Chris erzählt

Kurzgeschichte zum Thema Mitmenschen

von  RainerMScholz

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Wir sitzen in dem kleinen dunklen Zimmer und trinken. Die Rollläden sind halb unten. TodMetall kracht aus der Anlage gegen die grauen Raufaserwände.

Draußen ist es bereits Nacht. Die Leuchtreklamen spritzen blau, grün und pissegelb durch die Schlitze in den Lamellen von Außenwelt. Der Lärm des Asphalts klingt gedämpfter, marginaler im Brodeln der Musik. Leere Flaschen stehen auf und unter dem unzulänglich mit grünmarmoriertem Resopal bespannten Tisch, sind umgestürzt und haben ihre Restflüssigkeiten bis zur Neige in den Imitatperserteppich sickern lassen. Ätzender, tagealter blauer Dunst schwängert die verbrauchte Luft und provoziert salzige Tränen, wo keine fließen sollten. Der Griff zur nächsten Flasche wird mühsamer und gequälter, als es den Anschein hat.

Chris sitzt mir gegenüber. Er schwitzt. Die Heizung ist aus. Das weiße Feinrippunterhemd hat er ausgezogen und in die Ecke hinter die Lautsprecherbox geworfen. Seine Tätowierungen glänzen verblasst unter der Lampe, die von der Decke baumelt, und der schwülen Nacht. Ein Spinnennetz am Ellbogen und eine halbherzig weggeätzte SS-Rune am Handgelenk. Ich habe mir nie ein Piktogramm stechen lassen. Ich bin nie dazu gekommen. Oder mein Phlegma ist zu groß. Ich weiß auch, wofür das Spinnennetz steht.

Wir plaudern lautstark in den Lärm der Musik hinein, mehr aneinander vorbei als miteinander. Axiome sinnloser Daseinsäußerungen, irgendwie kontraproduktiv, destruktiv und vorhersehbar.

Chris ist arbeitslos. Wieder einmal. Ich weiß nicht, wie viele Fort-, Aus-, und Weiterbildungskurse er bereits absolviert hat. Weiß er wahrscheinlich selber nicht. Fertiggebildet. Blödgebildet. Dafür bin ich im x-ten Semester an der Universität eingeschrieben, als Sozialdingens oder so was. Die Monatskarte für die U-Bahn kommt so billiger. Nach dem Abschlussschein mache ich dann den Taxischein. Dann brauche ich auch keine Monatskarte mehr.

Chris erzählt von seinem letzten Besuch in Dresden. Wahrscheinlich könnte es auch jede andere Stadt sein. Aue zum Beispiel. Er wischt sich die Handflächen an der Hose ab, steckt sich eine Zigarette an, nimmt einen Schluck aus der Flasche. Chris erzählt, wie er und seine Freunde, seine `Kameraden´, sich mit politischen Gegnern auseinandersetzen, wie der Klüngel, den er Organisation nennt, mit `roten Zecken´ verfährt, derer sie habhaft werden können; also schizophrenerweise eher mit Leuten wie mir. Anscheinend falle ich durch Chris´ Raster.

Chris fabuliert, wie man jemandem den Oberkiefer bricht. Vielmehr erklärt er es. Ich nehme einen Schluck aus der Flasche. Ich weiß nicht, was ich sonst tun soll, um mein gefrorenes Grinsen aus dem Gesicht zu meißeln. Und die Kehle brennt. Ein Schalter legt sich in meinem Kopf um. Es klickt. Mein Herz ist taub. Dass man einen Menschen mit den oberen Schneidezähnen auf den Bordstein am Straßenrand legen muss. Dann tritt er mit den Stiefeln auf seinen Hinterkopf, damit der Oberkiefer entzwei bricht. Die Musik wird lauter und lauter, bis sie den ganzen Raum ausfüllt, bis mein Innenohr vom Panzerkettenrasseln der Bässe vibriert und zittert. Dann spritzen Blut und Zähne über das Pflaster. Und wenn ich richtig fest zutrete, wenn ich meinen Stiefel richtig in seinen Kopf versenkt habe, dann ist der Oberkiefer gespalten, dann gibt es eine rote Zecke weniger, einen Asylanten, einen Nigger, einen Kameltreiber weniger, der das Maul aufreißen kann.

Chris setzt die Flasche an. Er schaut auf die blinden Fenster. Ich folge seinem Blick und sehe die Nacht, die auf der Stadt lastet. Wir stoßen an und machen weiter. Was sollen wir sonst tun. In der Nacht. Der Stadt. Unter Menschen und Wölfen.


© Rainer M. Scholz



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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (11.02.22, 17:56)
Gruselige Situation, gut beschrieben. Insgesamt bleiben die beiden Prots aber zu passiv, als das wirklich Spannung entstehen könnte.
Adrian (47)
(12.02.22, 01:35)
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 RainerMScholz meinte dazu am 15.02.22 um 14:37:
Für diesen Kommentar:
Gruß + Dank,
R.

 Melodia (12.02.22, 10:10)
Hey,

die Beschreibung des Settings und der Situation, die Gedanken, sind sehr eindrucksvoll, wenn auch erschreckend, geschrieben.

Beim Kiefer auf Bordstein-Abschnitt musste ich unweigerlich an "American History X" denken.

Kleine Anmerkung: "TodMetall" sagt niemand. Wenn dann korrekt bei Death Metal bleiben. Allerdings würde ich das ändern, da das Subgenre eher als gesellschaftskritisch-links einzuordnen ist. Mit Sicherheit gibt es rechte Bands im Death Metal, aber Rechtsrock wäre bei weitem realistischer. Klingt natürlich nicht so gut (in jeglicher Hinsicht  ;))

LG

 RainerMScholz antwortete darauf am 15.02.22 um 14:36:
Mit Edward Norton, ein sehr guter Film. 
Ja, ich weiß - Death Metal. Ob da links gleich links ist, eher fraglich. Und der Ich-Erzähler soll eher nicht als Rechter wahrgenommen werden. So, genug vom politischen Flügelschlagen. Wenn auch schon klar ist, dass politisch motivierte (?) Gewalt von rechts gerne Vernichtungspotential enthält.
Grüße,
R.
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