Der Sinn des Lebens

Bericht zum Thema Eigene Welt

von  Oggy

Es geschah während eines einwöchentlichen Jugendschachturniers irgendwo im hohen Norden der Republik. Ich war damals so 16 Jahre alt und die spielbegeisterten Teilnehmer wurden in einem rustikalen Internat untergebracht, das während der Ferien nicht von Pennälern besetzt war. Jeden Morgen vollzog sich in den mehr oder weniger musealen (wenn man sich im Palast reinwaschen wollte, mußte man schon Fußball spielen statt Klötzchen schieben können) Gemeinschaftswaschräumen dasselbe Ritual. Die Tür sprang plötzlich - bis zum Anschlag - auf, ein spindeldürrer Riese - älter und deutlich größer als ich - und ein etwas jüngeres, schmächtiges Kerlchen stolzierten herein, gingen schnurstracks auf die Spiegel zu, bauten sich mit möglichst breiter Brust und demonstrativ in die Hüfte gestemmten Armen vor ihnen auf und bewunderten etliche Sekunden lang stillschweigend ihr eigenes Ebenbild. Dann ging es los. Im Chor stellten sie für alle Anwesenden unüberhörbar die eigentümliche Frage:

"Was ist der Sinn des Lebens?"

*

Ohne abzuwarten, ob irgendjemand irgendeine halbwegs befriedigende Antwort darauf wüßte, präsentierte das ungleiche Duo nach einigen Sekunden gespannter Stille die Auflösung höchstselbst. Unüberhörbar brüllte es aus Leibeskräften durch den gesamten Raum, daß fast die Wände wackelten:

"SCHACH!!!!!"

Danach wandten sie sich einander zu, als ob sie sich für diese Erkenntnis beglückwünschen wollten und prusteten vor Lachen lauthals los, nicht ohne sich dabei heftigst auf die Schenkel zu klopfen. Jeden Morgen wiederholte sich das merkwürdige Ritual in exakt derselben Manier.

*

Ob die beiden exzentrischen Philosophen mit ihrem unkonventionellen Lösungsvorschlag tatsächlich recht haben, erschließt sich mir bis zum heutigen Tage leider immer noch nicht, verstehe ich vom Sinn des Lebens nach wie vor doch mindestens so wenig wie vom Schachspiel selbst.



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Kommentare zu diesem Text


 Gabyi (29.09.23, 12:06)
Des Lebens Sinn: Ich bin.

 Oggy meinte dazu am 29.09.23 um 12:17:
Peace, Love & Happiness, Gabyi.

Danke für die Empfehlung!

 FrankReich (29.09.23, 12:14)
Eigentlich reicht die bildliche Vorstellung der beiden Protagonisten völlig aus, den Egostrip, bzw. den letzten Absatz halte ich für völlig überflüssig. 👋😉

Ciao, Frank

 Oggy antwortete darauf am 29.09.23 um 12:22:
Ralf, ich muß doch zu allem meinen Senf dazugeben...

LG und danke für die Emfehlung.
Oggy
Taina (39)
(29.09.23, 12:17)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Oggy schrieb daraufhin am 29.09.23 um 12:25:
"Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos." (Loriot)

Danke für die Empfehlung!
LG,
Oggy

 Tula (29.09.23, 21:38)
Hallo Oggy
Genau genommen haben sie recht, weil es den besagten Sinn eben ausschließlich auf persönlicher Ebene gibt. 
Nicht wenige Leistungssportler gehen an diesem (un)Verständnis nach Beendigung ihrer Karriere kaputt, weil sie sich die Frage nach dem 'danach' nie gestellt haben. Es gab immer nur diesen einen Sinn. 

LG
Tula

 AchterZwerg (30.09.23, 07:13)
Zumindest eine intelligente Antwort, Oggy.
Besser "Schach" als beispielsweise "Zwergenwurf", nä? 8-)

 Oggy äußerte darauf am 30.09.23 um 10:39:
Kaum einer versteht es besser als der 8., mich auf neue Ideen zu bringen!

LG und danke für die Empfehlung,
Ogg
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