädeldecke, der Rücken wie geborsten, die Beine hart wie Holz, die Kleidung verschmutzt und zerknittert. Darüber ein dunstiger Himmel von bleierner Schwüle.

Es ist Regenzeit, es ist heiß, so heiß, die Menge dampft. Die letzte Fähre für diesen Tag wird erwartet. Wer sie nicht schafft, bleibt die Nacht in diesem von Mosquitos verseuchtem Drecknest hängen, schläft draußen unter Palmen, wachsam, schwer an das Gepäck gelehnt. Mutige steigen in die überfüllten, schmalen Boote und lassen sich über den Gambiafluss rudern. Zu tief liegen sie im Fluss, zu dicht an der Angst, am Unglück. Wer kann schwimmen?

Menschen, Gepäckstücke, schäbige Kartons, Säcke, meckernde Ziegen an kurzen Stricken, an den Füßen zusammengebundene Hühner, gerollte Matratzen drängen durch die Hafenabsperrung. Autos, schwer beladen, rollen durchs Tor vor. Leute sitzen auf dem Boden neben ihren Bündeln. Mütter stillen ihre Kinder, wiegen sie in den Armen, schaukeln sie in den Umschlagtüchern auf ihren Rücken. Kinder schmiegen ihre verstaubten Köpfe an die Leiber der Mütter, schlafen übermüdet in dem Durcheinander.

Die Fähre verspätet sich. Unruhe erfüllt die Menge. Der nächste Taxischub aus Amdalai ist eingetroffen. Es wird eng auf dem Gelände. Blonde Hunde mit zerfetzten blutigen Ohren streunen umher, suchen nach Futter, blinzeln aus feuchten braunen Augen, auf dem Sprung vor einem Stein, einem Tritt. Zu viele Menschen drängeln, steigen über Kisten, Schüsseln, Fässer hinweg, bahnen sich ihren Weg zum Zaun, das Ticket im Griff, bereit loszustürzen und einen Platz auf der Fähre zu ergattern. Verkäufer rufen laut über den Platz: «Cigarett, Cingom, Bonbon!» – «Zigaretten, Kaugummis, Bonbons!» Viele werden dableiben müssen diese Nacht, keiner will es sein.

Plötzlich hebt sich eine hohe Stimme aus dem Wirrwarr heraus, gackernd, kichernd, irr. Köpfe drehen sich, folgen dem alten spindeldürren Bambara-Mann aus Mali, der die Zähne fletscht und Possen reißt. Ein kleiner Kreis hat sich um ihn gebildet. Die Leute lachen erheitert. Der knochige Alte im weiten hellblauen Boubou marschiert auf eine Europäerin zu. Listig grinst er sie an. «Kennst du Potto Patta?» Er tänzelt um sie herum. Die Menge verstummt, lauscht begierig. Das wird ein Spektakel, endlich eine Abwechslung. Der Bambara mustert die Frau schamlos und kichert vor Freude. «Tu as un garçon á la maison?» Die Leute halten den Atem an, strecken die Köpfe vor, drängen sich noch dichter zusammen. Die Französin schaut verunsichert in die Runde, versucht ein hilfloses Lächeln. Der Alte schlägt sich auf den Schenkel. «Tu as un garçon á la maison?" Er schnalzt mit der Zunge, dreht sich hüpfend im Kreis mit ausgebreiteten Armen. Dann stampft er mit dem Fuß auf, Staub wirbelt empor. Die Französin zieht die Stirn kraus. Der Alte wiehert. « J’ai un médicament pour lui, si il boit ce médicament…» Er bricht ab. Lauernd bewegt er sich einen Schritt auf sie zu. Tief blickt er ihr in die Augen. Die Frau streicht sich die verschwitzten Haare aus dem Gesicht, sie fasst ihre Umhängetasche fester. Die Stirn des Alten glänzt vor Schweiß und ist knorrig wie Wurzelholz. Geheimnisvoll verdreht er die Augen und pfeift durch seine braunen Zahnstummel. Die Ersten prusten los. Der Franzose neben der Frau legt eine Hand auf ihre Schulter. Sie lehnt sich leicht gegen ihn. Das Lachen auf dem Platz breitet sich aus, ausgelassen stehen die Leute herum. Sie lächelt verkrampft. Da springt der Alte auf sie zu, reißt die Arme in die Höhe, vollführt ekstatisch einen obszönen Stoß mit seinen dürren Hüften in ihre Richtung und stößt einen animalischen Schrei aus: «Set fois, il fait, set fois!» Das Weiß seiner Augen tritt scharf hervor, seine Stimme überschlägt sich schrill und hängt noch lange in der Luft. Die Menge um ihn herum wogt, tobt vor Begeisterung. «Set fois, il fait, set fois!», flüstert er kehlig wie hypnotisiert.

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Kommentare zu diesem Text


 harzgebirgler (11.10.20)
es geht doch letztlich nur um sex
der einfach mehr scheint als komplex
begreift man ihn elementar
was beim bambara wohl so war.

lg
harzgebirgler

 Moja meinte dazu am 11.10.20:
Dein Vers entlockte mir ein herzhaftes Lachen,
was machst Du für Sachen!

Herzlichen Gruß & Dank,
moja

 Dieter_Rotmund (11.10.20)
Für meinen Geschmack etwas arg viel blumige Adjektive.

P.S.:
zusammen gepfercht -> zusammengepfercht

 Moja antwortete darauf am 11.10.20:
Danke für den Korrekturhinweis, Dieter!

Zugegeben, für meinen Geschmack auch, aber ich brauchte den Ton hier, sonst wäre es ein anderer Text geworden.

Moja grüßt!

 EkkehartMittelberg (11.10.20)
Afrika, wie es leibt und lebt. Dieter, dieser Teil Afrikas ist so schreiend bunt, dass die blumigen Adjektive genau dazu passen.
LG
Ekki

 Moja schrieb daraufhin am 12.10.20:
Afrika war für mich kein Ort, sondern das pralle Leben, lieber Ekki,
der Überschwang geriet in die Sprache.

Vielen Dank und lieben Gruß,
Moja
Sätzer (77)
(11.10.20)
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 Moja äußerte darauf am 12.10.20:
danke*schön!

Lieben Gruß,
Moja

 Regina (11.10.20)
Mon dieu. Lebendig geschildert, Meisterin.

Kommentar geändert am 11.10.2020 um 19:56 Uhr
Agnete (66) ergänzte dazu am 12.10.20:
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 Moja meinte dazu am 12.10.20:
Vielen Dank für Dein Lob, liebe Regina, schreibe ich mit einem roten Ohr!

Dank auch an Agnete!
Einiges hat sich schon geändert, es gibt inzwischen einen Highway nach Dakar, eine Brücke und eine Busverbindung; ich fuhr mit der Fähre und dem 7-passengers-taxi, für mich war es das pure Leben samt Lust, mit ungeheuerlichen Kontrasten, Konflikten, existenziell eben, aber nie einseitig rassistisch, feindlich gestimmt, immer spürte ich neben der Armut die Lebensfreude, Würde, Respekt, die Schönheit der Menschen, auch in ihren Handlunge, also ich würde das Thema nicht so einseitig sehen. So zu leben, erfordert eine enorme Kraft.

Lieben Gruß,
Moja

 AvaLiam (15.10.20)
Liebe Moja,

einmal mehr ist es dir gelungen, mich in ein Bild zu ziehen, was so lebendig beschrieben ist, dass ich die Farben sehen, die Klänge hören, die Luft atmen und riechen kann, wie ich auch jeden Blick und jede Berührung spüren kann.

Sehr schön.

Für die Dame hoffe ich natürlich, dass sie dem urtümlichen Zauber von Afrika diese Schatten verzeihen kann und gern wiederkommt.

Herzlich - Ava

 Moja meinte dazu am 15.10.20:
Kein Wunder, liebe Ava,

wo Du doch neben mir im Taxi gesessen hast, genauso verstaubt wie ich - und die Französin hat bestimmt gelacht nach dem ersten Schreck, da hat sie was zu erzählen - für später...

Dank Dir schön!

Moja
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