Largo

Sonett zum Thema Jahreszeiten

von  Quoth

Dieser Text gehört zu folgenden Textserien:  That Time of Year ... Sonette,  Sonette (Sonnets)
November, Wundermond, der du die Welt verhüllst
und alles Grauen in des Nebels Laken bettest,
der du die Herzen mit geheimer Sehnsucht füllst
und alle Leidenden in deine Weißheit rettest.

Du brachtest sie zur Welt, die Frau, die mich geboren,
in deren Leib ich schwamm, bevor sie mich gebar,
du bist mein Muttermond, aus zwölfen auserkoren,
der Rabenmonat, der mein liebster immer war.

Ist nicht die Welt allein verhüllt noch zu ertragen?
Blut, Leid und Hunger quillt aus allen Fugen ihr.
Die Menschheit wird zur Pest, die den Planeten killt.

Ich seh Gerippe aus dem Mulch, der Erde ragen;
hör die Gequälten schrein, so schreit nicht mal ein Tier.
O nimm mich, Erde, auf, o Mutter mild!

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Kommentare zu diesem Text


 Willibald (07.12.20)
Auf den ersten Blick hat sein Duktus etwas Gravitätisches, eine sechs- und fünfhebige Rhythmik. Das Sonett sucht eher das gehobenere oder altertümliche Wort, die etwas geschraubtere Wendung, den barocken Schnörkel, die Apostrophe:
i]November, Wundermond, der du die Welt verhüllst
und alles Grauen in des Nebels Laken bettest, [/i]

Es verzichtet auf den karg-sachlichen Bauhaus-Stil. "Die Abwässer der literarischen Industrie", schrieb Doderer, "verseuchen die Sprache. Ich selbst bin einer der letzten lebenden Flußkrebse, die in ihrer Not gegen den Strom wandern, den Quellen zu."

Quoth, der Rabe, hymnisiert im breiten Largo den Rabenmonat und die Mutter und setzt und versetzt den Ton in Binnen- und Endreim mit "quillt", "killt" und "muttermild".

Eine gravitätische, postmoderne, nein nicht mehr spielerische, sondern ernste Todessehnsucht voll Trauer und Levitation, Eichendorffs "Ich möcht’ am liebsten sterben,
Da wär’s auf einmal still!"
Nur sanfter. Ein Largo wie ein barockes Lied der Kinder voll Sehnsucht nach dem Anfang und dem Ende.

 Quoth meinte dazu am 07.12.20:
Danke, Willibald. Ist nun der Text von den Abwässern der literarischen Industrie verseucht - oder darf ich mich von Dir und Doderer mit einem der Flusskrebse identifiziert fühlen, die den Quellen zuwandern? Und wo bin mal fünfhebig?
Du hast mich an den Alexandriner erinnert, den ich schon früher pflegte, und hast ihm zur Auferstehung verholfen. Das Gravitätische liegt mir, spiele auch gern Barockmusik. Herzlicher Gruß und Dank für den Lieblingstext - Quoth

 Willibald antwortete darauf am 07.12.20:
Grüße Dich, Quoth, mir scheint V4 kann man fünfhebig lesen.
Eine Weißheit.

Ein Doderer-Quoth.
ww

Antwort geändert am 08.12.2020 um 18:37 Uhr

 Willibald schrieb daraufhin am 08.12.20:
Anderer Echoraum neben Barockiaden: der du ....

November, Wundermond, der du die Welt verhüllst
und alles Grauen in des Nebels Laken bettest,
der du die Herzen mit geheimer Sehnsucht füllst
und alle Leidenden in deine Weißheit rettest.


Der du von dem Himmel bist,
Alles Leid und Schmerzen stillest,
Den, der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquickung füllest,
Ach, ich bin des Treibens müde!
Was soll all der Schmerz und Lust?
Süßer Friede,
Komm, ach komm in meine Brust!

Johann Wolfgang von Goethe

Antwort geändert am 09.12.2020 um 21:38 Uhr

 Alazán (17.12.20)
Der Text erinnert mich an nordische Sagen, dann muss aber das "killt" ersetzt werden; vllt einfach "tötet"? So wirds zeitlos

 Quoth äußerte darauf am 18.12.20:
Die Nebel und die Raben (Odins) sind wohl für Deine Assoziation verantwortlich. Das Verb "killen" kommt aus dem Englischen, ist aber germanischen Ursprungs und mit "quälen" verwandt. Außerdem finde ich auf "tötet" keinen brauchbaren Reim, bewege mich ja in einer Form mit Reimzwang. Vielen Dank für die Empfehlung mit Kommentar! Gruß Quoth

 Lluviagata (06.01.21)
[Ich seh Gerippe aus der Mutter Erde ragen;
hör die Gequälten schrein, so schreit nicht mal ein Tier.
O nimm mich, Erde, auf! Umhüll mich muttermild.]

Hallo Quoth,

tolles Sonett. Für V4 hätte ich nur eine spontane Anregung parat:

[Ich seh Gerippe aus der schwarzen Erde ragen;
hör die Gequälten schrein, so schreit nicht mal ein Tier.
O Erde, nimm mich auf, o Mutter mild.]

Die kurze Schlusszeile wäre für mich eine versöhnliche Abdriftung in den inneren Frieden. Ich kann es nicht so erklären, ich agiere immer gefühlsmäßig, liebe weiche Rhythmen, auch wenn es um den Tod geht. Aber ich weiß, es ist dein Baby, ja, ich selbst reagiere immer etwas verstört auf Textvorschläge. ;)

Liebe Grüße
Llu ♥

 Quoth ergänzte dazu am 06.01.21:
Vielen Dank für Empfehlung und Kommentar! Habe einen Kompromiss zwischen Deinem Vorschlag und meinem Text gefunden, der mir gefällt. Ich gehe gern auf Textvorschläge ein, sie verstören mich nicht, sind für mich das Beste an Literaturforen! Gruß Quoth

 Lluviagata meinte dazu am 06.01.21:
Für mich wäre die doppelte Nennung der Mutter noch ein klitzkleiner Grund, den 4. Vers zu überdenken.
Und ja, das mit dem verstört Sein war selbstironisch gemeint. Oder ist es Eitelkeit? ;)
Egal, ich freue mich sehr, endlich mal wieder einen gewieften Gedichte-/Geschichtenschreiber hier entdecken zu dürfen.

edit. RS

Antwort geändert am 06.01.2021 um 13:06 Uhr

 Quoth meinte dazu am 06.01.21:
Habe Ersatz für die erste Mutternennung gefunden. Obgleich ich nicht der Meinung bin, dass Wortwiederholungen immer ungut sind.
Zu Deiner Frage: Nein, es ist keine Eitelkeit, sondern Selbstschutz gegen Verbesserungen, die keine sind. Vielen Dank für das "gewieft", bin aber auch nur ein Amateur wie die meisten hier. Deine Wertschätzung erwidere ich durchaus. Läse gern auch mal einen Prosatext von Deiner Hand! Gruß Quoth

 Lluviagata meinte dazu am 07.01.21:
Stimmt, denn dann käme auch noch die Erde dazu. Manchmal bin ich halt betriebsblind. Anstatt Mulch den gerade gefundenen Begriff Mull oder Staub zu verwenden, wäre auch eine Möglichkeit. Aber pfeif drauf, so wie es ist, ist es gut. Sehr gut sogar.
Ich hoffe, dass ich auch mal wieder etwas anderes, ein Gedicht zum Beispiel, schreiben kann als immer nur Kondolenzbucheinträge, die auch eine Art Prosa sind.

Liebe Grüße
Llu ♥

 Quoth meinte dazu am 07.01.21:
Kondolenzbucheinträge ... In der Renaissance hat man das lateinische Distichon für Nachrufe geliebt, z.B. hier: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e6/Henricus-Rantzau.jpg Wären Distichen nicht ein guter Kompromiss zwischen Lyrik und Prosa? Hexa- und Pentameter haben einen fast prosaischen Fluss. Ich habe eins geschrieben (Carl Schmitt), allerdings nicht als Nachruf, und die Formkategorie Distichon habe ich hier vergeblich gesucht und mich auf Renkkings Rat mit Epigramm zufrieden gegeben - und gleich noch eins gemacht! Gruß Quoth

Antwort geändert am 07.01.2021 um 22:14 Uhr
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