Mein Frühsport und das Autowrack

Ballade zum Thema Sensibilität

von  eiskimo

Es ist ein weißer Citroën Jumper, so ein Kleintransporter, wie er von Handwerkern gern gefahren wird, Baujahr 2002. Kein Nummernschild. Er wurde aufgegeben, verlassen, vergessen. Und langsam wächst dieser kantige Wagen zu. Krakenartig umschlingt Ihn das Grün, täglich etwas mehr. Wäre ich Beerdigungsredner, ich würde sagen: Die Natur holt ihn sanft und geräuschlos zu sich.

Das Moos sprießt schon aus der Fenstergummierung; dichtes Gras verdeckt die platten Reifen. Reifen, die längst brüchig geworden sind. Brauner Rostfraß wuchert an den Türholmen. Stellenweise wirft der Lack schon Blasen, bricht pockenartig hervor. Hinter der matt gewordenen Windschutzscheibe erkenne ich ein Püppchen. Es baumelt am Rückspiegel, wie eingefroren. Sein blau-schimmernde Tanzkleid wird von Spinnweben fixiert. Diese spinnen sich in filigranem Muster herunter auf das Lenkrad und von da weiter bis unter die zerfledderte Vorderbank. Mittendrin im Fußraum eine Brombeer-Ranke, die irgendwo einen Weg in den Jumper gefunden hat.

Ich bin jedes Mal ein bisschen angefixt von diesem immobilen Gefährt, das mich aus hohlen Scheinwerfern anstarrt. Die Blinker und Rücklichter hat wohl jemand noch brauchen können – sie sind alle abmontiert. Nackte Kabel ragen bizarr aus den Fassungen hervor, fast, als ob sie hofften, wieder angeschlossen zu werden. Ähnlich bizarr wirken die abgspreizten Scheibenwischer. Sie scheinen mir zuwinken zu wollen. Täglich der gleiche Guten-Morgen-Gruß. Oder ist es nur ein warnender Fingerzeig?

Jedenfalls kommt es fast täglich zu dieser ungleichen Begegnung. Ich in meinen Puma „Atletico“ und dem luftigen Trainingsanzug – und da das fest gerostete Wrack. Ja, es hat etwas Philosophisches. Ich lasse den maroden Transporter – ich lasse ihn oder was davon noch da ist - auf mich wirken. Nur kurz im Vorbeigehen, wohlbemerkt, denn ich kenne ihn ja. Und er rennt nicht weg.

Der tote Jumper markiert den Start zu meinem Parcours. Kaum aus dem Blick, beginne ich meine Lockerung- und Dehnungsübungen. Die Windmühle, Hüftkreisen, ein paar Anhocksprünge, dann das lockere Traben über zwei Kilometer. So in den Tag hinein zu starten, gibt mir was. Bewegung. Fast spüre ich so etwas wie Flügel. Wäre ich Beerdigungsredner, würde ich jetzt sagen: Die Natur will mich noch ein Stück weit tragen.




Anmerkung von eiskimo:

Ich vergaß den Aufkleber zu erwähnen, den im Rückfenster: In Gelb prangt da "Corsica Ferries" und irgendeine Jahreszahl aus dem vorigen Jahrtausend.

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Kommentare zu diesem Text


 Beislschmidt (12.07.24, 17:06)
Nur eine kleine Anmerkung, Eskimo. Der Jumper ist von Citroën, von Peugeot ist der Boxer 
Mein alter Bulli hatte auch den Corsica Ferries Aufkleber und von dem Urlaub träume ich heute noch.
Beislgrüße

 eiskimo meinte dazu am 12.07.24 um 18:00:
Danke für den Hinweis. Lesbar
 ist da nur noch  "Jumper"...
Ich korrigiere den Hersteller.

 Quoth (12.07.24, 17:26)
Du bist aber noch gut in Form mit Deinen artistischen Übungen! Die Betrachtungen Deiner Beerdigunggsredner sind so naheliegend,  dass man diese Zunft dafür nicht zu bemühen braucht.

 eiskimo antwortete darauf am 12.07.24 um 18:09:
Danke. So ein Sportschuh Modell "Atletico" wirkt halt Wunder..
Manchmal laufe ich auch in "Samba".
Da kann kein "Jumper" mithalten.

 Regina (13.07.24, 10:02)
Anschaulich beschrieben, wie da ein verlassenes Mobil in Der Gegend herumsteht und die Natur es sich wieder unter den Nagel reißt. Andere mussten sich mit dem Autofriedhof begnügen.

 eiskimo schrieb daraufhin am 13.07.24 um 12:41:
Die Natur mit ihrer Langsamkeit überlebt das scheinbar so starke Auto.

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 EkkehartMittelberg (13.07.24, 11:27)
Eiskimo, du schilderst das Vergehen der unbelebten Materie so lebhaft, dass du ihr Leben einhauchst.

LG
Ekki

 eiskimo äußerte darauf am 13.07.24 um 12:46:
Man neigt dazu, Dinge zu personifizieren, sie uns nahe und verständlich zu machen.
Dabei ist ein Auto nie lebendig und auch neu schon tot.
Danke für Deine Empfehlung!
Eiskimo
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