Nach dem Sex

Text

von  Lilo

Danach dachte ich, dass es keinen Unterschied machte. Ich hatte es getan. Ich hätte es auch bleiben lassen können. Ich saß auf dem Balkon, eingewickelt in eine Wolldecke und rauchte. Es nieselte. Er war wieder eingeschlafen. Ich hatte nicht liegen bleiben können. Ich kannte das schon. Ein schlafender Mann, der den Alkohol vom Vorabend ausschwitzt. Wie ich stundenlang wach daneben gelegen war. Handlungsunfähig. Bis er aufwachen würde und ich in seinem Gesicht lesen könnte, was anstand. Wie es mit uns stand. Und ich wüsste, wie es um mich stand. Bis dahin war ich der Leere ausgesetzt. Seinem Dunst. Ich empfand meine Umwelt. Roch seinen Atem, schwitzte unter seiner Körperhitze, eingeklemmt zwischen Bett, Wand, Gliedmaßen. Hörte mir seine Schlafgeräusche an. Wartend. Aushaltend. Mich selbst empfand ich höchstens, wenn ich aufs Klo musste. In jedem Dunst war es gleich eng. Die Enge war mit Abstand gefüllt. Die Hitze wärmte mich nicht. Auch als Kind war ich an den Wochenenden so neben meinem Vater gelegen. Als müsse mir der Tagesbeginn angesagt werden.

 

„Du bist so ein unglaublich lieber Mensch“, hatte ich sie über mich zu mir sagen gehört. Das stimmte. Ich war lieb. Aber ich war auch hart. Niemand kam durch zu mir. Andere weckten Gefühle in mir, die ich herausgeben konnte. Sie waren echt. Echt lieb. Sie bildeten einen Heiligenschein um mich. Laszlo hatte mich Engel genannt. Es war ehrlich und tat weh. Ich wollte es schön finden. Es prallte an meinem Heiligenschein ab. Liebesgeständnisse konnten mich gefrieren lassen oder zum Weinen bringen. Im besseren Fall. Freude, nein. Sollte ich Freude empfinden können, läge sie hinter dem Weinen. Ich müsste mich erst ganz aufgeweicht haben mit meinen Tränen. Dazu war es nie gekommen. Es gab eine Zeit, da wünschte ich mir, aufgebrochen zu werden. Aber niemand tat es. Die meisten schreckten schon vor den äußersten Schichten zurück. Ich war unaushaltbar. Meine eigene Unaushaltbarkeit gab mir die Kraft, andere auszuhalten. Ich blieb so lange, bis ich abgewiesen wurde. Blieb, ohne zu wissen, ob ich bleiben wollte, um des Bleibens willen. Ohnmächtig.

 

Laszlo hatte etwas im Inneren des Heiligenscheins erahnt. Den zentnerschweren Brocken, der sich darin verkauert hatte. Aber Laszlo hatte keine Kraft, durchzubrechen zu mir. Er war selbst so ein Brocken. Unsere Konsistenz trennte uns und unser Wissen darum verband uns. Wir lebten miteinander als zwei Steine. Zwei Steine, die langsam einem Abgrund entgegenrollen. Erschöpft nebeneinander am Wegrand liegen bleiben und weiterrollen. Aufgerüttelt von einer äußeren Kraft. Wir teilten eine besondere, tiefe Nähe in unserem Steinsein. Wir weinten miteinander und umeinander. Aber wir waren nicht aufzubrechen. Und liebten uns so, wie nur zwei Steine sich lieben können. Der Sex war schlecht. Hart und fremd. Ein Angriff. Sex war der entfernteste Moment zwischen uns. Erst danach fanden wir wieder zusammen.Der Sex heute morgen war nicht schlecht gewesen. Aber sonst auch nichts. Er war tatsächlich nichts gewesen, als sei er gar nicht gewesen. Er machte keinen Unterschied.

 

In der Nacht hatte Laszlo angerufen. Typisch. Er meldete sich wochenlang nicht, aber dann, wenn ich die Nacht mit einem anderem verbrachte. Als ich auf dem Balkon saß und die feuchte Regenluft einatmete, war alles wie sonst, aber etwas war anders. Ich spürte etwas in mir. Ich wollte weg. Meinem Steinkörper einen Ruck geben und nach Hause rollen. Ich brauchte seine Ansage nicht. Mein Tag hatte begonnen. Aber ich würde warten, bis er aufgewacht wäre.

Seit einigen Jahren stelle ich mir abends im Bett immer wieder vor, mir den eigenen Kopf abzuhacken oder mir den Schädel mit einer Axt aufzuspalten. Diese Phantasie verschafft mir einen Augenblick Erleichterung.



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Kommentare zu diesem Text


 Elisabeth (16.10.23, 18:23)
Hallo Lilo,

das fängt so gemächlich an und wird dann zu einer Lawine, die den Leser überrollt. Vielleicht zwangsläufig, wenn Steine involviert sind.
Das ist kein leichter Stoff, den Du da mit großer Kunstfertigkeit angegangen bist. Deine Bilder sorgen dafür, daß ich die Erzählerin zumindest ein bißchen verstehe.

Eine sehr traurige Geschichte, aber sehr gut erzählt.

Liebe Grüße von Elisabeth

 Dieter_Rotmund (18.10.23, 17:25)
Erster Absatz gefällt mir gut, ein frisches Thema, das  sonst kaum einer beackert!

Dann aber wird es leider zur 08/15-Nabelschau...
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