Was bleibt von einem Schriftsteller, oder zu Besuch bei Dieter Wellershoff

Essay zum Thema Respekt

von  eiskimo

Schmucklos. Unscheinbar. Fast armselig. So ist sein Grab. Zu sehen ist es in Köln, auf dem wunderschönen Friedhof Melaten. Und dann ist man schon arg enttäuscht und auch betrübt, dass ein so aufrüttelnder Literat da gleichsam weggelegt ist. Ein schlichtes Holzkreuz, der Geburtstag im Jahre 1925, das Todesdatum 15.6. 2018. Keine Blumen, nur verkümmertes Gras und nackte Erde.
Sollte das alles sein, was von Dieter Wellershoff geblieben ist? Endet so, was dieser so wache und kritische Beobachter als Autor, Lektor, Dozent in Hunderten von Romanen, Erzählungen, Hörspielen, Bühnenstücken, Drehbüchern und Gedichten einmal verfasst hatte?
Nach Petra Frerichs hatte Wellershoff in der Literatur „ein Medium der Erweiterung und Vertiefung der Wahrnehmung unseres Lebens" gesehen.
" In immer neuen Variationen spielt er die fragilen Lebenssituationen durch, denen seine Protagonisten ausgesetzt sind. Ihr Alltagsleben ist von Routinen, Gleichförmigkeit, Apathie, Wiederholung und Langeweile geprägt und sie versuchen, diesem Gehäuse der Hörigkeit zu entkommen. Aber die meisten scheitern bei dem Versuch, aus ihrem Alltag auszubrechen."
Und: Wellershoff habe uns die Möglichkeit alternativer Lebenskonzepte vorgeführt...
Also ein breites, chancenreiches Spektrum  menschlicher Lebensentwürfe – und dann  diese Tristesse auf dem Friedhof Melaten in Köln. Wie weggelegt. Wie von seiner Stadt, von seinen Leuten vergessen.
Bleibt nur als Trost: Wellershoffs gesamtes Werk ist ja weiter existent, es wird bei jedem neuen Leser wieder lebendig. Und sein Grab spielt in dieser Hinsicht keine Rolle.


Anmerkung von eiskimo:

Es gibt Tage, da reicht KV halt nicht. Und dann besucht man andere Literaten.

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (22.12.20)
Genau. Weggelegt oder nicht: Was zählt ist das Werk!
In einer Welt einfältiger Coronaleugner und rücksichtsloser Egoisten kann man eh nicht auf die Zunahme menschlicher Intelligenz hoffen.

Seufzende Grüße
der8.

 eiskimo meinte dazu am 22.12.20:
Danke für das Mit-Erleben meiner tristen Begegnung. Das Werk bleibt. Es bewegt sich eh in einer anderen Sphäre.
Trotzdem. Ich habe die Gräber von Sartre gesehen, von Gainsbourg, von Heine, Brecht. Keins war so ernüchternd wie das von Dieter.
lG
Eiskimo

 AchterZwerg antwortete darauf am 22.12.20:
Ich hab mal am Grab von Clemens Brentano ein bisschen geheult - das sieht genauso aus wie das von Wellershoff.

:(
Nimmer (45) schrieb daraufhin am 22.12.20:
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Nimmer (45)
(22.12.20)
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 eiskimo äußerte darauf am 22.12.20:
Ja, es wäre interessant seine Einstellung zu seinem Nachlass zu erfahren. Sicher wollte er keinen Pomp und Kitsch und falsche Rührseligkeit. Aber bis hin zu diesem Extrem gäbe es noch Alternativen, sicher auch etwas, das seine Arbeit in Erinnerung brächte

 FRP (22.12.20)
Ach, such mal das von Mozart. Und John Lennon steht bei Yoko Ono im Wohnzimmer auf dem weißen Klavier.

 eiskimo ergänzte dazu am 22.12.20:
Ich weiß. Aber eine Stadt, die den Künstler gerne als ihren Sohn herausstellt und sichso auch mit seinen Lorbeeren schmückt, die könnte da ein bisschen was investieren.

 AZU20 (22.12.20)
Dieter Wellershoff lebt in seinen Werken weiter. LG

 Graeculus (22.12.20)
Die "Neue Wissenschaftliche Bibliothek" geht auf ihn zurück, wie ich gerade lese. Ui!

Die Stadt Köln hat zwei Dieter-Welleshroff-Stipendien eingerichtet - das ist doch schon was.
Und ansonsten besucht man ihn am besten in seinen Büchern, in denen er fortlebt.

Normalerweise sind ja für die Grabpflege die Nachkommen zuständig, die er doch hat. Offenbar kümmern auch sie sich nicht um das Grab. Wer weiß, was ihnen an ihrem Vater wichtig ist?

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 22.12.20:
Da kann ich Graeculus nur zustimmen. Eine Stipendium ist gesellschaftlich wertvoller und aussagekräftiger als Blümchen auf einen Grab.

P.S.: Es gibt Literaten auf kV?

 eiskimo meinte dazu am 22.12.20:
Warum nicht das Eine tun und das Andere nicht lassen?
Und ob es hier Literaten gibt!

 Quoth (26.12.20)
Wer hat schon einen Grabstein wie diesen von all denen, die mit steinernen Grabmälern prunken:
https://www.kiwi-verlag.de/magazin/extras/trauerrede-von-helge-malchow-auf-dieter-wellershoff
? Ich habe ihn nie gemocht, aber sein Buch Der Ernstfall werde ich mir besorgen.

 eiskimo meinte dazu am 26.12.20:
Chapeau! Und Danke für diesen Link.
Ich habe mir die Trauerrede sofort ausgedruckt. Die wirft natürlich ein ganz anderes, viel helleres Licht auf den Autor, der hier für mich wirklich ein gänzlich neues Gesicht bekommt.
Toll!
lG
Eiskimo

 Quoth meinte dazu am 26.12.20:
Für mich war er vor allem Herausgeber von Gottfried Benns Werken bedeutsam. Vielleicht hat ihn dazu auch motiviert, dass er als Angehöriger der "Flakhelfergeneration" (Lenz, Hildebrandt, Grass, Walser, Jens) ja auch der NSDAP nahegestanden hat (wenn nicht ihr Mitglied gewesen ist) und deshalb weniger selbstgerecht über Benns "Verirrung" urteilte. Gruß Quoth
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