"Den Opfern der Donau"

Tagebuch

von  Pearl

Vor circa zehn Jahren setzte ich mir ein Ziel. Heute, am 05.08.2025, erreichte ich es. Ich besuchte den 'Friedhof der Namenlosen'.

Ein gratis Zeichenkurs der VHS Simmering brachte mich dorthin. Und mit mir zwei Freundinnen, unterschiedlich wie der Tag und die Nacht. Somit war schon die lange Anfahrt mit den Öffis zum 'Alberner Hafen' ein kleines, albernes Abenteuer. Doch eint die Beiden nicht nur die Freundschaft zu mir. Sie waren auch im selben Bundesland aufgewachsen und haben ein ziemliches Talent fürs Zeichnen.

Weiter ging unser kleines Abenteuer mit der Suche nach einem Klo. Denn wie wir recherchiert hatten, gab's am Friedhof keines. In der Nähe war aber ein Beisl. Und in jenem tummelten sich viele betrunkene Altwiener Männer und eine unglaublich herzliche Frau, die wie der beste Wiener Wein gealtert war.

Da gab es Gelächter, als wir zu dritt in die Bar marschiert sind! Sie schauten uns an, wie man Aliens halt anschaut. C., die ihren Strohhut am Kopf trug, wurde gleichmal gefragt, ob sie grad vom Strand komme. Als sie und K. auf die Toilette verschwanden, wurde im breitesten Wienerisch genuschelt, dass sie sich jetzt sicher umziehen würden. Dabei wurde gelacht. Ich trank währenddessen meinen Espresso aus, ein Mann klopfte mir dauernd auf die Schultern und verglich das damit, wie man einen Hund abrichte. 

So lustig diese feuchtfröhliche und früh am Nachmittag stattfindende Geburtstagsparty auch war... unser Ziel war ein anderes. Ich zündete mir eine an und dann gingen wir wohlgemuten Schrittes durchs Industriehafengebiet der Wiener Pampa auf diesen schönsten aller Friedhöfe zu.

Begleitet wurden wir von unzähligen Schmetterlingen in den Tönen einer ganzen Aquarellfarbpalette. 

In vielen Kulturen sieht man in Schmetterlingen die Seelen Verstorbener. Und soo viele habe ich seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen. Sie wiesen uns den Weg. Vielleicht freuten sich die Begrabenen gar über unseren Besuch?

Im Internet konnte ich nachlesen, dass der 'Friedhof der Namenlosen' der weltweit einzige ist, für die Opfer eines Flusses. Viele Identitäten  sind noch immer ein Geheimnis. Die Identität des Verstorbenen des ersten Grabes, das ich zeichnete, war aber die von Wilhelm Töhn. Wilhelm Töhn wurde am 01. Juni 1904 im Alter von 11 Jahren von fremder Hand in der Donau ertränkt.

Ich zeichnete den Grabstein nach, so gut ich eben konnte, und zeichnete diesem dann goldgelbene Schmetterlingsflügel. Der Zeichenlehrer meinte, es schaue so aus, als ob der Grabstein in die Höhe schwebe. Ich fühlte mich wirklich verbunden mit diesem längst verstorbenen Kinde, dessen Grab auch ein von der Zeit zugerichteter Teddybär schmückte. 

An jedem der Kreuze auf dem Friedhof, gab es auch einen aufgehängten Kristallglas - splitter. Es gab schief liegende Kerzen, verblühte Blumen, wucherndes Gras, Sonne, Ameisen, die über meine Beine krabbelten, zerbrochene Keramikengel. Kurzum es war wunderschön. Ja, einer der schönsten, einer der hellsten, lichtesten Orte, an denen ich je war.

Bekannt ist der Friedhof auch wegen einer in ihm gedrehten Szene in "Before Sunrise". Der amerikanische Film mit Julie Delphy und Ethan Hawke, bei dem ich immer an die Liebesgeschichte meiner ersten Liebe J. und mich denke. 

Ich denke J.s Seele ist jetzt dort, wo auch die Seelen der am 'Friedhof der Namenlosen' Begrabenen sind. An jenem Ort hinter dem letzten "Tor", "gefolgt von Schmetterlingen und Sternen."


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Kommentare zu diesem Text


 LotharAtzert (06.08.25, 10:13)
Tolle Geschichte, spannend geschrieben. 
In vielen Kulturen sieht man in Schmetterlingen die Seelen Verstorbener. Und soo viele habe ich seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen.
In meinem Garten blühen zwei Sommerflieder, da sind die ganz narrisch drauf. Leider reduzieren sich die Arten von Jahr zu Jahr, so daß die Pfauenaugen immer mehr dominieren.
Dieser Friedhof bigt sicher so manches Geheimnis.

Liebe Grüße
Lothar

 Pearl meinte dazu am 07.08.25 um 19:18:
Ja. Dieser Friedhof ist voller Geheimnisse. Dein Garten auch, denke ich

Danke und Liebe Grüße, mein lieber Lot(hari)us
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