Renaissance der Linken

Kommentar zum Thema Historisches

von  eiskimo

Dieser Text gehört zum Projekt    Politische und Haltungstexte

Frankreich lässt wieder einmal aufhorchen. Wie aus dem Nichts entsteht da eine Neue Volksfront (Nouveau Front Populaire) und gewinnt bei den vorgezogenenn Parlamentswahlen vom 7.Juli diesen Jahres tatsächlich den höchsten Stimmenanteil, 182 der 577 Sitze! Surprise! Die Linken, die sich plötzlich neu erfinden?

Und war dieses Land nach dem massiven Autoritätsverlust ihres Präsidenten Macron nicht schon stramm auf dem Marsch nach Rechtsaußen, in die Arme einer Marine Le Pen? Die holte nur 143 Mandate.

Merkwürdig: Binnen weniger Wochen hatten sich die ewig zerstrittenen Parteien der Linken mit den Ecologistes und anderen Gruppierungen zusammengerauft, um – wie es hieß: das Schlimmste zu verhindern!

Dass sie sich den Namen Nouveau Front Populaire gegeben hatten, war freilich eine deutliche Anleihe an die Geschichte gewesen. Denn da hatten sich die französischen Linken schon einmal – wiederum nach langen ideologischen Zwistigkeiten – zusammengerauft. Damals, um ihr Land nicht werden zu lassen wie das Deutschland Hitlers oder das Italien Mussolinis.

Damals, das ist das Jahr 1936. Unter dem Sozialisten Léon Blum bilden die „Internationale ouvrière“, „le Parti Radical“ und „le Parti Communiste“ die erste französische Volksfrontregierung. Im Land herrscht wirtschaftliche Not, ja, fast totaler Stillstand. Die Arbeitgeber müssen große Zugeständnisse machen, was die neue Regierung zu weitreichenden Maßnahmen nutzt: Zulassung von Betriebsräten, Einführung der 40-Stunden-Woche, Garantie auf zwei Wochen bezahlten Jahresurlaub – es sind Quantensprünge der Sozialpolitik!

Mehr noch: Verstaatlichung von Eisenbahn, Banque de France und der Rüstungsindustrie. Frankreich verändert sich nachhaltig.

Dass die Front aber bald bröckelt, sollte sich dann vor allem in der Außenpolitik, zum Beispiel in der Haltung zum Spanischen Bürgerkrieg, zeigen.

Da galt ursprünglich ein offenes Bekenntnis zu den Republikanern – also gegen General Franco und sein rechtes Regime – völlig logisch, betrachtet man die ideologischen Hintergründe.

Dennoch ließ sich die Volksfrontregierung -wohl auf britischen Druck hin – zu dem Abkommen drängen, eine Nicht-Einmischung zu praktizieren … auch im Schulterschluss mit Italien und Deutschland. Das war unter den Linken natürlich Dynamit.

Aber schon die Haltung zu Hitlers Groß-Inszenierung der Olympischen Spiele 1936 hatte für Risse in dem Bündnis gesorgt. So hatten die Sozialisten, bevor sie mit in der Regierung saßen, eine Teilnahme Frankreichs immer abgelehnt. Sie wollten ihre Sportler bewusst zu einer Gegen-Veranstaltung, also zur Volks-Olympiade, die zeitgleich in Barcelona stattfinden sollte, schicken.

Als sie dann mit in der Regierung saßen, mochten sie sich aber nicht mehr zum Boykott jener Hitler-Spiele durchringen – sie stellten es den französischen Sportverbänden frei, sich für Barcelona oder Berlin zu entscheiden.

War es Pragmatismus oder einfach Schwäche?

Zwei Jahre hielt die Volksfront, dann war im April 1938 Schluss.

Kann die Neue Volksfront von 2024 länger halten? Sind da mehr Gemeinsamkeiten als nur „das Schlimmste zu verhindern“?

Schwierig wird es sicher mit Jean-Luc Mélenchon (La France insoumise), der als möglicher Premierminister gehandelt wird. Weder ein Freund der Deutschen noch Befürworter der EU. Ganz anders dagegen der den Sozialisten nahe stehende Raphael Glucksmann, der im Europaparlament debütierte; wieder anders die Grüne Marine Tondelier oder der Gewerkschaftler Laurent Berger.

Werden sie Macrons hart erstrittene Rentenreform rückgängig machen, eine drastische Reichensteuer einführen, den Mindestlohn massiv erhöhen? Frankreich ist schon jetzt extrem hoch verschuldet.... Oder wird es wieder die Außenpolitik sein, die das Bündnis spaltet? Gaza, die Ukraine, die NATO?

Sicher ist eins: Die Olympischen Spiele, die bekanntlich 2024 in Paris stattfinden, werden diesmal kein Zankapfel sein. Da werden alle auf ein ganz großes französisches Fest hoffen. A la bonheur!




Anmerkung von eiskimo:

Interessant wäre jetzt auch die Frage, ob sich in der Linken-Szene Deutschlands etwas tut, angestoßen durch das französische Beispiel.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Hobbes (12.07.24, 11:41)
--

Ja, Frankreich ist nun mal das erste Rote Reich! Als in Frankreich die Revolution tobte. Schrieben in Tübingen auf der Universitätsburg ( 70 Kilometer weiter
Östlich ) Die größten Geister Deutschlands, unter der Leitung Hegels, Revolutionäres in Lyrik und Philosophie.

- Siehe Hölderlin [ Hyperion ]

- Schelling und Gebr. Schlegel.

Beste Grüße

Peter

Kommentar geändert am 12.07.2024 um 11:59 Uhr

 eiskimo meinte dazu am 12.07.24 um 13:28:
Und La Revolution wäre ohne einen Descartes, Rousseau oder Voltaire kaum denkbar gewesen - also mal etwas von Frankreich abgucken, das hätte schon was...
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram