A. G. Dugin: Noomachie. Französischer Logos.

Skizze zum Thema Metaphysik

von  Terminator

Die Franzosen sind romanisierte und später germanisierte Gallier. Die keltische Basis der französischen Seele ist kybelisch, der romanisch-germanische Überbau apollinisch-dionysisch. Da die keltische Kultur nicht nur den Kult der großen Mutter, sondern auch das (milde) Patriarchat kennt, ist die dionysische Gestalt des Orpheus grundlegend für den französischen Logos.


Die dionysische Gestalt des Orpheus kann sowohl apollinische als auch chthonische Züge annehmen. Chthonisch ist auch der Drachen, der das wahre Wesen der Fee Melusine darstellt. Die Nacht kann den Tag nur in verwandelter Form überstehen; das Weibliche muss seine Natur verschleiern, um nicht als das Nichts, das es ist, zu verschwinden. Orpheus kann Eurydike in der Unterwelt (be)suchen, darf sie aber nicht sehen. Dem französischen Orpheus geht es nun genau darum, Eurydike anzusehen, und zwar nicht die noch lebende, sondern die schon tote, verlorene Eurydike. Das ist der dramatische Nocturne, der direkte Zusammenstoß des Tages mit der Nacht.


Das Lunare, Dionysische kann aber auch weniger dramatisch sein, zumindest auf den ersten Blick. Die chinesische Kultur kennt nur das Dionsysische, das Apollinische und Kybelische sind ihr fremd. Der Morgennebel, der zarte Abend: das ist China. Aber China ist nicht nur Harmonie, sondern der Ort der blutigsten Bürgerkriege in der Geschichte der Menschheit. Der Sturz der Qin-Dynastie, der An-Lushan-Aufstand, die Taiping-Rebellion: die Zahl der Toten geht immer wieder in die Millionen, manchmal zweistellig. Dagegen sind französische Revolutionen eher harmlos.


Es ging in der Geschichte des lunaren Frankreichs verglichen mit dem lunaren China, was kontraintuitiv ist, eher gesittet zu. Die Gewalt fand eher im Reich des Geistes statt. Die großen Kriege Frankreichs waren jedenfalls nicht seine Bürgerkriege. Die französische Seele ist dramatisch und konfliktreich. Und sie bahnte sich ihren Weg zu Beginn der Neuzeit. Der politische Nihilismus von Bodin, der hysterische, sterile Rationalismus von Descartes, der kybelische Naturalismus von Rousseau: das waren Vorboten der chthonisch-titanischen Moderne, die im keltischen Segment Frankreichs bereits angelegt war.


Die französische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts zeigt, dass die dunkle Nacht des Geistes erreicht ist. Orpheus ist in der Unterwelt angekommen, und findet anstatt der Eurydike das große Nichts. Die französische Heiterkeit der letzten Jahrzehnte basiert auf dem Umstand, dass der Tod für den Kelten, anders als für den Germanen, nicht das große Andere ist. Das Französischsein ist kein Sein zum Tode, es ist ein Sein im Tode. Soll es mit Frankreich dennoch weiter gehen, so muss Orpheus, und das ist meine Meinung und nicht des Autors, nicht mit Eurydike, sondern mit Melusine zurückkehren.


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