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Text zum Thema Lüge(n)

von  AndreasGüntherThieme

Während ich in der Küche stehe und Milch erwärme, um meinen Magen milde zu stimmen – ich glaube, der Eiersalat ist mir nicht bekommen –, erinnere ich eine Freundin, die stark erkältet war.

Ich sagte, sie soll im Bett bleiben, sich ordentlich zudecken* und schwitzen, ich werde ihr Essen und Trinken bringen und die gewünschten Bücher aus meiner Bibliothek (damals hatte ich ein hohes Zimmer voller Bücher, auf dessen Balkon Zweige einer Birke reichten, die sachte raschelte, wenn man im Sommer abends (nackt, wenn es das Wetter erlaubte und die Situation unterstützte) im Sessel saß und las).

Einfach mal ruhig im Bett zu bleiben, gefiel ihr nicht, aber sie spürte, wie es ihrem Körper gut tat.

Nach zwei, drei Tagen war die Sache überstanden. So hat sich noch nie jemand um sie gekümmert, sagte sie. Ich dachte, verständlich, die mußten ja auch zur Arbeit.

Die Situation schien aber nicht in ihr Bild zu passen, nachdem eine Frau sich allein durch die Welt kämpfen muß, während ihr Männer immer wieder ein Bein stellen und sie betrügen. So wie es ihre Mutter erleben mußte. Deshalb konnte sich ihre Mutter auch nie wirklich um sie kümmern.

Tatsächlich war es die Mutter, die den Vater betrogen und, aus seiner Sicht, plötzlich verlassen hat. Eines Abends sagte sie zu ihm: Ich liebe dich nicht mehr, ich ziehe mit den Kindern in die Stadt.

Die Mutter war es auch, die tagelang nicht mit ihren beiden Töchtern sprach, wenn sie nicht die gewünschten Noten nach Hause brauchten.

Die Mutter: eine Oberstudienrätin, die regelmäßig bei der Ministerin für Volksbildung rapportierte. 

Um der Mutter verzeihen zu können, ahmte die jüngere der Schwestern – das ist die, die in meinem Bett lag – das vermeintliche Leben der Mutter nach, während sie gleichzeitig Psychologie studierte, im Praktikum in einer Klinik zur Lieblingstherapeutin aufstieg. Und mit einem Mann zusammen zog, der keine Rücksicht auf die nahm. 

So stellte sie es jedenfalls dar. Ich glaube eher, sie hat ihn manipuliert. Die kleine Schwester war nicht nur klein und zierlich, sondern auch raffiniert, und rücksichtslos: ihrem Goldhamster hat so lange Gummibärchen gegeben, bis er daran gestorben ist ("er wollte immer noch mehr"), ihre Goldfische hat sie lebend ins Klo geschüttet ("ich hab sie frei gelassen"). 

Wie die Geschichte ausgegangen ist, weiß ich nicht. Ich habe sie einmal in ihrer großen Wohnung in Berlin besucht, nachdem ihr Sohn geboren war ... Eigentlich wolltest du doch keine Kinder? – Ja, aber ich war zu oft schwanger. – Du hättest doch abtreiben können (hatte sie bereits nach leidenschaftlichen Seitensprüngen). – Irgendwann nimmt dich keine Klinik mehr auf. – Akzeptiert er kein Nein? – Kopfschütteln. 

Die Deckenlampe in der Stube hat nicht funktioniert. Mußten nur die Schrauben der Lüsterklemmen festgezogen werden. Außerdem funktionierte die Heizung nicht richtig: ein Ventil eines Heizkörpers war undicht, und da verlor die Gasheizung Wasser, weshalb die minimale Füllung des Systems unterschritten wurde. Ich sagte, im schlimmsten Fall brennt die Gastherme durch.

Das hat dem Vater ihres Sohnes nicht gefallen. Er läßt sich auf keinen Fall noch einmal eine Frau, die er liebt, wegnehmen.

Da hab ich sie nicht mehr besucht. (Zumal in ihrem Schlafzimmer ein Samurai-Schwert hing und der Herr Kampfsportler war.)

Irgendwann ist sie umgezogen, hat außerdem wieder ihre digitale Identität verändert, war nicht einmal mehr im Verzeichnis aktiver Psychologen zu finden.

Falls es jemand interessiert: meinem Magen geht es besser.




Anmerkung von AndreasGüntherThieme:

* in der Urfassung "zudenken".

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Kommentare zu diesem Text


 LotharAtzert (08.12.24, 10:51)

Kommentar geändert am 08.12.2024 um 11:33 Uhr

 AndreasGüntherThieme meinte dazu am 08.12.24 um 12:33:
Lothar, wengistens 

Das freut mich sehr, Verlo, daß es Deinem Magen wieder besser geht.
hättest du nicht zu löschen brauchen.

Ich freue mich, daß mein Text die Lehren Buddhas bekräftigt.

 LotharAtzert antwortete darauf am 08.12.24 um 12:52:
Verlo, ich fand den freudschen Verschreiber phänomenal und hätte zum "Zudenken" gern mehr gesagt, aber so ist dieses Schmankerl, das Du ohne Anmerkung berichtigt hast, natürlich weg. Schade.

Du wirst mir doch wenigsten bestätigen können, daß Zudenken in der Welt gebräuchlicher ist, als beispielsweise Andenken. Und dann noch, um zu schwitzen ... ja schade schade ...

 AndreasGüntherThieme schrieb daraufhin am 08.12.24 um 13:15:
Lothar, ich habe in der Anmerkung * darauf hingewiesen.

Ob es ein Freudscher Verschreiber war, kann ich nicht beurteilen, stimme aber deine Sicht zu, daß "zudenken" bei der Frau besser paßt als "an- oder aufdenken".

Nicht auszuschließen ist, daß ihr "Zudenken" ihr Immunsystem schwächte, weshalb sie so stark krank geworden ist.

 LotharAtzert äußerte darauf am 08.12.24 um 14:00:
Das sind ja jetzt ganz neue, weiterführende Gedanken, ja und die Geimpften muß man auch nochmal gucken, wie die geistig abbauen ... naja, überall Krieg, das sind keine guten Aussichten für unsere Kinder.
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