Wenn...

Text

von  Saudade

ich etwas wirklich mag, dann anschauliche (wenngleich harmlose) Beispiele. So lese ich im "Casebook Strafrecht" von Professor Lewisch, dass Scarpia Tosca sexuell belästigt, daraufhin greift Tosca zum Brieföffner auf dem Schreibtisch und ersticht ihn, übersieht dabei, dass daneben eine Waffe gelegen ist, mit der sie ihn bedrohen und den Angriff allenfalls abwenden hätte können, damit er von ihr ablässt. Wie ist die Sachlage? 

Herrlich. Da ich "Tosca" liebe, sah ich die Scene gleich vor mir. So macht das Lernen gleich mehr Spaß. Ach, Tosca...! Eigentlich völlig unkitschig, in Wahrheit nur brutal, dies von A bis Z, besonders der Schluss, wo Tosca mitansehen muss wie Mario erschossen wird und denkt, es wären Platzpatronen gewesen, dabei lag er leblos in ihren Armen, war nicht mehr bei ihr, konnte es gar nicht mehr sein, so stürzte sie sich verzweifelt von der Engelsburg. Der Schrei hallt nach. 

Sekunden der Stille im Publikum, so oft kann das jemand gar nicht sehen, es berührt immer wieder auf das Neue, dann tosender Applaus. Immer.
So hatte ich das große Glück, nur einmal, kommt normalerweise auch nie vor, Angela Gheorghiu nochmals stürzen sehen, das war phänomenal, das Publikum drehte fast durch, plötzlich wurde es im Saal wieder dunkel und das Orchester spielte die Schlussarie nochmals. Ich denke, ich war selten so ergriffen. Oft kann man Menschen mit "Kleinigkeiten" erfreuen, sodass sie ihr Leben lang daran zerren, wenngleich zumeist handelt es sich um einen Kuss, jedoch, gute Musik mit exzellenter Darbietung, das ist sowieso ein Kuss der Seele. 
So, wo war ich? Ach ja, bei der Notwehr. Also, Tosca handelte in Notwehr. Das ist nun zu prüfen. 



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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (18.04.25, 16:35)
Solch ein Fall ist jetzt gerade in Deutschland vom Landgericht Kaiserslautern  entschieden worden; die FAZ vom 17. April 2025 berichtet darüber: „Notwehr oder Totschlag?“

Die Tat, die das Leben von Fallyn B., der Angeklagten, grundlegend verändert, trägt sich an einem warmen Junitag im Sommer vergangenen Jahres zu. B. ist auf dem Weg ins Schwimmbad. Kurt bevor sie die Rolltreppe im Kaiserslauterner Hauptbahnhof verlässt, greift ihr ein Mann Anfang 60 an den Hintern. Die vielen Kameras der Deutschen Bahn, die erst wenige Wochen zuvor montiert wurden, zeigen die sexuelle Belästigung deutlich. Sie sagt mehrmals „Don’t touch me“ [die junge Frau stammt aus den USA], er solle sie nicht anfassen. Sie zückt ein Messer, er weicht deutlich zurück, sie sticht in die Luft, er will ihr das Messer abnehmen, fasst sie an den Arm. Sie ändert die Messerhaltung: Nachdem sie es erst vor sich hielt, sticht sie von oben auf den Mann ein und trifft ihn ins Herz. Für das spätere Urteil ist es ein entscheidender Moment. Sie geht weiter, er stirbt. Am nächsten Tag meldet sich die junge Frau auf einer Polizeidienststelle.

Zum Hintergrund:
Die junge Frau stammt aus schwierigen Familienverhältnissen, muß wegen ADHS Medikamente nehmen, wurde wegen Depressionen und Angststörungen behandelt, nimmt Drogen.
Der Mann ist Anfang der 80er Jahre aus Eritrea nach Deutschland gekommen und mehrfach wegen sexueller Belästigung, Körperverletzung und Beleidigung vorbestraft.

Das Urteil:
Während die Staatsanwaltschaft auf Körperverletzung mit Todesfolge plädiert hatte, erkannte das Gericht auf Totschlag. Zwei Jahre Jugendstrafe auf Bewährung, Verpflichtung zur Teilnahme an einer Drogenberatung, 500 Sozialstunden (gemäß dem Wunsch der jungen Frau in einem Tierheim).

 Saudade meinte dazu am 18.04.25 um 16:38:
Ja, Mord ist ein Vorsatzdelikt. Der fehlt hier. Totschlag ... ja. Aber, heftig eskaliert, von "Notwehr" keine Spur, eher ein Notwehrexzess.

 Graeculus antwortete darauf am 18.04.25 um 16:44:
Notwehrexzeß, ja. Aber muß nicht auch bei Totschlag eine Tötungsabsicht vorliegen? Die Staatsanwaltschaft hat diese verneint (wozu auch ich neige, weil die junge Frau anscheinend instabil tickt, irrational), während das Gericht bei einem mit großer Kraft in die Brust geführten Stich davon ausgegangen ist; die Folge eines solchen Stiches habe ihr klar sein müssen.

Mord: geplant, heimtückisch, niedere Motive. Das liegt hier nicht vor.

Antwort geändert am 18.04.2025 um 16:45 Uhr

 Saudade schrieb daraufhin am 18.04.25 um 17:07:
Nein, eben nicht. Das ist der Unterschied zum Mord, der IMMER, ein Vorsatzdelikt ist. Hier, Totschlag: asthenischer Affekt: Wut, Zorn, Hass, ...
Mich irritiert hier nur die Schuldebene: ihre Drogenabhängigkeit. Sehr schwieriger Fall.

 Graeculus äußerte darauf am 18.04.25 um 17:22:
Aha.
Ich kann's natürlich nur für Deutschland sagen und habe zu diesem Zweck Thomas Fischers StGB-Kommentar befragt.

§ 212
Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

Das ist der Gesetztestext, und der kann zu Deinem Standpunkt passen. In Fischers Kommentar heißt es nun aber:

Subjektiver Tatbestand. § 212 setzt Vorsatz voraus; bedingter Vorsatz genügt.
(Hervorhebungen im Original)

Andernfalls könnte ich das nicht von der Körperverletzung mit Todesfolge - im vorliegenden Fall das Plädoyer der Staatsanwaltschaft - unterscheiden.
Das Gericht aber hat die Tötungsabsicht unterstellt, und deswegen sei es Totschlag.

 Graeculus ergänzte dazu am 18.04.25 um 17:30:
Es kann sein, daß psychische Probleme und Drogenabhängigkeit in die zwei Jahre Jugendstrafe auf Bewährung eingeflossen sind - was ja am unteren Ende der Skala liegt; aber mir stellt sich auch die Frage, ob sie nicht zusätzlich den Vorsatz fragwürdig machen.

 Saudade meinte dazu am 18.04.25 um 19:02:

 Saudade meinte dazu am 18.04.25 um 19:03:
Vergleich mit Deutschland. Auch bei uns Vorsatz. Ich korrigiere mich!!! Das ist total schwer.

Antwort geändert am 18.04.2025 um 19:08 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 18.04.25 um 23:12:
O.k.

Ich verstehe das so: Wenn in mir spontan der Wunsch entsteht, jemanden zu töten, weil der mich soeben den Sohn einer blutpissenden chinesischen Waldhure genannt hat, und ich mich dazu eines zufällig da liegenden Küchenmessers bediene, das ich ihm nicht hinterrücks, sondern von vorn in ein lebenswichtiges Organ stoße, dann ist das Totschlag, nicht Mord.

Aber was heißt das nun für Tosca und Fallyn?

 Saudade meinte dazu am 18.04.25 um 23:26:
Hier die Lösung: 
(Lewisch, Casebook Strafrecht⁷, Seite 62)
Tosca hat §75 (allenfalls §76) verwirklicht. Objektiv liegt ein Angriff auf ihre Freiheit und körperliche Unversehrtheit vor, dieser wäre aber nach tatsächlicher Sachlage (objektiv ex ante) mit einem weniger einschneidenden Mittel (Bedrohung mit Pistole) verlässlich abzuwehren. Tosca ist daher nicht durch Notwehr gerechtfertigt. Doch nimmt sie einen Sachverhalt an (einzig verfügbares, verlässliches Abwehrmittel: Brieföffner), bei dessen Vorliegen auch eine Messerattacke gegen Scarpia die notwendige Abwehr darstellt. Deshalb entfällt wegen §8 die Vorsatzhaftung der Tosca (für dich: §8 wird auf der Schuldebene geprüft!) §8 =Irrtum über einen rechtfertigenden Sachverhalt.

 Saudade meinte dazu am 18.04.25 um 23:30:
Bleibt nur noch die Frage offen, wie man auf 
den Sohn einer blutpissenden chinesischen Waldhure genannt hat,
kommt?
😂

 Graeculus meinte dazu am 18.04.25 um 23:35:
Willst Du einen Mann beleidigen, dann beleidige seine Mutter. Das szenentypische "Motherfucker" ist mir zu unpoetisch.

 Saudade meinte dazu am 18.04.25 um 23:36:
😂😂😂

 Graeculus meinte dazu am 19.04.25 um 00:43:
Was mir mal wirklich jemand gesagt hat: "Weimer, bei dir haben sie wohl die Nachgeburt großgezogen!" Leider lag da gerade kein Küchenmesser herum.
Sicher hätte ich einen gnädigen Richter gefunden: zwei Jahre Jugendstrafe auf Bewährung oder so. Auf Sizilien, wo Mannesehre noch gilt, ein Jahr plus Augenzwinkern des Richters.
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