Ein unmoralisches Angebot

Anekdote zum Thema Erinnerung

von  Bluebird

Illustration zum Text
(von Bluebird)
Es war etwa gegen 21 Uhr abends, als ich mein klappriges Fahrrad durch den Düsseldorfer Hauptbahnhof schob. Ich hatte fast schon den Ausgang Richtung Innenstadt erreicht, als mir plötzlich Gunter, ein alter Bekannter,  leicht torkelnd entgegenkam.   
  Als er mich sah, blieb er abrupt stehen. Er schaute auf mein Fahrrad, sah dann mich an, griff in seine Hosentasche, holte einen Zehnmarkschein hervor und steckte ihn in meine Jackentasche: „Kauf dir ein anständiges Fahrrad davon!“ Dann torkelte er weiter, mich verblüfft zurücklassend. 
 
Was ihn zu dieser Tat veranlasst haben mochte, ist sein Geheimnis geblieben. Wahrscheinlich wollte er mir armen Schlucker, der ich damals bekanntermaßen war, einfach etwas Gutes tun. Wenn auch eine gewisse Herablassung unübersehbar war. Aber was soll´s?, dachte ich.  Wer weiß wofür es gut ist?
 
Auf dem Bahnhofsplatz schloss ich mein Rad an einen Laternenpfahl und ging ein paar Meter in Gedanken vertieft die Graf-Adolfstrasse entlang. Plötzlich wurde ich von der Seite her angesprochen: „Möchtest du mein Fahrrad kaufen?“
      Irritiert blickte ich in das hübsche Gesicht einer jungen, auf einem Fahrrad sitzenden Frau. Dann auf das Fahrrad „Ja, was soll es denn kosten?“ fragte ich neugierig zurück. „Für zehn Mark kannst du es haben!“, lautete die Antwort.
  „Im Ernst? Das Rad hat über 20 Gänge und ist in einem tadellosen Zustand! So etwas verkauft man doch nicht für zehn Mark! Wo ist der Haken?“ „Kein Haken“, sagte sie, „aber ich brauche dringend 10 Mark. Das Fahrrad ist nicht geklaut. Brauchst du dir keine Sorgen zu machen!“

Einen Moment lang war ich wirklich versucht, auf ihr Angebot einzugehen. Vermutlich brauchte sie das Geld für Drogen, aber war das mein Problem?
    Und hatte ich nicht gerade 10 DM von Gunter erhalten, mit dem Hinweis mir davon ein anständiges Fahrrad zu kaufen? Kam da nicht 1 und 1 zusammen? Waltete hier nicht die göttliche Vorsehung auf eine kaum zu übersehende Art und Weise?
      Ich holte den zuvor erhaltenen Geldschein aus der Jacke und reichte ihn ihr. „ Ein Geschenk des Himmels - für dich. Ich wünsch dir noch eine gute Weiterfahrt!“
    Und mit diesen Worten hob ich grüssend meine Hand, wandte ich mich dann schnell ab und setzte meinen Weg fort. "Und du willst das Fahrrad wirklich nicht?", hörte ich sie hinter mir herrufen. Aber ich drehte mich nicht noch einmal um.

Gedankenimpuls:
Dass mir jemand 10 DM für ein neues Fahrrad geschenkt hatte, war an sich schon ein absurder und auch leicht despektierlicher Vorgang. Das mir aber fünf Minuten später für genau diese Summe ein Rad von Spitzenqualität angeboten wurde, war geradezu grotesk. Solche Zufälle gibt es einfach nicht.
    Dennoch hatte ich irgendwie ein ungutes Gefühl, auf den angebotenen „Deal“ einzugehen. Deshalb habe ich die zehn Mark einfach nur weitergegeben und ein gutes Gewissen behalten.

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Frühere bzw. ältere Kommentare zu diesem Text


 loslosch (27.02.21)
du hast der teuflichen versuchung grandios widerstanden. dafür winkt dir bald gottes lohn.

oder vllt. doch nicht?

 DanceWith1Life (27.02.21)
hm, wüsste ich jetzt auch nich, wie ich reagiert hätte, Du schreibst von einem unguten Gefühl, das Du berücksichtigt hast, also ein ungutes Gefühl ist ein ungutes Gefühl, zuwider handeln immer seltsam, mit oder ohne biblischen Hintergrund.
Es gibt Leute, die auf solche Gefühle achten, die nicht mal lesen können, geschweige denn vom christlichen Glauben gehört haben.
Es wäre sogar möglich, dass gerade unter diesen, solch eine Reaktion häufiger vorkommt, also sehr, sehr gut möglich.
Es gab da diesen Film "die Götter müssen verrückt sein" z.B.

 Bluebird meinte dazu am 27.02.21:
Das stimmt schon ... aber das Zusammentreffen von "10 Markspende" und "Angebot" wr sichr kein Zufall

 Graeculus antwortete darauf am 27.02.21:
Dieser Gott kommt mir vor wie ein Lausbub, der die Leute gerne etwas neckt. Nur wenn er schlechte Laune hat, schickt er einen Vulkanausbruch oder ein Erdbeben.

 Dieter Wal schrieb daraufhin am 27.02.21:
Gut gesagt. Oder: "Is it not certain that the Creator yawns in earthquake and thunder and other popular displays, but toils in rounding the delicate spiral of a shell?" -Yeats, The Trembling of the Veil
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