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2005

Schundroman zum Thema Denken und Fühlen

von  Terminator


Januar 2005


Obwohl Kochen nicht mein Hobby ist, kochte ich früher ziemlich oft, nämlich vor Wut. Der erste Arbeitstag im neuen Jahr ist gefühlte 20 Stunden lang. Ein nagendes, brennendes, drückendes, quängelndes, sirrendes, surrendes Unbehagen löst innerhalb einer Woche einen inneren Krieg gegen den Terror aus.

Der Luthersche Gnadengedanke lässt mich über die notwendige und die hinreichende Bedingung der Himmelfahrt spekulieren: würdig musst du in jedem Fall sein, aber ob du in den Himmel kommst, ist Gottes souveräne Entscheidung.


Februar 2005


Hoffnungsblasen an der Kopfbörse sind existentiell notwendig wie ihr Platzen unvermeidlich. Nobody´s fool, es gibt keine nackte Hoffnung. Der Kaiser muss Kleider haben, die ihn vom Penner unterscheiden. Das Platzen einer Hoffnungsblase reißt der Hoffnung aber ihre Kleider vom Leib, und macht mit dem ideologischen Überbau, dem vordergründigen Grund der Hoffnungsberechtigung, kurzen, wenn auch nicht immer fairen, Prozess. Ein überzeugtes und überzeugendes Abrücken von der Integralen Theorie findet erst Ende des Jahres statt, mit Cioran. Nach dem Hannover-Crash im Februar mache ich mit Wilber nur das, was die Nachwelt mit Hegel: ignorieren, weil nicht mehr relevant. Geht was kaputt, zählt das Pragmatische, Ideen zählen nichts.


August 2005


Ein Bisschen Berlin, ein Schlückchen Gardasee. Ich langweile mich und habe nichts vor, lerne einen Mitgelangweilten im Internet kennen, und entscheide mich spontan, mit ihm nach Italien zu fahren. In Deutschland regnet es überschwemmungsrelevant, am Gardasee prallen 30 Grad auf die Badenden, von welchen nicht wenige nur ihre Haut an haben. Die Berge gefallen mir wesentlich mehr, als der See. Die Dolomiten sind nicht nur eine Durchfahrt wert, aber zum Nichtnur kommt es nicht, nur zum Badeausflug ans Meer weiter südlich. Die wochenendticketische Rückfahrt von Stuttgart nach Hannover wird zur angenehmen Odyssee, wie bereits die der Reise vorausgegangene Fahrt nach Stuttgart. Eine Nacht in Kassel auf dem Hinweg, eine Nacht voller Langeweile und Selbstvorwürfe: Herzen heilen langsam. Am Bahnhof in Stuttgart ein Mädchen: zierlich, dünn, langes Haar, schöne Mädchenhände, und alles in allem unscheinbar und vergänglich. Ich werde sie nie vergessen, aber bin mir dessen bewusst, dass ich ihr damals nichts zu sagen hatte, als ich an ihr vorbeiging, und sie an mir, und wir aneinander.


September 2005

Anfang September betrinke ich mich zum ersten Mal überhaupt und mit zwei Liter Bier. Der Kater, oder das, was ich dafür halte, dauert eine Woche. Am Wahlsonntag schäme ich mich meiner Existenz ganz spontan, als ich zur Wahl gehe; schamtechnisch ohnehin angeschlagen, sehe ich mir die Elefantenrunde an, und werde noch zusätzlich vom Fremdschämen rot. Ich mag den Schröder nicht, aber empfinde an jenem Abend großes Mitleid mit ihm, will ihn aus dem Fernseher zerren und zur Vernunft bringen: Junge, das Land schaut zu, sei bissig, sei gemein, aber mach dich doch nicht zur Witzfigur! Meine Stimme geht an eine Oppositionspartei, ich gebe sie Oskar, und bekomme einen inneren Oskar in der Kategorie Bedeutungslosigkeit.


Oktober 2005

Am 10.10.05 sehe ich mir meine Begrüßung an der Universität in Hannover aus der Distanz an, und fühle mich durch den Gedanken niedergeschlagen, ein zweites Mal durch eine bildungssystemische Hölle zu gehen: die Erinnerungen an die Schulzeit sind noch sehr präsent.


November 2005


Paul Celan hat wahrscheinlich mehr Fans als der FC Bayern, wobei seine größte Leistung die Übersetzung von Ciorans "Lehre vom Zerfall" ins Deutsche war. Ich entdeckte die Aphorismensammlungen von E. M. Cioran Mitte November, und war mehr weg als hin: so einen ehrlichen Nihilismus hatte ich bis dahin noch nicht lesen dürfen. Vieles sprach mir aus der geschüttelten, nicht gerührten Seele, und es war auch eine Erleichterung dabei, dass ein Anderer all diese Überlegungen bereits zu Papier gebracht und veröffentlicht hat, und ich dies der Menschheit nicht mehr schuldig war. Ja, geistiges Eigentum verpflichtet nicht bloß rechtlich, sondern auch moralisch.

Diesen sehr aktiven Monat meiner Seelentektonik beende ich mit dem Traktat "Annihilation", der mit "(45) Diese Welt geht mich nichts an" endet. Es ist ein kurzes und lakonisches Werk. Anders "Antimoralistische moralische Betrachtungen", die ich am 18.11. beginne, und die bis zum 9.12. auf 400 Aphorismen, Sprüche und Gedanken anwachsen. "Wahrhaft tugendhaft ist der, der für die Tugend keiner Götter bedarf", paraphrasiere ich Ibn Rushd und beginne eine erbarmungslose Abrechnung mit dem Christentum, von dem ich mich im Laufe des Jahres 2004 friedlich getrennt hatte, das aber fortwirkte, wie das langsam wirkende Gift einer hinterhältigen Schlange. "(156) Meine Lebensdauer wird die Frage bestimmen, was in mir mächtiger ist, das Nichtlebenwollen oder das Nichtsterbenkönnen", mache ich mir keine Illusionen. Aber: "(204) Der Selbstmord ist ein Narziss, er strebt nach Eleganz". Der Freitod gehört für mich freilich nicht in den ethischen Bereich, den ich damals noch im Zwischenmenschlichen verorte, sondern ist Privatsache.

Weil es so schön ist:

279. Je fruchtbarer ein Christ, desto furchtbarer die Zukunft der Welt.
280. Wenn es Gott gäbe, gäbe es keine Christen.

307. Abtreibung ist im Interesse des Ungeborenen.
308. Totale Tötungsverbote sind Boten der Lust am Quälen.



Anmerkung von Terminator:

lieber tot (22.7.2005)


das gute im sinn
den schwanz in der hose
aufrichtig und integer
gehe ich durchs leben


ich wäre lieber tot
ich kann nicht rausgehen und huren ficken
das bin ich nicht


der verfluchte trieb
ich fühle mich erniedrigt
ist das der lohn für harte arbeit


ist das der dank dafür
dasss ich am leben bin
anstatt es mir bequem zu machen
und zu sterben


und hätte ich angst vor dem tod
so wäre mein stolz grösser
huren ficken ist weiss gott nicht mein lebensziel
mein schöpfer ist zeuge
dass ich kein tier werden will


ich wäre gern tot
sterben ist geiler als ficken
meine wünsche sind auf dieser welt nicht zu erfüllen
meine triebe das bin nicht ich
warum tu ich mir eure welt an
wenn der tod mir lieber als das leben ist

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Kommentare zu diesem Text


 Augustus (21.02.22, 14:24)
Spannend, wie denn denn Teile der Welt im Spiegel der Seele reflektiert werden.

 Terminator meinte dazu am 21.02.22 um 22:29:
Wie bierernst doch mit 17-22 die Erlebnisse und mit Ende 20 die Erinnerungen waren! Die alten Memoiren, 2011/12 geschrieben, gehen bis 2011, dann mache mir einen Wolfsspaß daraus, die letzten 10 Jahre zu reviewen.

 harzgebirgler (11.01.24, 14:22)
du hältst deucht mich recht stur schön spur
erscheint's auch oft als chaos pur.
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