Scheinbar so frei im Land der Pappenheimer

Essay zum Thema Freiheit/ Unfreiheit

von  eiskimo

Wie berechenbar wir doch sind, wie sehr vorherseh- und durchschaubar unsere Reaktionen!

Konditioniert?

Nehmen wir die Körperhygiene: Wie oft wir duschen, die Unterwäsche wechseln pro Woche, unser Aufwand für Zahnerhalt oder guten Körpergeruch, für Haar- und Nagelpflege, der Intimbereich– jeder hat da seine eingespielten Mechanismen und Rituale, die er nur im Notfall verändert.

Man könnte hier abwinken und sagen: Na und? Das sind doch nur Äußerlichkeiten. Entscheidend sind die innere Freiheit und unsere Souveränität im Denken und im selbstbestimmten Miteinander.

Okay. Nehmen wir mal das Essen, konkret: das miteinander Ausgehen in einer Gruppe von engen Freunden oder Bekannten.
Pizzeria oder Luxus-Gastronom, schon da scheiden sich die Geister. Der eine „will es krachen lassen“, bestellt üppig, guckt nicht aufs Geld, ein anderer sucht tunlichst das billigste, gibt niemals Trinkgeld, wieder ein anderer will schon früh gehen, während der nächste unbedingt noch weiter in die nächste Kneipe will. Die Rollenmuster sind hier klar verteilt, und man kennt seine Pappenheimer. Je häufiger man die Testreihe durchlaufen ließe, desto klarer träten die Zwänge zum Vorschein, denen die lieben Freunde gehorchen.

Wer an dieser Stelle noch nicht überzeugt ist, möge das Experiment bei einer Gruppenreise nachstellen. Ergebnis: Es sind immer dieselben, die nach dem Foto-Stopp zu spät wieder am Bus sind. Im Bus selber sitzen immer dieselben vorn privilegiert neben dem Reiseleiter. Und spätestens am zweiten Tag wissen alle, welcher hoch geschätzte Mitreisende stets noch schlauer tun muss als der lokale Guide.

Natürlich wird jeder für sich reklamieren, bei diesen Prägungen und Reflexen die Ausnahme zu sein, sprich: der Durchblicker, der nach Belieben und spontan auch über den eigenen Schatten springt. Selbstkontrolle ist halt alles, und ein bisschen Etikette kann man sich doch immer auferlegen...

Frage: Wie streng ist man da mit sich, und wie lange hält man das durch? Kann man überhaupt dauerhaft „gegen seine Natur“ agieren? Und wenn man das tatsächlich krampfhaft durchhielte – wäre das etwa die gesuchte Souveränität?

Nehmen wir zum Abschluss noch ein Literaten-Forum wie KV. Dort hat man ja, bevor man sich mit seinen Gedanken outet, Zeit genug, ihre mögliche Wirkung zu prüfen. Erleben wir deshalb bei KV nur frei operierende Geister, die immer neu überraschen? Oder haben wir da nicht längst gewisse altbekannte, ewig gleich bleibende Spezis, die uns immer wieder den Gefallen tun, just das von sich zu geben, was wir erwartet haben?

Anders gefragt: Ist Pawlow nicht überall?



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Kommentare zu diesem Text

Taina (39)
(14.07.22, 09:29)
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 eiskimo meinte dazu am 14.07.22 um 11:12:
Wiedererkennungswert oder Prinzipientreue, das klingt gut.
Reflexhaft über das Stöckchen springen, das einem hingehalten wird, wäre die andere Sichtweise...
Agnete (66) antwortete darauf am 14.07.22 um 13:00:
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 eiskimo schrieb daraufhin am 14.07.22 um 15:37:
Ich widerspreche dir nicht, will ja selber diese "Freiheit" erkunden....
Nur ein Beispiel aus dem Tennis: Ich habe einen Partner, den kann ich förmlich lesen, ich weiß, welchen Ball er spielen wird und welchen Return er nie kriegt. Zuverlässig, gleichbleibend....oder langweilig? Darf ich seine Lesbarkeit ausnutzen?
LG
Eiskimo
Taina (39) äußerte darauf am 14.07.22 um 15:41:
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 eiskimo ergänzte dazu am 14.07.22 um 17:52:
Tennis war ein Beispiel. Es könnte ähnlich laufen in einer Praxis oder an der Bar. Und da spielt man nicht....

 franky (14.07.22, 09:30)
Hi lieber Eisman 

„Anders gefragt: Ist Pawlow nicht überall?
Wer oder was ist Pawlow?
 
Grübelnde Grüße von Franky

 eiskimo meinte dazu am 14.07.22 um 22:21:
Pawlow war ein russischer Forscher, der bei Hunden nachwies, wie bestimmte Reize die immer gleichen Reaktionen hervorriefen, was zeigte, wie eine Konditionierung funktioniert.
LG
Eiskimo

 AZU20 (14.07.22, 09:37)
Pawlow ist überall. LG
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