Ich warte nicht darauf, dass sie Steine nach mir werfen. Ich steinige mich schon selbst wie das Messer, das mitten in das Wasser meines Herzens stößt.
Ich bin ein Opfer.
Doch mehr noch bin ich schuldig. Ich habe sie betrogen.
Das kleine Mädchen, das dem Grundschullehrer sagte: "Ich bin kein Hund" und nach seinem "Setzen!" aus Protest einen Schultag lang stehen geblieben ist.
Das kleine Mädchen, das ihre Tante unendlich lieb hatte, doch auf ihre ewigen Anweisungen mit einem ewig gleichbleibenden "Ich bin mein eigener Herr" reagierte.
Das in seinem unter Tränen, und aus Unverständnis, geschriebenen Aufsatz, die Streusalzwagen mit ihrem "Ein Herz für Kinder" - Aufklebern kritisierte, die den schönsten Schlittenfahrten Einhalt boten.
Wo ist das kleine Mädchen hin, das ihrer Mutter in einem ellenlangen Brief, sachlich, überzeugend und erfolgreich, die Gründe dafür darlegte, ihre Sonntagsjacke auch an den Werktagen tragen zu dürfen.
Wo ist die fierceness des in ihrer Knospe stehenden jungen, hübschen Mädchens, das über fremde Bekannte lachte, die sie eine "Hure" genannt hatten?
Wo ist er? Der Zorn über die älteren Jungs, die sie und ihr Betrunkensein ausgenutzt hatten?
Und war es immer noch sie, die später dann bei einer ungerechtfertigten Kritik eines ihrer Chefs, am Telefon ausgezuckt ist? Oder war das schon ein Vorzeichen der Psychose?
Was hat mich im Jahr 2015 einen Abschiedsbrief schreiben lassen? Was das Messer an meinen Pulsadern ansetzen? Bin ich immer noch die Gleiche, die psychotisch und verzweifelt durch Wien geirrt ist, auf der Suche nach der richtigen Brücke? Und wie lange dauert die Sekunde, die einen davon abhält zu springen?
Eine Psychose ist ein Trauma im Erleben und jeder, der etwas anderes behauptet, ist ein Heuchler und hat keine Ahnung.
Leben ist groß und ungerecht. Das lernen wir alle, glaube ich zumindest. Wenn wir das Erwachsenenalter erreichen dürfen. Wir, die nicht schon als Kind dem Leben Lebewohl sagen oder schon kleiner anderen großen Ungerechtigkeit des Lebens ins Auge blicken mussten.
Ich habe Schizophrenie... habe einen Vergewaltigungsversuch erlebt, der zur Anzeige gebracht doch nicht rechtlich verfolgt wurde... bin wegen meines ADHS und dem von meinem Psychiater vermuteten Autismus vielleicht für diese Gesellschaft nicht geschaffen... habe Trennungen hinter mir... meine erste doch große Liebe hat sich gar zwei Mal verabschiedet: das zweite Mal in den Tod. Und doch weiß ich, dass ich in diesem Ungeheuer, doch großen, Leben privilegiert bin.
Ich frage mich selbst, ist es nur Schwäche, die mich nun Jahre über manche alltäglichen Ungerechtigkeiten und offensichtlichen Heucheleien hinwegsehen lässt? Oder wurde ich zu einem Bambus, tanzend im Wind? Gebeugt doch ungebrochen. noch immer heil. Der Beobachter. Die Poetin, die um die Filigranität von Sichtweisen weiß. Und dass das, was für manche Unglück im Leben bedeutet, für andere großes Glück bedeuten könnte. Mein Leid ist klein im Gegensatz zu manch anderem. Das bricht mir das Herz, es spendet keine Zuversicht... Doch vielleicht, wenn ich etwas weiser werde, Demut, und ja, manchmal auch Stummheit.
Denn wenn man Stummheit in den richtigen Augenblicken anwendet, wird sie wie Stille: schön.