Hubert

Kurzprosa

von  BeBa

Damals gab es noch diese Bahnhofrestaurants. Eingerichtet waren sie schlicht und zweckgemäß. Nicht selten roch es mehr nach Klosettstein als nach Rouladen und Schnitzel. Niemand hielt sich länger dort auf als nötig und jeder Gast fieberte der Abfahrt seines Zuges entgegen.

Hubert saß jeden Tag in einem solchen Etablissement, beobachtete die Leute und träumte davon, selbst einmal mit einem dieser vielen Koffer unterwegs zu sein, hinaus aus der Stadt und hinein in die Welt. Er gehörte beinahe zur Einrichtung, saß stets an demselben Tisch. Jeder machte einen Bogen um ihn, auch die Kellner, denn eine Bestellung war von ihm nicht zu erwarten. Und wenn mal alle Tische besetzt waren, was hier allerdings so gut wie nie vorkam, verließen die Gäste lieber die Lokalität als sich mit einem Solchen an einen Tisch zu setzen.
Doch niemand vom Personal wagte, ihn an die frische Luft zu setzen. Die Angestellten kamen und gingen, aber Hubert hatte hier schon immer gesessen.

Die Zeiten ändern sich. Das Bahnhofsrestaurant ist längst einem McDonald’s gewichen.
Den hat Hubert nicht mehr erlebt. Zu seinem Glück, denn dort hätten sie nicht so viel Geduld mit ihm gehabt.


Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Citronella (03.10.24, 10:35)
Ja, diese Lokalitäten kenne ich auch noch. In Kleinstädten sind oft nicht nur diese Restaurants, sondern gleich die Bahnhöfe verschwunden. Mancherorts rotten aber stolze alte Gebäude noch vor sind hin, andernorts hat McDonald's übernommen und modernisiert.
Schade auch um all die Geschichten, die man darüber noch schreiben könnte.

 BeBa meinte dazu am 06.10.24 um 21:52:
Ja, leider ist es so. Früher waren es verschlafene Kellner in dunklen "Lokalitäten", heute sind es hektische Theken mit gestresstem Personal. Den Arbeitststakt dort geben Summer und andere Stressgeräusche vor, die einen auffodern, Burgerfleisch, Brötchen etc. endlich aus dem Ofen zu holen.
So wie das Brot im Ofen bei Frau Holle, eben nur auf stressig.  ;)

Der verschlafene Kellner hatte was ...

 Saira (03.10.24, 18:56)
Hallo BeBa,

ich finde deine Betrachtung interessant und trifft einen bestimmten Punkt: die Menschlichkeit und Empathie nehmen ab.

LG
Saira

 BeBa antwortete darauf am 06.10.24 um 21:53:
Empfinde ich auch so. Siehe doch auch meine Antwort zu Citronella.  ;)

Danke dir, liebe Saira.

 Tula (03.10.24, 21:47)
Hallo
In der DDR hatten wir Mitropa. In solch einem hätte Hubert wahrscheinlich als vornehm gegolten. Es war im Durchschnitt wirklich abstoßend, man ging da nur aus Verzweiflung rein, z.B. nach der dritten Durchsage, dass der Zug jetzt eine weitere Stunde Verspätung hatte  :(

LG Tula

 Soshura schrieb daraufhin am 03.10.24 um 21:56:
Echt!?

 diestelzie äußerte darauf am 04.10.24 um 08:23:
Echt!

 BeBa ergänzte dazu am 06.10.24 um 21:55:
Mitropa sagt mir was, wenn ich auch nie in der DDR war. Doch ich glaube, dass manche Kaschemme hier im Westen auch nicht viel besser war.

Ja, Hubert hatte Glück mit seiner Lokalität, das steht fest.

Ich danke euch für eure zusätzlichen interessanten Gedanken.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram