Hassan, der Rosinenmacher

Legende zum Thema Moral

von  Saira

Im Schatten der großen Dünen, wo der Wind die Lügen schneller trägt als ein Händler seine Waren, lebte ich – Mohammed, Kameltreiber, Philosoph und gelegentlicher Datteldieb. Mein Bart war so zottelig wie das Fell meines Lieblingskamels und mein Verstand so scharf wie der Dorn einer Wüstenrose.

 

An jenem Morgen, als der Muezzin noch gähnte und die Fliegen sich die Augen rieben, schlenderte ich über den Markt. Die Luft war schwer von den Gerüchen des Orients: süßer Dattelduft mischte sich mit dem herben Aroma von getrocknetem Koriander, während irgendwo ein Händler frisch gebratenes Lammfleisch anpries. Über allem lag der würzige Hauch von Ziegenkäse, und manchmal, wenn der Wind günstig stand, stieg mir der scharfe Geruch von Kamelmist in die Nase. Zwischen den Ständen drängten sich Menschen, Gewürze türmten sich in bunten Haufen, und irgendwo meckerte eine Ziege, die sich an einem Korb Feigen zu schaffen machte.

 

Gerade als ich mich fragte, ob ich mir ein paar Datteln stibitzen sollte, sah ich Hassan – meinen besten Freund und größten Schurken östlich von Bagdad – wie er meiner Frau Jamila ein Gedicht ins Ohr säuselte und – Allah sei mein Zeuge – ihr gar einen Kuss auf die Wange hauchte! Ihre Augen funkelten wie frisch geölte Datteln und ihre Haare glänzten in einem Schwarz wie die Nacht über Basra. Sie gurrte vor Vergnügen, ein Laut, der irgendwo zwischen Lachen und dem Liebesruf einer Taube lag. Mein Herz wurde schwer wie ein nasser Teppich, doch mein Stolz war so leicht wie ein ausgetrocknetes Wasserfass.

 

Ich, Mohammed, sann auf Rache, wie sie nur ein Kameltreiber ersinnen kann. Am nächsten Tag, als der Markt in einem unbeschreiblichen Duftschleier lag, süß-faulig und scharf zugleich, rief ich das ganze Dorf zusammen. Neben mir stand der ehrwürdige Scheich Abdul, so alt, dass selbst die Geier ihn mieden, und Fatima, die Wahrsagerin, deren Bart länger war als der meines Onkels.

 

„Hört her!“, rief ich. „Hassan hat eine Gabe: Mit seinem Atem vertreibt er Flöhe aus dem Bart eines Kamels! Doch wehe dem, der ihm zu nahekommt – sein Hauch ist so mächtig, dass er selbst Datteln zu Rosinen schrumpfen lässt!“

 

Die Kunde verbreitete sich schneller als ein Kamel, das Wasser wittert. Fortan wurde Hassan gemieden wie ein Basarhändler mit faulen Eiern. Die Kinder warfen ihm getrocknete Datteln nach und riefen: „Hassan, der Rosinenmacher!“ Die Frauen hielten sich Schleier vor die Nase, und die Männer baten ihn, ihre Schwiegermütter mit seinem Atem zu segnen – in der Hoffnung, sie würden endlich verstummen.

 

Der bucklige Basarwächter Omar, der so schief lief, dass er im Kreis ging, ernannte Hassan zum offiziellen Datteltrockner des Dorfes. Von nun an musste Hassan in der Mittagssonne sitzen und Datteln anpusten, bis sie schrumpften. Neben ihm saß die blinde Ziege Zuleika, die bei jedem seiner Seufzer meckerte, als wolle sie die ganze Welt verfluchen.

 

So lachten alle Dorfbewohner über Hassan, als hätten sie selbst nie gesündigt. Sie warfen mit Datteln, doch ihre Hände waren klebriger von Schuld als jede Süßigkeit. Sie fürchteten den Spott, den sie selbst so großzügig austeilten, und versteckten ihre eigenen Verfehlungen hinter dem Schleier der Empörung.

 

Am Ende waren sie alle gleich: Sie lebten von Gerüchten, ernährten sich von Heuchelei und tranken den süßen Wein der Doppelmoral, bis sie trunken waren von ihrer eigenen Scheinheiligkeit. Und während sie über Hassan lachten, vergaßen sie, dass der Wind der Wüste ihre eigenen Lügen längst weitergetragen hatte – schneller als jedes Kamel, das je durch die Dünen lief.

 

 

 

©Sigrun Al-Badri/ 2025




Anmerkung von Saira:

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Kommentare zu diesem Text


 Didi.Costaire (20.05.25, 18:20)
Hallo Sigi, 

irgendwie mag ich diese Szenerie trotzdem,  denn sie ist so bunt und vielfältig und Gerüchte vermischen sich mit Gerüchen.

Liebe Grüße, 
Dirk

 Saira meinte dazu am 21.05.25 um 09:36:
Moin Dirk,

ich freue mich, dass dir die bunte Szenerie gefällt und dass du die Vielfalt der Gerüche und Gerüchte zu schätzen weißt :D


Danke und liebe Grüße zurück

Sigi

 Teo (20.05.25, 18:56)
Ach Sigi,
das hast du wieder derart lebendig erzählt...du machst et einfach schön!
Obwohl...ich brauche nicht in den Orient reisen, um Derartiges zu erleben.
Einmal die Woche ist auf dem Parkplatz der Schalkearena auch ein eine Art Basar. Voll der Orient, herrlich! Die drei oder vier Deutschen, mit mir, sind da geduldet. Die Gerüche!!! 
ich mag sie alle...so wie sie sind.
Danke für diese bezaubernde Geschichte
El Teo

Kommentar geändert am 20.05.2025 um 19:14 Uhr

 Saira antwortete darauf am 21.05.25 um 09:37:
Moin Teo,

ich musste schmunzeln bei deiner Beschreibung des Parkplatz-Basars – manchmal ist das Mittelalter gar nicht so weit weg, wie man denkt

 
Danke für dein schönes Feedback!
 
Liebe Grüße
Sigi

 Tula (20.05.25, 23:31)
Hallo Sigi
Erinnert mich fast an moderne Gerüchte-Streuer und -Kunden, aber die sind natürlich beileibe nicht annähernd so witzig wie in deiner Geschichte hier.

Heitere Grüße
Tula

 Saira schrieb daraufhin am 21.05.25 um 09:43:
Lieber Tula,

du hast völlig recht – die Gerüchteküche scheint wirklich zeitlos zu sein. Im Mittelalter war sie vermutlich sogar noch ein wenig würziger und abenteuerlicher als heute.
Auch von mir heitere Grüße
Sigi


 plotzn (21.05.25, 11:20)
Servus Sigi,

eine Geschichte wie aus Tausendundeiner Nacht. Auf dem Basar der Intrigen wird eifrig gehandelt und kein Aladin weit und breit, der mit seiner Wunderlampe den Zauber ein Ende bereiten könnte...

Liebe Grüße
Stefan

 Saira äußerte darauf am 21.05.25 um 19:20:
Servus Stefan,

ich werde Ausschau nach Aladin halten – bis dahin übe ich mich im Feilschen und Geschichten erzählen! :)

Liebe Grüße
Sigi

 TassoTuwas (22.05.25, 14:30)
Moin Sigi,

Erinnerungen werden wach an den Djemaa el Fna, dem pulsierenden Zentrum voller bunten Lebens, wo Wasserverkäufer durch die Menge eilen, Märchenerzähler Kinder um sich scharen, Schlangenbeschwörer mit Flötentönen die Kobra aus dem Korb locken, Schwertschlucker die Klingen in der Sonne blinken lassen, Händler die verschiedenfarbigen Gewürze anpreisen, Wahrsagen Glück versprechen, Dentisten Schmerzgeplagten mit mittelalterlichem Gerät den Zahn ziehen, und gleich daneben ein Händler hunderte von gebrauchten Gebissen zum Kauf anbietet, wo zahlreiche Bratereien verlockende Düfte verbreiten und von allen Seiten orientalische Musik erklingt und Kamele mit hochmütigen Blick auf die staunenden Touristen herabschauen. 
So schön kann die Welt sein.

Drei Jahre später gab es auf dem Platz einen Terroranschlag mit zahlreichen Opfern.

Liebe Grüße
TT

 Saira ergänzte dazu am 22.05.25 um 18:52:
Mein lieber Freund Tasso,
 
deine Worte malen ein lebendiges Bild voller Farben, Klänge und Gerüche – und dann dieser jähe Bruch, der alles überschattet. Es ist erschütternd, wie nah Schönheit und Schrecken beieinanderliegen können.
 
Vielleicht ist es genau das, was Geschichten vermögen: Sie bewahren das Schöne, selbst wenn es von Dunkelheit bedroht wird.
 
Herzliche Grüße
Sigi
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