Zwei deutsche Dichter

Betrachtung zum Thema Wirklichkeit

von  LotharAtzert

„Für Hölderlin war ein Fluß die Erscheinung einer Gestalt des Mythos, die als Erscheinung auf die Erde gekommen ist, eine Gnade, der man hier in dieser Welt begegnen darf. Bei Goethe ist der Fluß ein Gleichnis seines eigenen Lebens, des Subjekts, für den Menschen selber, aber keinesfalls die Erscheinung eines Prinzips. Damit wurde für Goethe der Fluß ein Gleichnis für den Menschen. Und nicht für die Erscheinung eines Gottes auf Erden, nicht die Erscheinung des Fließenden selbst. Begreifen Sie den Unterschied? Und seitdem ist der Neptun nicht mehr gewährleistet, - seit es Gleichnisse und Symbole gab. Seit es den Bürger gab. Seit der angefangen hat, sich in edlen Gleichnissen zu sehen, um sich zu spiegeln, weil er selbst nichts mehr war.“

 

Das hätte mir in der Schule gewiß weitergeholfen und viele Jahre der Selbstzweifel genommen, doch von Hölderlin hörte ich in den ersten 10 Lebensjahren gar nichts und Goethe war mir von anfang an das, was Döbereiner oben sagt und das stieß mir immer schon auf. Es geht dann weiter im Text:

 

„Das ist das Fließende selbst, es ist kein Gleichnis, es ist der Himmel, der da fließt und ich bin nicht mehr isoliert von ihm als Gleichnis oder Symbol, ich bin nicht mehr isoliert, er ist da. – Haben Sie mich nachvollzogen? Es ist plötzlich eine ganz andere Welt.“

W.Döbereiner. „Einbruch des Zeitlosen“ S. 325

 

Als ich dann endlich diese Zeilen lesen durfte, waren die ersten 30 Lebensjahre schon vorüber. Was hatte ich mir von Goethe grund-sätzlich“ gemerkt?

 

„Daß ich erkenne, was die Welt,

in ihrem Innersten zusammenhält.“

 

Und Hölderlin?

„An das Göttliche glauben die allein,

die es selber sind.“

 

Während ich als Schüler die Goetheworte las, empfand ich Erkenntnissuche als selbstverständlich. Doch irgendwann, ich weiß nicht mehr wann und wo, las ich die oben zitierten Worte Hölderlins und begriff augenblicklich den Sinn, sowie Tiefe und Schönheit im Ausdruck jenes frommen Dichters.

Damals empfand ich große Dankbarkeit für das Wissen um die Bedeutung der Worte, ihrer Unschuld am Anfang. Das Fließende und der Neptun – eine „ganz andere Welt“ – ja, das Unbewußte, Unbestimmte, das Bestimmung und Gestalt werden will, um sich, einmal ins Bewußtsein integriert, wieder aufzulösen.

 

Aber es ist anders gekommen. Goethe, den Faust, die Gleichnisse, Kant und den Humanismus kennt jeder Deutsche, ja sogar jeder gebildete Europäer. Hölderlin dagegen, wenn überhaupt, wird heute schon mal mit dem Rapper 50 Cent verwechselt. Das war nicht immer so. Geradezu Popstar-Status erlangte der Dichter des Hyperion. Viele der im 1. Weltkrieg in den Schützengräben verendeten Soldaten hatten sein Werk in der Feldjackentasche. Es vermochte sie nicht zu retten; Schuß, wie Bajonett, gingen durch, trafen zumeist tödlich.



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Kommentare zu diesem Text


 hehnerdreck (03.12.24, 13:37)
Wir sehen die Wirklichkeit jeweils ganz anders - wir sollten uns zusammentun und darin übereinstimmen, dass die Sicht der Wirklichkeit des anderen völlig falsch ist, um wenigstens in diesem Punkt eine wohltuende Übereinstimmung zu finden und zu feiern. Zum Teil fand ich das, was Du hier geschrieben hast, auch irgendwie schön. Brauchst Du so große Buchstaben, damit es Dir leichter fällt, Deine Sätze auszubessern?

 LotharAtzert meinte dazu am 03.12.24 um 13:55:
Ich fang mal hinten an.
Die Augen schmerzen beim Blick auf den Computer und mit der äußeren Sehkraft steht es tatsächlich nicht mehr zum Besten. Die Schrift ein bißchen kleiner wäre gut, aber ich kriegs nicht hin, sie wird dann gleich zuviel kleiner. Tut mir selbst leid.
wir sollten uns zusammentun und darin übereinstimmen, dass die Sicht der Wirklichkeit des anderen völlig falsch ist,
Welche Sicht ist völlig falsch? - das hab ich versucht, mithilfe meines Mentors sozusagen, herauszugestalten. Die Sicht Goethes erscheint mir falsch, weil  es dem Ego schmeichelt und so geht es schon los: mit wem könnte ich mich da noch zusammentun?
um wenigstens in diesem Punkt
Es geht ums Daseinsprinzip, nicht um wohltuende Übereinstimmung. Wenn Du mit dem himmlischen Prinzip, wie es Hölderlin andeutet und W.D. im Detail beschreibt, übereinstimmst, ist die Wohltat (ob mit mir oder ohne mich) grenzenlos.

Danke für den Kommentar. Und wie gesagt, mit den großen Buchstaben - ich werd noch was probieren ...

 hehnerdreck antwortete darauf am 03.12.24 um 18:00:
Das mit dem Probieren, da gibts doch eine Menge Schrifttypen die der Webmaster und zur Verfügung stellt.

Beispiel: die Standardschrift 5 bis 7:

Beispiel

Beispiel

Beispiel

 hehnerdreck schrieb daraufhin am 03.12.24 um 18:12:
Da kommt ja aber auch noch hinzu, wenn ein anderer nicht die Standard-Schrift gewählt hat, weiß man gar nicht wie groß es beim ihm erscheint - sonst ist man darauf angewiesen, durch STRG + - (minuszeichen) in seinem Browser die Schrift entsprechend zu verkleinern (ich Depp hätte das machen können, habs aber mal wieder vergessen).

Antwort geändert am 03.12.2024 um 18:14 Uhr

 LotharAtzert äußerte darauf am 04.12.24 um 08:59:
Also versprochen, da kümmer ich mich drum, sobald es mit den Antworten hier vorbei ist, was aber jetzt nicht heißen soll ...

 Graeculus (03.12.24, 16:24)
Zweierlei zur Vertiefung - oder Präzisierung - dieses Gedankens:

1. Goethe sagt das nicht selbst, sondern legt es dem Faust in den Mund. Ist das deshalb auch Goethes Standpunkt?
- Nicht er hat die Figur des Faust erfunden, die lag ihm schon vor.
- Faust scheitert in seinem Bestreben und muß an Ende von den himmlischen Mächten gerettet werden.

2. Hölderlin war psychisch anfällig und ist an Schizophrenie erkrankt.
- Wenn man seine letzten Gedichte liest ("April und Mai und Julius sind ferne / Ich bin nichts mehr, ich lebe nicht mehr gerne."), dann kann man vermuten, daß auch er gescheitert ist.
- Haben seine Freunde aus der Tübinger Zeit, Hegel und Schelling, es vielleicht besser getroffen?

Das alles ist nicht mit zwei einzelnen Zitaten zu entscheiden.

 DanceWith1Life ergänzte dazu am 03.12.24 um 17:08:
btw. was für ein Unterschied bestimmt die Sichtweise eines christlich erzogenen Atheisten im Vergleich/Gegensatz zu einem, muslimisch oder Jüdisch erzogenen Atheisten.
Werden alle  Drei, wenn sie einen Faust schreiben, diesen von "himmlischen Mächten" retten lassen.
ist ein Van Gogh, ein Nietzsche und all die anderen gescheitert?
Ich denke das sollten wir uns nochmal genau überlegen.

 hehnerdreck meinte dazu am 03.12.24 um 18:27:
Tschaikowsky soll depressive Schübe gehabt haben. Es ist also möglich, dass er als Komponist versagt hat. Es stellt sich daher die Frage, ob es sinnvoll ist, seine Musik aufzuführen.

 Graeculus meinte dazu am 03.12.24 um 18:41:
Es ist also möglich, dass er als Komponist versagt hat. Es stellt sich daher die Frage, ob es sinnvoll ist, seine Musik aufzuführen.

Habe ich dergleichen gesagt? Folgt das aus dem, was ich gesagt habe?

Wenn man über Hölderlin spricht, sollte man seine Schizophrenie nicht unerwähnt lassen und den einen oder anderen Gedanken darauf verwenden.

Antwort geändert am 03.12.2024 um 18:46 Uhr

 LotharAtzert meinte dazu am 03.12.24 um 20:01:
- Nicht er hat die Figur des Faust erfunden, die lag ihm schon vor.
Ja eben - das ist Goethe. Alles zusammengeklaut und gnadenlos ausgebeutet. Als Jungfrau war er ja schlau genug. das zu vertuschen.

Ich kenne nicht nur meine Pappenheimer, sondern auch die magischen Bücher des Originals.
Wenn man über Hölderlin spricht, sollte man seine Schizophrenie nicht unerwähnt lassen und den einen oder anderen Gedanken darauf verwenden.
Wer sagt das?
Das alles ist nicht mit zwei einzelnen Zitaten zu entscheiden.

 
Ich entscheide nicht, ich spreche vom Prinzip und es erscheint mir prinzipiell zu sein, daß wer an das Göttliche glaubt, bereits an der Göttlichkeit teilhat und zwar im Umfange seines Glaubens.
„Das ist das Fließende selbst, es ist kein Gleichnis, es ist der Himmel, der da fließt und ich bin nicht mehr isoliert von ihm als Gleichnis oder Symbol, ich bin nicht mehr isoliert, er ist da. – Haben Sie mich nachvollzogen? Es ist plötzlich eine ganz andere Welt.“
Hast Du das immer noch nicht nachvollzogen?
Na gut, jetzt gibts erst mal Fußball.


Antwort geändert am 03.12.2024 um 20:15 Uhr

 Graeculus meinte dazu am 03.12.24 um 20:21:
Ach, geklaut nennst Du das? Aber wenn Hölderlin antike Dramen nachdichtet etc., dann ist das was?

Vielleicht kenne ich das, was Du ansonsten - prinzipiell - meinst, das Einswerden/-sein mit der Welt, von Indianern und Schamanen. Bei Hölderlin? Etwa in seinem "Schicksalslied"? ("Doch uns ist gegeben, auf keiner Stätte zu ruhen. Es stürzen, es fallen die leidenden Sterblichen ...") eher nicht.

 Graeculus meinte dazu am 03.12.24 um 20:22:
Ja, jetzt ist Fußball!

 Graeculus meinte dazu am 03.12.24 um 20:27:
Ich habe Hölderlin früh gelesen und sehr geliebt. Aber er ist mir immer als armer Kerl erschienen ... so wie man damals in Tübingen sagte: "der arme Hölderlin." Ich hatte Mitgefühl mit ihm und konnte ihn verstehen. Unter Menschen isoliert und in seinen Anliegen gescheitert. Dann dreißig Jahre lang geisteskrank in seinem Turm lebend.

 LotharAtzert meinte dazu am 03.12.24 um 23:58:
Vielleicht kenne ich das, was Du ansonsten - prinzipiell - meinst, das Einswerden/-sein mit der Welt, von Indianern und Schamanen.
Das ist ja das, wo ich mir den Mund fusselig rede: Du kennst es nur von außen, wenn Du sofort wieder Indianer und Schamanen anführst. Ich will, daß Du es (das Fließende) aus Dir, also  aus Deinem Empfinden herausholst und artikulierst.


Aber er ist mir immer als armer Kerl erschienen
Das trifft wieder nur auf das Irdische zu. Nach seinen eigenen Worten lebte er einmal unter Göttern und mehr bedurfte es nicht - wir sind die armen Kerle, denn so weit haben wir es noch nicht gebracht, leben wir doch in einer Welt, die in vielfacher Weise am untergehen ist.

 LotharAtzert meinte dazu am 04.12.24 um 09:13:
btw. was für ein Unterschied bestimmt die Sichtweise eines christlich erzogenen Atheisten im Vergleich/Gegensatz zu einem, muslimisch oder Jüdisch erzogenen Atheisten.

Werden alle  Drei, wenn sie einen Faust schreiben, diesen von "himmlischen Mächten" retten lassen.
Was hat das mit dem Fließenden zu tun, was mit dem ersten Teil des Prinzips, dem Neptun?

Ich kann Dich beruhigen - Lenaus Faust wird von Mephisto mit den Worten beendet: 
"Da bist du in die Arme mir gesprungen/ 
nun hab ich dich und halte dich umschlungen."

Das Fließende zeigt sich im 1. Quadranten direkt als Wasser, im 2. als lucides Träumen, im 3. als formauflösend und im 4. eben als das Unbestimmte, das zur Bestimmung werden soll.
Darüber reden wir hier und ein Scheitern hier begünstigt einen Aufstieg dort, ist also für diese Betrachtung irrelevant. Wir sind alle verrückt und am verrücktesten sind die Intellektuellen.

 AchterZwerg (03.12.24, 16:47)
Wo ist eine Offenbarung des Höchsten? Ebendort, wo Wirklichkeit ist, antwortet die innere Stimme, die untrüglich ist.

 Hugo von Hofmannsthal (1874 - 1929), österr. Lyriker, Dramatiker, Erzähler
 Schöne Grüße ins Bad der Bäder

 DanceWith1Life meinte dazu am 03.12.24 um 20:28:
ich wollte Lothar zuerst auf diesen wunderbaren Kommentar antworten lassen, jetzt isser wieder ganz bei seiner Denkpause, 22 Millionäre und ein Ball, tja so sind sie, die Denker, vor lauter Denken, übersehen sie solche Kleinode.

 Graeculus meinte dazu am 03.12.24 um 20:34:
Ja, der Kommentar ist schön.
Aber andererseits ist es doch auch gut, wenn Lothar mal, und sei es nur für einen Abend, das Prinzip Prinzip sein läßt und sich - wie auch ich - wenigstens vor dem Fernseher mal unter die Massen mischt.
Im Zen zumindest gilt es als letzter Schritt vor dem Erlangen der Buddhaschaft, Mönchsregeln zu brechen ... vornehmer gesagt: sich von ihnen zu lösen.

P.S.: Hoffentlich gewinnt Bayer 04.
Frankfurt spielt dann morgen.

 LotharAtzert meinte dazu am 03.12.24 um 20:40:
@ Dance - Geduld, Geduld, ich komme auf alles zurück. Und sollte ich mal was vergessen, so sage es mir dann bitte.

@ Graeculus - ja, heute ist nur das Aufwärmspiel. Oder: Heute Goethe, morgen Hölderlin.

 DanceWith1Life meinte dazu am 03.12.24 um 20:41:
absolut, wer gewinnt is mir schnuppe, schau grad nicht, und danke, wenigstens bin ich nicht der einzige, der sowas gut findet, siehst, das sind die Grenzen der Sprache, weil etwas gut finden kann ich auch alleine total gut.

 LotharAtzert meinte dazu am 03.12.24 um 23:41:
Ja Heidrun, wo ist die Offenbarung - mit Hofmansthal spricht der Kenner des Jedermann, - ebendort, wo Wirklichkeit ist - das ist sehr schön ausgedrückt.
Herzlichen Dank.

Wirklichkeit und das Fließende des Neptuns sind identisch. Unruhe entsteht wo wenn es verdrängt wird.
Herzlichen Dank auch. 
Gruß - und morgen gucken wir die Tore von Marmoush.
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