die Rose

Gedicht

von  Tula

Ein Morgen trübt sich ein. Er hält den Blick gesenkt;
dabei ist ihm der Weg nur allzu gut vertraut.
An jeder Hauswand klebt ein Fetzen Grau, umsonst
gräbt er nach einem Traum der letzten Nacht, doch dann

der Dichter sieht –
die Rose blüht

ein Stummer schweigt
ein Blinder eilt


Im ersten Augenblick betört ihn nur der Tau
auf ihrem Mund, im zweiten ist es wohl der Duft
nach Orient, Kytheras Strand und rotem Schaum.
Den dritten braucht es nicht, er ist ihr längst verfallen.

der Dichter ruft –
die Rose blüht!

der Stumme lacht
der Blinde weint


Behutsam kleidet er die Blüte in ein Wort
und streichelt sie mit einem weiteren, dann hüllt
ein Schleier sanfter Traurigkeit die Blume ein;
im Kummer ist die Anmut ganz besonders schön.

der Dichter singt –
die Rose weint

der Stumme flucht
der Blinde ahnt


Bald gleicht sein Lied der Wolke, spendet tröstend Regen,
um gleich darauf als Sonnenlicht nach ihr zu greifen.

Ein Wind zieht auf, im Nu verweht sind Tau und Schleier,
zupft kühn an jedem Blatt und raunt 'jetzt bist du mein ...'

die Rose lacht

der Blinde staunt
der Stumme jauchzt

der Dichter weint




Anmerkung von Tula:

2018

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (16.03.24, 06:54)
Hier gefällt mir die Mischform aus Prosa und Lyrik besonders gut, die das träumerische Suchen des Dichters vortrefflich umreißt.
Ebenso die Sache mit dem Besitz, den es recht eigentlich an einem lebenden Wesen nicht geben kann.

Apart <3

 Tula meinte dazu am 16.03.24 um 21:56:
Hallo lieber 8er
Genau: im großen Plan hat jeder seinen Platz: der Dichter, die Rose, alle Bewunderer zusammen und der freche Wind 

Dankend lieben Gruß
Tula

 GastIltis antwortete darauf am 25.03.24 um 20:03:
Lieber Tula, 
nach deinem großen Plan kommen der Dichter und die Rose mit drei positiven Bewertungen am besten weg. Der Blinde und der Stumme, also die Behinderten, fallen etwas ab. Diese Form der "Diskriminierung" kann ich nicht gut heißen.
Ansonsten heißt es doch irgendwo: ...der Wind kann nicht lesen!
Herzlich Gil.

 Tula schrieb daraufhin am 25.03.24 um 22:58:
Hallo Gil
Nun ja, es sind natürlich keine Behinderten, sondern jene, die das eigentlich Außergewöhnliche nicht beachten, blind an der Blume vorbeieilen bzw. kommentarlos zur Kenntnis nehmen. Es braucht den Dichter, um sie zu begeistern, gerade das ist sein Vermächtnis.

Ich gebe aber zu (und darüber grübelte ich schon damals nach), dass der Blinde als Metapher leichter zu erkennen ist, als der Stumme. 

LG Tula

 GastIltis äußerte darauf am 26.03.24 um 16:40:
Glück gehabt! Aber du wärst sicher kein Poet, wenn dir nicht die passend Erklärung eingefallen wäre.
LG von Gil.

 Saira (16.03.24, 09:47)
Moin Tula,

dein Gedicht ist außergewöhnlich schön. Eintauchen und träumen ...

Liebe Grüße
Sigi

 Tula ergänzte dazu am 16.03.24 um 21:56:
Danke Sigi!
Rosige Träume
Tula

 franky (16.03.24, 11:31)
Hi lieber tula 

"Ein Wind zieht auf, im Nu verweht sind Tau und Schleier,

zupft kühn an jedem Blatt und raunt 'jetzt bist du mein ...'" 

Ein wunderschönes Gedicht, 
mit viel Gefühl geschrieben, 
man muss es lieben:-) 

Grüße von Franky 

 Tula meinte dazu am 16.03.24 um 21:59:
Hallo franky
Manche glauben (so wie ich), dass es Lyrik ohne Gefühle (besonders die der Melancholie) nicht geben kann.

Dankend lieben Gruß
Tula

 Oops (16.03.24, 13:07)
Der Mittelteil 
hat mich besonders berührt,
Ein Gedicht welches ich ein paar Mal las weil ich immer wieder etwas Neues entdecken konnte. Dafür eine Rose von mir.🌹

LG Oops


Die Zeit, die du für deine Rose verloren hast, sie macht deine Rose so wichtig.” „
würde der kleine Prinz dazu sagen

 Tula meinte dazu am 16.03.24 um 22:01:
Liebe Oops
Der kleine Prinz ist ein großer Philosoph! Übrigens eines der ersten literarischen Werke, das ich damals (vor jetzt fast 30 Jahren) in Portugiesisch las, zum Lernen und nichtsdestotrotz mit großer Freude.

Dankend lieben Gruß
Tula

 plotzn (16.03.24, 16:01)
Servus Tula,

klasse geschrieben und tiefsinnig! Schön, wenn man sich selber nicht so ernst nimmt...

Liebe Grüße
Stefan

 Tula meinte dazu am 16.03.24 um 22:03:
Servus Stefan
Der Minnesänger weiß, dass er die Rose nur besingen darf. Seufz ...  8-)

Dankend lieben Gruß
Tula

 Teo (16.03.24, 20:10)
Hi Dirk,
tut auch mal gut, so anspruchsvolle Lyrik. Was mich immer wieder wundert, es ist mal wieder trotz ungereimter Form, geschmeidig und fließend verfasst.
Gruß in die Ferne der atlantischen Küste
Teo

 Tula meinte dazu am 16.03.24 um 22:05:
Hallo Teo
Das muss eines meiner ersten nicht-greimten gewesen sein   ;)

Grüße aus der Ferne nach Herne
Tula

 harzgebirgler (17.03.24, 12:33)
hallo Tula,

es welken rosen zwar doch blüht im wort
besonders ihre blüte gerne fort.

lg vom harzer

 Tula meinte dazu am 25.03.24 um 23:01:
Hallo harzer
So ist es, erst das Wort im Sinne der Poesie macht alles unsterblich!

Zumindest ein schöner Gedanke des Hobby-Dichters, der natürlich weiß, wie schnell seine Ergüsse wieder vergessen werden 

LG Tula

 Agnetia (24.03.24, 21:12)
wow Tula, das nenn ich mal Poesie vom Feinsten. LG von Agnete

 Tula meinte dazu am 25.03.24 um 23:04:
Hallo Agnete
Ich vermute, jeder von uns hat so ein paar Lieblingswerke seiner/ihrer-selbst. Diese Rose hier ist so eines  :)

Dankend lieben Gruß
Tula
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