Brich an du schönes Morgenlicht

Tagebuch zum Thema Nachdenkliches

von  tulpenrot

Neujahrsmorgen. Noch ist es dunkel draußen. Noch ist es grau. Schneereste. Dazwischen gefrorene Erde. Dennoch freu ich mich auf den Tag. Eine dünne Rauchfahne steigt zum Himmel auf, verflüchtigt sich. Ich habe das Fenster gekippt, damit frische Luft hereinkommt. Das tut gut.

 

Ich bin erkältet, der Schädel brummt und mein Rücken schmerzt. Trotzdem bin ich froh.

„Brich an du schönes Morgenlicht“ singt es in meinem Kopf. Es ist ein Choral aus dem Weihnachtsoratorium. Ich habe gestern Nachmittag mit anderen Frauen danach getanzt. Nein, nicht getanzt, eigentlich mich nur nach der Musik tänzelnd bewegt. Die evangelische Kirchen-Gemeinde hat dazu eingeladen. Vielen gefällt so etwas. Mir nicht. Und dennoch, in mir tönt der Choral heute noch weiter. Und ich bin heute Morgen froh gestimmt. Ohne erkennbaren Anlass. Einfach so.

 

Nach der Veranstaltung lagen 2 Zweieurostücke im Geld-Körbchen. Für die Tanzleiterin.  4 Euro? Wir waren doch ca. 20 Leute! Mehr war den Teilnehmerinnen die Sache nicht wert? Ich hab nichts gegeben, noch nicht einmal aus Anstand.  Ob der Gedanke an diese blamable Situation der Auslöser ist, dass es mir sauer hochkommt, dass mein Magen offensichtlich auch spinnt wie mein Rücken und der Kopf? Ich mag den Gedanken heute morgen nicht zu Ende denken. Das war schließlich gestern.
 

Heute hat ein neues Jahr begonnen. Das gefällt mir - ein ganzes, bisher unberührtes Jahr liegt vor mir, wie ein noch unbebautes Feld. Dahinein hat noch niemand etwas gesät. Alles ist möglich. Dort wachsen bisher kein Kraut und keine Rüben. Ich hab die freie Wahl, daraus etwas Neues zu machen. Und das Alte? Leider ist es, wie der Winter, noch lange nicht vorbei. Aber erst einmal gilt es, das Neue ankommen und das Dunkle erst einmal ruhen zu lassen. Es wird jeden Tag etwas heller.

„Brich an, du schönes Morgenlicht.“

 

Ein heller Schein ist mit der Geburt Jesu in unsere, meine Welt gekommen. Der Gedanke ist tröstlich. Ein Versprechen Gottes: Er wird es gut machen. Er wird es recht machen. Auch mit meinem Leben, das so verworren ist, so ohne Aussicht auf etwas Schönes. Ich ringe mich an diesem Morgen erneut zu diesem Vertrauen durch. Es fällt mir leicht.

„Brich an du schönes Morgenlicht.“

 

01. Januar 2010

(s. a. https://keinverlag.de/264354.text)




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Kommentare zu diesem Text


 GastIltis (07.01.22, 15:59)
Liebe Angelika,
man möchte hinzufügen: „Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage!“ Weil in der Zeile und in deinem „Brich an du schönes Morgenlicht.“ so viel Hoffnung und Zuversicht für alle, nicht nur die religiösen Menschen enthalten ist, dass es sich lohnt, sie andachtsvoll auszusprechen.
Es ist wohltuend, deine Zeilen zu lesen, gerade wenn man weiß, welchem Beruf, welcher Berufung du nachgehst.
Viel Glück für 2022 und auch sonst. Herzlich Gil.

 tulpenrot meinte dazu am 07.01.22 um 18:00:
Lieber Gil,
danke für deine Worte. Ja, damals, als die Rohfassung dieses Textes entstand, war ich noch berufstätig. Ich kann mich noch gut an vieles erinnern. Es war bestimmt nicht leicht, aber  ich bin froh, dass es mir immer wieder gelang, das Ruder rumzureißen, die Stimmung zu heben. Und die Choralworte "Jauchzet, frohlocket.." tragen manches ebenfalls dazu bei.
Schön, dass du damit was anfangen kannst.
Liebe Grüße
Angelika

Antwort geändert am 07.01.2022 um 19:17 Uhr
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