Was mich beschäftigt heute morgen

Tagebuch zum Thema Erinnerung

von  tulpenrot

Schlecht ist die Luft draußen, der Nebel drückt sie nieder.

Ist es noch der Geruch von gestern Nacht, als es brannte in der Nachbarschaft?

Ich hatte vorsichtshalber die Fenster geschlossen und konnte lange nicht einschlafen.

 

Heute Morgen ist kein Frühling, auch kein Winter, beide haben eine Pause eingelegt. Es ist nur scheußlich, kalt und dunkel.

Ich habe Hunger, sitze im Studierstübchen, gucke aus dem Fenster, sehe die kahlen Bäume und Büsche.


Vielleicht schreibe ich heute wieder alte Briefe ab, entziffere (manchmal mühsam) altdeutsche und Sütterlin-Schrift. Im Moment von meinen Eltern aus dem Jahr 1947. Erlebnisse und Gedankenaustausch zwischen Oberbayern und Mecklenburg.
Amerikanisch besetzte Zone, russisch besetzte Zone. Der Postverkehr funktioniert einigermaßen, Reisen von einer Zone zur anderen sind unmöglich, für meinen Vater auf jeden Fall. Grenzen reißen Familien auseinander und kein Vorwärtskommen. Meine Urgroßmutter stirbt in Mecklenburg, ohne dass ihre Enkelin (meine Mutter) aus Oberbayern zur Beerdigung kommen konnte.

 

Ich lese 78 Jahre später ihre Briefe, mit Ehrfurcht vor dem Papier, das ja auch schon eine Kostbarkeit an sich darstellt, gespannt, wie sie sich, meine Eltern, durchschlagen in ärmlichen Verhältnissen. Es gibt nichts zu kaufen, die Lebensmittel sind rationiert. Der Strom auch. Mit der Schwiegermutter und wildfremden Flüchtlingen aus Polen leben sie in einer Wohnung mit 3 Zimmern in Rosenheim. Einquartierung. Nur 1 Klo für alle. Aber meine Eltern machen es sich gemütlich, sind erfinderisch, wie sie ihr Zimmer aufteilen. Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Arbeitszimmer in einem. Später auch Kinderzimmer. Ich kann mich daran noch erinnern.

Meine Eltern schicken Kartoffeln von Oberbayern nach Mecklenburg, meine Großmutter packt ein Päckchen mit 2 Birnen aus ihrem Garten in Bad Doberan. Es darf nicht zu viel wiegen. Diesen großelterlichen Garten kenne ich noch aus meiner Kinderzeit, die Birnen auch. Ich habe meine Kinderzeit sowohl in Oberbayern als auch in Mecklenburg verbracht. Aber noch bin ich nicht geboren.

 

160 DIN A4 Seiten sind es inzwischen auf meinem Laptop. Heute kommen noch etwa 4 Seiten dazu.

Drüben in der Küche dudelt mein Radio. Völlig sinnlos.



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Kommentare zu diesem Text


 Regina (06.02.25, 13:13)
Geschichte in persönlichen Zeugnissen. Gut geschrieben.

 tulpenrot meinte dazu am 06.02.25 um 13:28:
Danke

 Quoth antwortete darauf am 06.02.25 um 20:05:
Hoffentlich stößt Du nur auf - nun, Du weißt, die Nachkriegszeit ist auch die Zeit des Schweigens über so viel.

 tulpenrot schrieb daraufhin am 06.02.25 um 21:46:
Ich lese die Briefe, sie schweigen nicht.

 Moppel (06.02.25, 20:24)
diese persönlichen Geschichten sind wichtig, tulpenrot. Wir können viel daraus lernen. lG von M.

 tulpenrot äußerte darauf am 06.02.25 um 21:53:
Ich bin nicht sicher, ob ich etwas daraus lerne. Vor meinen Augen erstehen meine Eltern als junge Eheleute, wie sie lebten in einer Zeit nach Krieg (Ausgebombtsein) und Gefangenschaft, die ich ja nicht mehr erlebte, aber die meine Eltern und die übrige Familie geprägt hat. Deren Auswirkungen auch in meinen frühen Kinderjahren eine Rolle spielten. Es ist für mich hochinteressant. Vor allem meine Mutter war sehr mitteilsam.
P.S. Danke noch für dein Interesse!

Antwort geändert am 06.02.2025 um 21:54 Uhr
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