Auf eine Balkendecke
Unter Schlangen, Zottelköpfen,
Wappen und Akanthusblättern
bringen Jäger und Lakaien
Vivats auf den Hausherrn aus.
Sein Porträt schmückt einen Balken,
das der Hausfrau einen andern,
auch der Junior ist verewigt:
Flügelkragen, freches Grinsen.
Der Baron, er weilt in Sachsen,
muss Kastanien aus dem Feuer
holen für den Schwedenkönig,
Päpstliche zu Paaren treiben.
Renitenten Bauern wird er
manchen Schwedentrunk verabreicht,
Bäuerin geschwängert haben,
die sich hat umsonst geschwärzt.
Doch die Jäger und Lakaien
rufen Vivat auf den Hausherrn,
heben ihre Humpen, kneifen
Kreischende in alles Pralle.
Knaster qualmt aus weißen Pfeifen,
ein Besucher, er trägt Turban,
trinkt aus einer Waldglasflasche,
nicht mehr voll mit Branntewein.
Schwarzweißgrau ist auf die Balken
auch ein Totenkopf gemalt,
jubelnd laden sie die Büchsen
und piff paff! durchlöchern ihn.
Doch da bringt der Lumpenhändler
Nachricht aus dem Sachsenland:
Schwedenkönig traf die Kugel,
mit ihm fiel auch der Baron.
Starr und schön mit schwarzer Haube
tritt die Witwe in den Festsaal
und verneigt sich vor den Zeichen
Jesus, Heiland, Seligmacher.
Unter all den Zechgenossen
sind drei Freiherrn, und die messen
jetzt einand mit scheelem Blick:
Wer wird aus der Deckung kommen?
(Quoth)
(1) (1) Spaß mit Tod
Ach, dieser archaisch modernde, moderne postmoderne Text von Quoth! Ein Text aus dem Echoraum des 19. Jahrhunderts und keineswegs ridikül, keineswegs. Verspielt und ernst wie er ist.
Das beginnt bei der Überschrift, sie lässt sich lesen als Thema, als Gegenstand, "auf den" ein Gedicht „gemacht“ wird und sie lässt sich lesen als der Gegenstand, welcher in das menschliche Leben hineinwirkt, als "auf ihn" im Handlungsverlauf der Ballade mit Büchsen „piff und paff“ geschossen wird.
Genauer: Geschossen wird triumphal auf ein Bild des Todes und das hat dann – so spürt auch der moderne Leser – Konsequenzen, der Tod lässt nicht mit sich spaßen.
(2 (2) Kommunikations- und Handlungsräume
Anskizziert seien im Folgenden der Handlungsraum, besser: die Handlungsräume, und der Kommunikationsraum der Ballade. Der Text enthält latent ein lyrisches Ich, das sich und seine Einstellungen sehr verdeckt dem aufmerksamen Leser offenbart, das ist der Kommunikationsraum, den wir in der Lektüre betreten. Spürbar etwa in der vierten Strophe. Eine Vermutung, vorsichtig mit "er wird ... haben" formuliert. Ein Sprecher offensichtlich, der latenten Kontakt mit dem Leser aufnimmt, indem er auf den Wahrheitswert von Aussagen hinweist:
Renitenten Bauern wird er
manchen Schwedentrunk verabreicht,
Bäuerin geschwängert haben,
die sich hat umsonst geschwärzt.
Es gibt zwei oder drei Handlungsräume, (a) den des Krieges in Sachsen. Dort kämpfen der Schwedenkönig samt seinem Baron und sie scheinen über die katholischen Kräfte („Päpstliche“) zu triumphieren, dann (b) gibt es den Lebensraum des Barons, die Halle, in der die Decke mit Bildern bemalt ist: Baron, Ehefrau, Sohn, Totenschädel, IHS-Signatur. Und in dem der Abwesende, der „Hausherr“, wüst gefeiert wird. Obwohl – das signalisiert das adversative „doch“ in der fünften Strophe – Kriegsgräuel gegenüber Bauern und Bäuerinnen begangen werden. Eine unstatthafte, eine unangemessene Huldigung für den Baron, so können wir aus dem „doch“ herauslesen. Einem spärlichen Signal des Kommunikationsraumes.
Der Huldigungsgruß „vivat“ mag hier für das lyrische Ich und den Leser moralisch obsolet erscheinen, er entfaltet zusätzlich noch in seiner „Grundbedeutung“ „er möge hoch leben“ seine retributive Kraft, er sucht den Adressaten "heim". Als nämlich der gemalte Totenschädel an der Decke durchlöchert wird, schlagen die Kugeln „durch“. Sie treffen nicht den Tod und seine Macht, sondern treffen weithin, so scheint es: Der Raum öffnet sich. In der Meldung (Strophe7) hat eine Kugel den Schwedenkönig im Sachsenland getötet und mit ihm wohl seinen Vasallen. Den man gerade noch "hoch leben" ließ. Heimsuchung, magisch.
Es gibt nun den toten Hausherrn, einen Sohn, es gibt eine Witwe und unter den Zechgenossen drei „Freiherrn“ mit „scheelem Blick“. Das lyrische Ich dürfte - sehr indirekt - klar machen, dass hier im nun leeren Machtgefüge eine Eroberung ansteht, vielleicht mit Intrige, vielleicht mit Gewalt, vielleicht mit Tod, vielleicht mit der Heirat der Witwe. Kurzum: Aggression und Düsternis und Tod dominieren im Raum des Vivatgeschreis und seinem Verstummen.
Das eigentliche Leben ist vom Machtkampf und vom Tod bestimmt. Das irdische Leben jedenfalls.
(3 (3) Das Zeichen für „Jesus, Heiland, Seligmacher“ und das Kopfkino
Und nun zum dritten Handlungsraum (c), dem religiösen Bezirk: In der Geste der Baronin – sie verneigt sich vor dem Jesus-Zeichen – wird die höhere Macht und der religiöse, überirdische Raum anerkannt. Die christliche Hoffnung auf himmlische Aufnahme ihres Mannes mag hier in ihrer Geste mitschwingen: er möge selig werden. Andere Lesarten sind allerdings koexistent: Das lyrische Ich legt wohl nahe, dass sich Verbrechen in diesem Krieg zugetragen haben, die himmlische Hoffnungen untergraben. Verdammnis droht.
Zudem: Das Schwängern von Frauen (3.Strophe) dürfte bei aller Kriegslizenz doch der Baronin alles andere als gefallen, so dass eine gewisse Erleichterung zu konstatieren sein könnte. Eine irdische „Seligkeit“ also, von diesem Mann erlöst zu sein und sich als schöne Witwe (8) in das erotische Spielfeld begeben zu können. Auch wenn das neue Spiel mit den drei Freiherrn wohl ein altes Spiel ist.
Außerdem: Das Christusmonogramm scheint eher ein Monopol katholischer Überzeugungen zu sein, es ist auch ein Signum der Jesuiten und ihrer Gegenreformation. Und würde hier im Text einen Etappensieg des katholischen Lagers andeuten, ob das nun dem modernen, religionsfremden Leser gefällt oder nicht.
Was aber über alle Konfessionsmachtspiele unstrittig bleibt. Der Tod hat hier als verletzte Majestät und als unverletzliche Majestät das letzte Wort. Und die Macht des Todes zeichnet sich hier ab in einem Genrebild, das der Autor mit und in der Halle schafft, durch die Stimulation des Kopfkinos durch Worte.
(4) Der Zauber der Bildersprache
„Branntewein“, „Knaster“, „Humpen heben“, „Zechgenosse“, „scheeler Blick“ – ein archaischer Wortschatz, ein archaischer Flow, Antiquität, eklektisch, überholt, komisch dieser Wortschatz?
Trochäen-Flow, Trochäen-Drive, Trochäen-Säume; atemlose Reimlosigkeit wie etwa bei Heine:
Seit dem Gastmahl des Belsazar
Gab es keine Tischgesellschaft,
Welche so verstöret aussah
Wie die unsre in dem Saale,
Als das Ungetüm hereinsprang
Mit dem Haupte Don Fredregos,
Das er mit den Zähnen schleppte
An den träufend blut'gen Haaren.
Auf den leer gebliebnen Stuhl,
Welcher seinem Herrn bestimmt war;
Sprang der Hund und, wie ein Kläger,
Hielt er uns das Haupt entgegen.
(Heinrich Heine Spanische Atriden, Ausschnitt)
Überholte Staffage, überholtes Format, peinlich gar? Wohl nicht. Eher „Magisches Denken“.
Magisches Denken?
Es ist uns aus meditativen Stimmungen, Tagträumen oder aus Schlafträumen oder aus Märchen und Mythen bekannt.
Nicht zuletzt seit der Popularisierung von Tolkiens Werken oder den Harry-Potter-Romanen ist vielen jungen Menschen „magisches Denken“ vertraut.
Einmal, weil die Kunstfiguren „magisch denken“.
Dann weil wir uns als Leser seltsamerweise ebenfalls ohne größere Probleme in dieser Welt bewegen.
Als „prärationales“, „naives“, vielleicht einer frühen Kulturstufe zugeordnetes Denken ist es abgrenzbar von naturwissenschaftlichem, modernem Denken, aber nicht strikt unverträglich damit. Offensichtlich sind wir geneigt – zumindest für die Dauer der Lektüre – uns vom Unglauben zu dispensieren. Wir lassen uns vom magischen Denken mitreißen. Viele von uns.
Grundvoraussetzung magischen Denkens ist die These, alle Welterscheinungen stünden in einem geheimen Zusammenhang, der sich nicht nur über physikalische Grund-Folge-Erscheinungen und Zufall definieren lässt.
Vielmehr gebe es eine in Träumen oder in meditativen Zuständen oder in Klarsichterlebnissen erfassbare höhere, gütige, belohnende, strafende Instanz oder böse Mächte, die auf die Welt einwirken.
Diese höhere, Instanz ist – so ein Standardmodell - ein göttlicher Designer, der eine „wunderbare“ Welt geschaffen hat, die es richtig zu lesen gilt. Die Welt, auch die Menschenwelt - sei als eine Art „natürliche Offenbarung“ zu verstehen. Egal ob man die Welt als fertig statisch oder evolutionsorientiert interpretiert.
Ein deistischer Designer hält sich mit direkter Einflussnahme oder gar mit dem Durchbrechen von Naturgesetzen zurück. Die vorhandenen Glücksangebote sind „wunderbar“ und ergiebig genug. Ein theistischer Designer kann darüber hinaus durch „übernatürliche“ Handlungen, also Wunder im engeren Sinne, und direkte Hilfe unser Leben beeinflussen, wenn er das will. Sei es aus unhinterfragbarer Gnade. Sei es, weil wir sein Wohlwollen durch unsere Lebensführung und/oder Gebete erlangen.
In pantheistischer Sicht ist die Welt selber Designer und Designtes. Eine eigenständige Macht „jenseits“ der Welt - ein Schöpfer - wird hier nicht angenommen. Eine Welt voller offener und verborgener Wunder.
Und wollen wir nicht vergessen, welchen Spaß es macht, aus der magischen Welt wieder aufzutauchen in das Alltagsdenken und seine Normen zurückzukehren. Und kopfschüttelnd auf das Wesen zurückzublicken, das sich immer wieder einfangen lässt, von weißer oder schwarzer oder poetischer Magie. Sie zieht uns in den Kommunikationsraum eines Gedichtes. Und sie vermag es hier, Handlungsräume wie Halle, Sachsen und Transzendenz so zu vernetzen, dass wir uns - zumindest für die Zeit der Lektüre - dem magischen Denken hingeben können, wenn wir dazu bereit sind.