7.2 Manamaantra
Text
von Isensee
Es gibt Tage, an denen der Abgrund der Enttäuschung greifbar wird. Und Ibiza – die Insel, die in den Fotos das Paradies verspricht – ist der Katalysator. Der Flug, die Masse der Mitreisenden, die Kinder, die das Muttertier begleiten, die unablässige Musik aus allen Ecken – eine Sirene, die im Ohrenstolpern die Sinne zerfrisst. Ich habe die Vorstellung von Urlaub in den Mülleimer geworfen, bevor ich auch nur einen Fuß auf den Boden gesetzt habe. Die Sonne, die sich wie ein aufgeblähter Ball über das Meer schiebt. Und dann diese verdammte Katja, mit ihrem gespielten Lächeln.
Die Reise ist der Spiegel meines Lebens, nur klarer. Der Erwartungshorizont des Westens – der dröhnende Krach von Wellness und Harmonie, das drückende Versprechen. Ibiza ist ein Freizeitpark mit mystischen Kaugummiautomaten und David Guettas und Katjas, die sich für eine Weile darin verlieren als sei das alles eine Emanation aus der Reinheit der Traditionen. Diese verdammte Insel ist nichts weiter als eine Kulisse für meine eigene Unfähigkeit, etwas zu finden, das mehr ist als der tägliche Kampf gegen das Vakuum meines Lebens.
Katja zieht an meiner Seite, als wäre sie die Antwort auf alles, was ich mir jemals gewünscht habe – eine Marionette der Vorstellung, dass Liebe die Welt rettet, obwohl wir beide wissen, dass es Bullshit ist. Sie sagt mir, sie liebt mich, und ich kann nicht einmal so tun, als ob ich das noch glauben könnte. Was heißt das überhaupt, wenn du in einem Moment einer Beziehung so leer bist, dass du nicht einmal weißt, was du fühlen sollst? Diese Worte aus ihrem Mund – sie sind nichts weiter als eine weitere Leere, die ich nicht mehr füllen kann.
Und dann das alles hier – Ibiza. Der Urlaub, der nichts anderes als eine Katastrophe für die Seele ist. Ich komme hierher, um mich selbst zu finden, und finde... nichts. Und ich frage mich, warum ich überhaupt versuche. Warum stelle ich mich diesen Lügen, dieser Unterhaltung mit Katja, die nie wirklich stattfindet? Warum die ewige Flucht? Ibiza ist nicht anders als die leeren Versprechen, die mir das Leben gemacht hat. Diese Insel ist der billigste Fake einer heilen Welt. Überall diese Läden, die Spiritualität in Plastik verpacken – diese Massagen, diese Yogi-Pose, diese Menschen, die sich in Räucherstäbchen hüllen und so tun, als ob der Dreck unter den Nägeln plötzlich Bedeutung hat. Sie alle suchen hier die Lösung, die jeder Mensch im Westen verzweifelt sucht – ich, du, Katja – und wir alle wissen, dass sie nie kommen wird.
Katja sieht Ibiza als ein Märchen, das sie in ihren Gedanken in goldene Farben taucht, aber ich weiß, dass sie nichts anderes als eine Flucht sucht, wie jeder andere hier auch. Diese Insel ist für sie ein Ziel, ein Symbol für all das, was sie von mir erwartet – der perfekte Ort für den perfekten Urlaub, das perfekte Leben, die perfekte Liebe. Und ich, ich bin der, der sich an diese Lüge hält, weil ich mich nicht traue, ihr ins Gesicht zu sagen, wie zynisch dieser ganze Kram für mich geworden ist.
Ich habe mit der Vorstellung von „Wahrheit“ und „Reise“ abgeschlossen. In der Stille meiner Gedanken ist der einzige Gedanke, der immer wiederkehrt, der, dass ich hier nie sein wollte. Diese Insel gibt mir nichts, aber sie raubt mir alles. Die verdammte Wärme, die meine Haut brennt – das sind keine Erinnerungen, das ist nicht „Freiheit“, es ist nur die Hülle einer Welt, die sich über all die Jahre ausgebrannt hat.
Ich blicke zurück auf meine Kindheit – mein Opa, der mir immer sagte, dass der Mann aus Stahl werden müsse, um in dieser Welt zu bestehen. Aber was ist das für ein Witz, wenn du keinen Platz mehr für das Gefühl übrig hast? Stahl – was für eine verdammte Lüge! Was bleibt von mir, wenn ich all das abwerfe? Ein Haufen abgestorbener Zellen, der in der Sonne brutzelt, als wäre da noch etwas, das es wert wäre, festzuhalten.
Ich erinnere mich an den ersten Winter, als ich versuchte, das Leben in eine Form zu pressen, die es niemals annehmen wollte. Diese seltsame Selbstverständlichkeit, mit der ich alles beiseite schob, nur um eine Antwort zu finden. Aber auch Ibiza gibt mir keine Antwort. Wie könnte es? Ich bin hier, um irgendetwas zu finden, aber alles, was ich finde, ist der Abgrund. Ich möchte aufschreien, doch selbst der Zorn ist eine Hülle, in der ich mich verliere.
Und Katja – sie sieht mich an, als könnte sie das alles reparieren. Aber sie kann es nicht. Sie ist nicht das Problem. Ich bin das Problem. Und das Problem ist, dass ich nicht einmal mehr weiß, wie ich mich selbst reparieren kann. Vielleicht will ich das gar nicht. Vielleicht sind wir alle zu sehr mit uns selbst beschäftigt, um wirklich zu leben. Ibiza wird uns nicht retten, auch nicht die Massagen oder die heiligen Strände. Was uns rettet, ist die Tatsache, dass wir noch einen weiteren Atemzug machen können, um uns noch ein Stück mehr zu zerstören.