Stimmen

Text

von  Saudade

Also, die modernen Zeiten sind schon etwas Feines, besonders was die Technik angeht. So kann ich die Stimmen der Lebenden und der Toten hören, besonders die der Toten, das macht sie kurz wieder lebendig. So habe ich noch einen alten Kassettenrecorder und spiele manchmal die Hitparade, aufgenommen 1988 ab, nicht, weil ich die aufgenommene Hitparade so toll finden würde, manches ist nett, sondern weil dazwischen unterbrochen ist, meine Oma zu hören ist, mit: "Dreht endlich leiser!", was bedeutet, ich habe mit meinem Kassettenrecorder den Radio aufgenommen, faktisch zwei Geräte verwendet, man hört Kinderlachen, das von meiner Schwester und mir. Ich war 13 und meine Schwester 19. Meine keifende, schon lange tote Oma, die Kassette ist mir heilig. Oder, mich selbst, mit einer Freundin zusammen, eine Radiosendung nachahmend. Ich, mit Piepsstimme. 

Er sagte: "Du klingst wie früher!"

Nein. Nur er hat es im Kopf gespeichert. 

Oder, auf YouTube kann ich ein Interview anhören von Leo. Es drückt mich, aber seine Stimme wärmte mich auch gerade eben. Leo ist auch tot. Seine Stimme ist früher, ich habe sie nie vergessen. Auch kann ich R. hören, das ist überhaupt die wärmste Stimme, hell und weich, lieb, lachend. Ein Interview. 

Und, wenn die Sehnsucht groß ist, dann höre und sehe ich mir ihn an, mittlerweile kann ich seine englische Rede schon auswendig. 

Auf einer anderen Kassette meine Mutter, sie fragt, was ich zum Essen haben möchte, sie geht einkaufen. Vermutlich kam sie erst drei Tage später zurück. Diese Kassette höre ich nie, einmal reichte mir. 

Stimmen lösen etwas in einem aus. Gute und schlechte Erinnerungen. Stimmen blieben und ich kann sie immer hören, so oft ich will, obwohl Körper längst zu Staub wurden oder Wege sich trennten. Stimmen sind Gefühle. 


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Kommentare zu diesem Text


 Regina (12.07.25, 00:30)
Da haben wir doch erst kürzlich die junge Joan Baez bewundert. Seit es die Aufnahmetechniken gibt, sind wir nicht mehr auf Präsenz angewiesen, weder örtlich noch zeitlich. 
Uralte Konzerte, zum Leben erweckt, sehen, was in Australien vor sich geht, die Nachrichten oder hier: eigene Erinnerungen.
Konserve oder Realität? Eine Frage, die vor allem in der Musik aufkommt.

 Saudade meinte dazu am 12.07.25 um 00:41:
Ich würde da schon differenzieren. Du hast natürlich vollkommen recht, vor allem ist es doch schön, wenn wir hier ein Konzert aus Brazil ansehen können, toll - der Flug und die Konzertkarte hätten uns ein Vermögen gekostet. Streamen kostet Strom und I-Net Gebühr, erträglicher. Jedoch ist das Feeling doch ein ganz anderes, der Geruch eines Opernhauses, das Erleben, alles. Praktisch ist es, ja, aber es fehlt der FLASH.
Hingegen, bei Stimmen, die von verstorbenen oder unerreichbaren Personen kommen, die sind höchstpersönlich, lösen etwas aus, das bei jedem etwas anders ist. 
Ein toter Elvis, noch immer zum Schmelzen, aber Elvis saß nicht auf der Couch zuhause (SCHADE!).
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