Lavendel

Text zum Thema Augenblick

von  Lluviagata

Liebster,

ich schlafe gern in der Mansarde. Es ist entspannend allein einschlafen zu können. Kein Licht stört dich, und ich kann lesen, solange ich mag. Wenn der Regen auf die Fensterbleche trommelt, bin ich am liebsten hier oben.

Morgens stehe ich gemeinsam mit dir auf, um dir wie immer von der Schwelle aus nachzuwinken. Natürlich achte ich darauf, dass du ordentlich gekleidet ins Büro gehst und zupfe dir schnell noch ein Härchen vom Kragen. Ein gepflegtes Aussehen ist wichtig für einen Hauptbuchhalter. Dann gehst du auf dem kiesbestreuten Weg, der sich durch den geharkten Rasen schlängelt, zur Garage. Den Lavendel zwischen den Rosen hast du gekappt, weil er dir zu struppig war.
Der Tag ist unendlich lang ohne dich. Vielleicht sollte ich versuchen zu schreiben? Ich denke an dich.

Wie immer freue ich mich über deine Begrüßungsküsse, auch wenn du sehr erschöpft bist. Das duftende Bad steht für dich bereit.
Ich liebe es, für dich zu kochen, auch wenn du keinen Hunger mehr hast, weil du so lange arbeiten musstest. Trotzdem bringst du noch die Kraft auf, in den Wald zu gehen. Natürlich warte ich auf dich.

Ich weiß, dass du gern allein in den Wald gehst, dahin, wo dir regennasse Zweige das Gesicht peitschen und herber Grabesgeruch in die Nase steigt. Freudig, mit roten Wangen, erzählst du mir später von warmen und kalten Fährten, von zugewachsenen Wegen, von Reizkern und vom Anspruch, und wie lange du frieren musstest, ehe du den Blattschuss setzen konntest. Ich bin froh, dass du den Spießer allein in den Keller getragen hast. Morgen, zum Samstag, werde ich sein Herz zubereiten, mit reichlich Zwiebeln, wundersamen Kräutlein und Butter. Ganz so, wie du es immer mochtest.

Später werde ich mich unter die große, von Efeu umwundene Kiefer setzen.
Vielleicht werde ich dort Lavendel pflanzen.



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Kommentare zu diesem Text


 Quoth (21.07.25, 16:57)
Ein mich nicht ganz überzeugender Kompromiss zwischen TradWife einer- und emanzipierter Frau andererseits. Aber gut: Die Frau kommt zu ihrem Recht - der Mann kommt zu seinem Recht - was will man mehr? Vielleicht ein neuer Trend? Oder habe ich die darin glimmende Satire nicht bemerkt?

 Graeculus meinte dazu am 21.07.25 um 17:04:
Oder habe ich die darin glimmende Satire nicht bemerkt?

So vermute ich es; der letzte Satz scheint mir einen Akt des Widerstandswillens auszudrücken, da er den Lavendel ja gekappt hatte.

 Lluviagata antwortete darauf am 21.07.25 um 17:16:
Meine Herren, das ist ein Krimi. Ich habs in der Rubrik den Lesern nicht verraten wollen. Er geht fremd. Ist das nicht offensichtlich? Hmmm.


Morgen, zum Samstag, werde ich sein Herz zubereiten, mit reichlich Zwiebeln, wundersamen Kräutlein und Butter. Ganz so, wie du es immer mochtest.

Später werde ich mich unter die große, von Efeu umwundene Kiefer setzen.
Vielleicht werde ich dort Lavendel pflanzen.

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