Professors Tochter - Nonsens 20
Text zum Thema Hilfe/ Hilflosigkeit
von Augustus
Wer sich an die Erzählung über den Bau einer Rakete erinnert und wie ich damit ins Weltall unautorisiert geflogen bin, der soll wissen, dass das bloß ein Traum von mir war.
Mein Notizbuch über die Kommunikation und Verhaltensweisen der Krähen ist vollgeschrieben. Ich habe es so weit gebracht mit ihnen kommunizieren zu können. Fleißig sind sie weiterhin mir Geldscheine von den Straßen zu bringen, in dem sie die Geldscheine im Schnabel halten und gegen Käsewürfel bei mir eintauschen. Sie machen es nicht freiwillig, es ist daraus für sie ein Geschäft geworden, ja sie sind richtige Händler, sie tauschen die Geldscheine erst gegen den Käse. Halte ich bloß meine Hand offen hin, rücken sie mit den Geldscheinen nicht her. Sie verstehen also die grundlegendsten Gesetze des Handels: den Tauschvorgang. Noch habe ich es nicht geschafft in ihnen den großzügigen Altruisten und Wohltäter bzw. Spender zu machen. Und wie Schoppenhauer erkannte, ist auch in der freigebigen Wohltat ein Funken Egoismus vorhanden.
Neben der Baronesse entpuppte sich der Philosophieprofessor als ein sehr guter Freund. Er und ich verbringen ab und an bei Tasse Kaffee außerhalb im Café Zeit miteinander und er bringt mir die logischen Systeme der berühmten Philosophen der Vergangenheit bei. Ich frage allerlei, er antwortet allerlei; so geht es ins Unendliche.
Doch eines Tages äußerte er sich mir persönlich. Wir duzten uns dann schon. „Ich habe dir von meiner Tochter bisher nichts erzählt, sie leidet aber an Depressionen, ich vermute, sie hat das von ihrer Mutter oder von mir oder von uns beiden geerbt.“
Ich hörte ihm aufmerksam zu.
„Sie ist eine großartige Künstlerin, sie zeichnet wunderschön und ist fähig die höchsten Glücksmomente zu genießen, leider aber unfähig die tiefsten Leiden zu ertragen. Diese Unfähigkeit und insbesondere die Einsamkeit zu ertragen, hat sich bei ihr als eine dauerhafte Manifestation etabliert. Etwas Ungelöstes ist ohne Dauer. Endlos. Und in dieser Endlosigkeit der Leiden, besitzt sie kein Werkzeug, diese Dissonanz zu reparieren. Da ich davon höchst überzeugt bin, weil sie mein Leben gerettet haben, verehrter Freund, dass nur sie Wunderwerke an sich dem Tode zuneigenden Menschen vollbringen können, bitte ich sie meiner Tochter zu helfen. Sie ist mein einziges Kind. Dieser Fluch aus Gründen der Depression sterben zu wollen liegt in der Familie, ihre Mutter hat vor vier Jahren Suizid begangen.“
Der liebe Leser kann sich sicherlich denken, wie ich das vernommen hatte, wie aufgewühlt ich war.
Nun fand ich mich in einer Situation, in der mir nur eine Möglichkeit zu antworten gegeben wurde. „Ich danke ihnen für das Vertrauen, lieber Professor, von meiner Seite es nicht versucht zu haben, ihrer Tochter zu helfen, würde mich als einen schlechten Menschen entlarven. Ich werde also alles tun was ich an psychologischen Werkezeugen in meinem geistigen Repertoire habe, um ihrer Tochter beim Rückwärtsfahren aus der Einbahnstraße zu unterstützen.“
Der Professor drückte aufrichtig meine Hand mit seinen Händen. Diese Geste sprach tausend Worte.
Nun schien mir dieser Fall sehr interessant. Ich fürchtete nur, dass meine Fähigkeiten hierbei an ihre Grenzen kommen. Zum ersten Mal wusste ich keinen Ansatz, wie ich so einen Fall angehen sollte. Freud, CS Jung, Erich Neumann, Erich Fromm und die modernen Psychologen sagten viel, aber nichts Konkretes über eine Lösung, die eine solch knifflige Angelegenheit erforderte. Die Tage rannten und ich saß ohne eine Lösung dar und Übermorgen sollte die gute Tochter, die Künstlerin zu mir kommen.
Übermorgen.
Die Künstlerin trat durch die Türschwelle und begrüßte mich. Ich wunderte mich über ihre jugendliche Schönheit und bunten Kleidern, die sie trug, die harmonisch zusammenpassten und konnte erstmal nicht verstehen, wie denn die wohlgeratene äußere Erscheinung so krass unverhältnismäßig zur leidenden inneren Seele stehen konnte.
Wir wechselten Worte und ich bat sie bald Platz zu nehmen. Ich führte ihr aber vorher einer meiner lieben Krähen vor. Sie lächelte anstrengend. Doch schien ihr das Verhältnis zwischen mir und den Krähen wundersam genug, um das Ereignis nicht als bloße Gewöhnlichkeit abzutun und um es schnell wieder zu vergessen.
Sie nahm Platz, ich atmete auf und ab und war im Begriff eine völlig neue in zwei Tagen erlernte Technik an ihr anzuwenden. Sie glitt langsam durch meine Hypnose in den sanften Halbschlaf und ich konnte wie ein Künstler auf einem anderen Feld mein Werk an ihr anfangen.
Nach drei Wochen intensiver Arbeit mit der Künstlerin, trafen der Philosophieprofessor und ich uns wieder ein einem Café. „Wie haben sie erneut wieder Unmögliches vollbracht, mein lieber Freund?“ fragte freudestrahlend der Professor. „Meine Tochter ist wie ausgewechselt und sie jagt nun Geschichten nach, von denen ich noch nie was gehört habe. Wie haben sie das gemacht, sie Teufelskerl?“
„Mein lieber Professor,“ fing ich an, „das Ganze ist mehr einem Zufall geschuldet als einer systematischen empirischen Analyse.“
„Erzählen sie schon, wie haben sie es angestellt, meine Tochter aus dem Brunnen zu heben, ehe sie ertrunken worden wäre?“
„Nun, passen sie gut auf, lieber Professor. Alles fing mit einem Traum an. Ich träume von einem Piratenkapitän, der eine Fregatte befehligte und spanische Galeonen plünderte, die Gold und Silber luden und von der Karibik nach Spanien seegelten. Ich sah den Piratenkapitän zunächst bloß von hinten. Ich sah den Mantel, den Piratenhut, den Säbel, die Pistole, sein Gesicht sah ich aber nicht. Seinen Mut und sein wildes Kämpfen sah ich. Von vorne erblickte ich ihn nicht. Als die Galeone erfolgreich überfallen und geplündert worden war, drehte der Pirat sich plötzlich geschwind um und ich konnte deutlich sein Gesicht sehen und erkannte in seinem Gesicht keinen anderen als mich selbst.“
„Donnerwetter, lieber Freund, sie haben merkwürdige Träume, ich verstehe aber nicht, worauf sie hinauswollen.“
„Im Traum erkannte ich oder der Traum gab mir das gesuchte Werkzeug zur Verfügung, wonach ich gesucht habe, oder besser ausgedrückt, der unbewusste Teil meiner Seele sprach zu mir durch den Traum und gab mir das nötige Werkzeug an die Hand, um ihrer Tochter helfen zu können. Ist das nicht großartig und fantastisch zugleich?“
„Ich verstehe immer noch nicht, mein lieber Freund.“
„Sehen sie, der Piratenkapitän verkörperte in meinem Traum mein eigenes Ich. Er verkörperte mein früheres Ich aus einer Zeit, die vor 400 Jahren stattgefunden hat.“
„Sie wollen damit sagen…“
„Ich möchte damit sagen, dass mir in dem Augenblick deutlich wurde, dass unser Ich in der Vergangenheit möglicherweise verschiedene Leben gelebt hat, und das wollte ich an ihrer Tochter herausfinden.“
„Und?“ sagte der Professor mit Neugier.
„Und tatsächlich, als ich ihr Tochter hypnotisierte und sie weit, sehr weit in die Vergangenheit zurückführte, sah sie plötzlich sich selbst in einer ihr völlig fremden Umgebung wieder. Ich frug sie allerlei, was sie sieht, wer sie ist, was sie mache, usw. und sie erzählte und antwortete vielfältig. In den drei Wochen Hypnose, fanden wir heraus, dass sie bisher drei Leben gelebt hat, einmal als römischer Soldat, dann als Christin, die an der Pest verstorben ist in Frankreich und zuletzt als protestantische holländische Frau aus Amsterdam, die eine Vase mit Tulpen auf ihrem Tisch stellte. Nach dem wir nun das herausgefunden haben und wird die Lebensgeschichte ihrer drei Iche aus ihrem früheren Leben näher beleuchtet haben, ist sie drauf und dran mit einem so energischen Eifer, alles von diesen drei Personen zu erfahren, was an Fakten zu sammeln und erfahrbar ist. Diese neue Erkenntnis, dass sie schon mal gelebt hat und zukünftig nochmal als eine andere Person leben wird, hat ihr die Augen geöffnet, ihrem zukünftigen Ich nicht die Bürde des gegenwärtigen Ich durch den Suizid aufzuerlegen. Sondern dem zukünftigen Ich eine zufriedene Existenz aller bisherigen Existenzen als heitere Künstlerin in die Waagschale zu legen, als Gegengewicht zu den sonst weniger geglückten Existenzen als römischer Soldat, der in Spanien getötet wurde und als Bäuerin, die an der Pest qualvoll verstorben ist und als kindeslose unglückliche, unfruchtbare und betrogene Ehefrau in Amsterdam, die zwar nicht geschieden, aber ziemlich einsam sich fühlte.“
„Meine Güte…“stotterte der Professor. „Unglaublich. Einfach unglaublich. Sie Teufelskerl.“
„Ach, ich vergaß zu erwähnen, mein lieber Professor, dass ihre Tochter nun bereit sei ihnen von ihren bisherigen Existenzen jedes Detail zu erzählen. Ich hoffe, sie bringen viel Zeit mit.“
Der Professor lachte.