Die gute alte Zeit
Reportage zum Thema Vergangenheit
von Graeculus
Kommentare zu diesem Text
Ich liebe solche Texte. Sie geben Einblicke, die wir uns in unseren verwöhnten Köpfen gar nicht mehr denken können.
Ich muss dir aber sagen, die Wohnungsbeschreibung kenne ich auch und habe sie selbst, nur noch Schlimmer, gesehen. Meine Urgroßmutter wohnte in einem der Arbeiterhäuser in Schlöglmühl, das kannst du googeln. Die aus dem 18.Jh. Es war eine Einzimmerwohnung mit offener Küche, also, man kam zur Tür herein, die hatte übrigens ein Vorhängeschloss, war eine kleine braune Holztüre, dann war da eine Küche, da stank es immer fürchterlich nach Urin, weil die Urli schon so alt war und auf die Großmutter, ihre Tochter wartete, um den Urinkübel wegzutragen, dann war da ein großes Bett, wirklich groß, ein Tisch beim Fenster und ein Biedermeierkasten. Sonst nichts. Das Haus bestand aus einzig langen Gängen mit Wohnungen, es stank nach Moder. Es gab einen Toilettenraum im ersten Stock, sie wohnte im zweiten Geschoss. Da waren mehrere Toiletten, wo man noch an der Kordel ziehen musste, der Wasserkasten war über einem. Wenn man zu fest zog, dann fiel der runter und alles war überschwemmt.
Das Haus ist noch immer bewohnt, es wohnen nun hauptsächlich Gastarbeiter darin. Es gibt auch eine Doku darüber "Postcode: 2640 Schlöglmühl". Die Häuser gehörten zu der Papierfabrik, die stillgelegt wurde.
Du siehst also, ich kenne das gut. Ich finde deinen Text hier phantastisch. Er ist persönlich, aber nicht zu intim. Du hast dich auf einer guten Linie bewegt. Ich finde, das schrieb ich schon bei Citronella, dass viel mehr solche Geschichten raus müssen, die verwöhnte Wohlstandsgesellschaft ("Ich hab nur noch wenig AKKU! Oh Gott!") sollte das lesen.
Was den Untermieter angeht, sichtlich gefiel dir der Geruch der Pfeife.
Postcode: 2640 Schlöglmühl (1990) | MUBI
Ich sehe gerade, sie haben renoviert! Schlöglmühl 1535 - Category:Arbeiter- und Beamtenwohnhäuser, Schlöglmühl - Wikimedia Commons
Ich muss dir aber sagen, die Wohnungsbeschreibung kenne ich auch und habe sie selbst, nur noch Schlimmer, gesehen. Meine Urgroßmutter wohnte in einem der Arbeiterhäuser in Schlöglmühl, das kannst du googeln. Die aus dem 18.Jh. Es war eine Einzimmerwohnung mit offener Küche, also, man kam zur Tür herein, die hatte übrigens ein Vorhängeschloss, war eine kleine braune Holztüre, dann war da eine Küche, da stank es immer fürchterlich nach Urin, weil die Urli schon so alt war und auf die Großmutter, ihre Tochter wartete, um den Urinkübel wegzutragen, dann war da ein großes Bett, wirklich groß, ein Tisch beim Fenster und ein Biedermeierkasten. Sonst nichts. Das Haus bestand aus einzig langen Gängen mit Wohnungen, es stank nach Moder. Es gab einen Toilettenraum im ersten Stock, sie wohnte im zweiten Geschoss. Da waren mehrere Toiletten, wo man noch an der Kordel ziehen musste, der Wasserkasten war über einem. Wenn man zu fest zog, dann fiel der runter und alles war überschwemmt.
Das Haus ist noch immer bewohnt, es wohnen nun hauptsächlich Gastarbeiter darin. Es gibt auch eine Doku darüber "Postcode: 2640 Schlöglmühl". Die Häuser gehörten zu der Papierfabrik, die stillgelegt wurde.
Du siehst also, ich kenne das gut. Ich finde deinen Text hier phantastisch. Er ist persönlich, aber nicht zu intim. Du hast dich auf einer guten Linie bewegt. Ich finde, das schrieb ich schon bei Citronella, dass viel mehr solche Geschichten raus müssen, die verwöhnte Wohlstandsgesellschaft ("Ich hab nur noch wenig AKKU! Oh Gott!") sollte das lesen.
Was den Untermieter angeht, sichtlich gefiel dir der Geruch der Pfeife.

Postcode: 2640 Schlöglmühl (1990) | MUBI
Ich sehe gerade, sie haben renoviert! Schlöglmühl 1535 - Category:Arbeiter- und Beamtenwohnhäuser, Schlöglmühl - Wikimedia Commons
Kommentar geändert am 13.08.2025 um 00:30 Uhr
Für jetzt danke ich Dir für den sehr freundlichen Kommentar ... mitsamt Parallelgeschichte; näher werde ich darauf im Laufe des Tages (der neue hat ja schon begonnen) eingehen.
Doch, spontan noch: Sie waren zufriedene Leute und mit sich im Reinen. Materiell braucht man dafür offenbar nicht viel: Meine Oma hatte ihren Herrgott und mein Opa seine Pferde.
Doch, spontan noch: Sie waren zufriedene Leute und mit sich im Reinen. Materiell braucht man dafür offenbar nicht viel: Meine Oma hatte ihren Herrgott und mein Opa seine Pferde.
Die Urli hatte ihre Stickerei. Aber, beinahe muss ich Danke sagen, durch deine Geschichte, hab ich da gegoogelt und sehe, wie schön ich es eigentlich wirklich gehabt habe. So viel Grün. Wir waren ja in Gloggnitz daneben. Einfach nur schön. Ich hab das schon ein bisserl verdrängt gehabt.
Antwort geändert am 13.08.2025 um 00:36 Uhr
Deine Urgroßmutter, das müßte die Generation meiner Großeltern sein. Die geschilderten Lebensverhältnisse sind noch etwas extremer, sozusagen primitiver.
Arbeitermilieu, während ich meine Großeltern zum Kleinbürgertum rechne.
Was war denn mit ihrem Mann passiert, von dem Du nichts schreibst? Vielleicht im Krieg gefallen?
Meinen Opa, wenn ich das noch sagen darf, habe ich als sehr schweigsamen Menschen in Erinnerung. Typischerweise saß er in einem Schaukelstuhl am Fenster und starrte ins Leere. Meine Oma sagte dazu: "Vor Verdun war er noch ein fröhlicher Mensch."
Arbeitermilieu, während ich meine Großeltern zum Kleinbürgertum rechne.
Was war denn mit ihrem Mann passiert, von dem Du nichts schreibst? Vielleicht im Krieg gefallen?
Meinen Opa, wenn ich das noch sagen darf, habe ich als sehr schweigsamen Menschen in Erinnerung. Typischerweise saß er in einem Schaukelstuhl am Fenster und starrte ins Leere. Meine Oma sagte dazu: "Vor Verdun war er noch ein fröhlicher Mensch."
Mein Urgroßvater ist laut Erzählungen im Ersten Weltkrieg erstochen worden. Wenn du mich fragst, ist das erstunken und erlogen, denn laut Geburtsurkunde meiner Oma (10.2.1916) steht nicht, dass die beiden verheiratet gewesen sind. Die Urli ist 1897 geboren worden. Ja, Arbeiterin, waren ja alles Weber. Sie hat dann erst geheiratet, den Herrn Krause, vermutlich deshalb das riesengroße Bett, aber der dürfte vor meiner Geburt gestorben sein. Ich hab, ehrlich gesagt, nie gefragt, meine Urli war unsymphatisch.
Antwort geändert am 13.08.2025 um 14:45 Uhr
Dann war die Urli sogar noch ein wenig jünger als meine Großeltern. Und sie war Dir unsympathisch, vermutlich wegen des Gestanks.
Immerhin hast Du sogar noch Deine Urgroßmutter kennengelernt. Diese Generation kenne ich lediglich von Photos. (Und die stinken nicht ...)
Immerhin hast Du sogar noch Deine Urgroßmutter kennengelernt. Diese Generation kenne ich lediglich von Photos. (Und die stinken nicht ...)
Guten Morgen.
Sehr atmosphärisch und ohne erhobenen Zeigefinger. Gefällt mir.
es grüßt der Neumann
Sehr atmosphärisch und ohne erhobenen Zeigefinger. Gefällt mir.
es grüßt der Neumann
Danke. Der erhobene Zeigefinger liegt mir nicht so. Ob es wirklich gute alte Zeiten waren, das kann jeder Leser für sich feststellen.
Lieber Graec,
aus meiner Sicht liegt dir diese Art des Erzählens ganz besonders: Unanstrengend, doch nicht ohne Tiefsinn!
Freue mich schon auf Weiteres dieser Art.
aus meiner Sicht liegt dir diese Art des Erzählens ganz besonders: Unanstrengend, doch nicht ohne Tiefsinn!
Freue mich schon auf Weiteres dieser Art.

Ein großes Lob, für das ich herzlich danke. Anscheinend lohnt sich meine Bemühung, vieles, das mir durch den Kopf geht, wegzulassen; es würde sonst anstrengender.
Lieber Wolfgang,
deine Schilderungen gehen weit über die bloße Beschreibung einer Wohnung hinaus … sie lassen ein ganzes Lebensgefühl vergangener Generationen lebendig werden. Beim Lesen spüre ich förmlich die Mühe, die das morgendliche Heizen bedeutete, das frühe Aufstehen, um ein wenig Wärme zu schaffen, und die Notwendigkeit, Ressourcen wie den Waschkeller gemeinschaftlich zu nutzen. All das macht deutlich, wie sehr das Leben damals von festen Routinen und gegenseitiger Rücksichtnahme geprägt war.
Wie sehr sich doch unser Verständnis von Wohnqualität und Hygiene im Laufe der Zeit verändert hat. Die Enge, das Fehlen eines eigenen Badezimmers und die Notwendigkeit, Räume unterzuvermieten, zeigen, wie existenziell das Thema Wohnen früher war. Gleichzeitig spüre ich in deinen Erinnerungen eine besondere Wärme und einen Zusammenhalt, der vielleicht gerade durch die schwierigen Umstände entstanden ist.
Mir wird durch deine Reportage bewusst, wie selbstverständlich wir heute Komfort und Privatsphäre erwarten und wie sehr das im Kontrast zu den damaligen Lebensumständen steht.
Herzliche Grüße
Saira
deine Schilderungen gehen weit über die bloße Beschreibung einer Wohnung hinaus … sie lassen ein ganzes Lebensgefühl vergangener Generationen lebendig werden. Beim Lesen spüre ich förmlich die Mühe, die das morgendliche Heizen bedeutete, das frühe Aufstehen, um ein wenig Wärme zu schaffen, und die Notwendigkeit, Ressourcen wie den Waschkeller gemeinschaftlich zu nutzen. All das macht deutlich, wie sehr das Leben damals von festen Routinen und gegenseitiger Rücksichtnahme geprägt war.
Wie sehr sich doch unser Verständnis von Wohnqualität und Hygiene im Laufe der Zeit verändert hat. Die Enge, das Fehlen eines eigenen Badezimmers und die Notwendigkeit, Räume unterzuvermieten, zeigen, wie existenziell das Thema Wohnen früher war. Gleichzeitig spüre ich in deinen Erinnerungen eine besondere Wärme und einen Zusammenhalt, der vielleicht gerade durch die schwierigen Umstände entstanden ist.
Mir wird durch deine Reportage bewusst, wie selbstverständlich wir heute Komfort und Privatsphäre erwarten und wie sehr das im Kontrast zu den damaligen Lebensumständen steht.
Herzliche Grüße
Saira
Es geht viel um die Wohnverhältnisse, liebe Saira, das stimmt.
Vieles, was heute als Standard gilt, hat es damals noch nicht gegeben, jendenfalls nicht in kleinbürgerlichen Kreisen. Aber nach meinem Eindruck hat man es als selbstverständlich hingenommen. Wie hätte man auch eine Waschmaschine vermissen können, wenn es sie noch nicht gab?
Der Waschtag war wirklich ein Waschtag, d.h. meine Oma war von morgens bis abends im Keller beschäftigt. Kleidung, Bettwäsche, Handtücher für eine Familie - alles mußte an diesem einen Tag erledigt werden.
Und das war nur möglich, weil man die Wäsche halt nur so selten gewechselt hat! Da ekelt es uns heute.
Herzlich und dankend,
Wolfgang
Vieles, was heute als Standard gilt, hat es damals noch nicht gegeben, jendenfalls nicht in kleinbürgerlichen Kreisen. Aber nach meinem Eindruck hat man es als selbstverständlich hingenommen. Wie hätte man auch eine Waschmaschine vermissen können, wenn es sie noch nicht gab?
Der Waschtag war wirklich ein Waschtag, d.h. meine Oma war von morgens bis abends im Keller beschäftigt. Kleidung, Bettwäsche, Handtücher für eine Familie - alles mußte an diesem einen Tag erledigt werden.
Und das war nur möglich, weil man die Wäsche halt nur so selten gewechselt hat! Da ekelt es uns heute.
Herzlich und dankend,
Wolfgang
Lieber Wolfgang,
habe deine Reportage sehr gerne gelesen. Ich bin fast in eine Art Melancholie geglitten.
Teilweise berührend.
Danke für diesen besonderen Text.
Gruß aus der Stadt der Fußballzukunft
Teo
habe deine Reportage sehr gerne gelesen. Ich bin fast in eine Art Melancholie geglitten.
Teilweise berührend.
Danke für diesen besonderen Text.
Gruß aus der Stadt der Fußballzukunft
Teo
Etliche Passagen erinnern mich 1:1 an meine eigene Kindheit. Zum Beispiel mit den Briketts oder dem Klo, nur dass das noch schlimmer bei mir war und der Zinkbadewanne. Sehr bildlich dargestellt.
im jahre 1968(!) lebte ich ziemlich lange in wien in so einer genau beschriebener wohnung mit nur einem zimmer inkl. kochen und das wc an gang, ich überlebte es glücklich verheiratet! wunder, dass ich noch da bin...

Substandard mit Basena, oder?
An Teo:
Du könntest altersmäßig mit Deinen Großeltern noch ähnliches erlebt haben.
Ich hätte auch etwas über den Fußball geschrieben, für den man ja auch damals schon fieberte; aber diese Leidenschaft ist erst durch meinen Vater in die Familie gekommen.
Hier siehst Du den kleinen Wolfgang (er ist es tatsächlich!) mit seinem Vater bei einem Spiel von TuRU 1880 in Düsseldorf-Bilk:
Du könntest altersmäßig mit Deinen Großeltern noch ähnliches erlebt haben.
Ich hätte auch etwas über den Fußball geschrieben, für den man ja auch damals schon fieberte; aber diese Leidenschaft ist erst durch meinen Vater in die Familie gekommen.
Hier siehst Du den kleinen Wolfgang (er ist es tatsächlich!) mit seinem Vater bei einem Spiel von TuRU 1880 in Düsseldorf-Bilk:
An Gabyi:
Noch schlimmer? Oh!
Nun, das waren bei uns kleinbürgerliche Verhältnisse; in den Arbeitervierteln sah es sicher noch anders aus. Vor allem die in Berlin sind ja als katastrophal gut dokumentiert.
Noch schlimmer? Oh!
Nun, das waren bei uns kleinbürgerliche Verhältnisse; in den Arbeitervierteln sah es sicher noch anders aus. Vor allem die in Berlin sind ja als katastrophal gut dokumentiert.
An lugarex:
Ein Zimmer, Klo auf dem Gang. Mit zwei Personen.
Da kommen Erinnerungen hoch. Tatsächlich haben eine Frau und ich für anderthalb Jahre mal so gelebt, die erste Wohnung nach der Abnabelung von meinen Eltern.
Und es war nicht die schlechteste Zeit meines Lebens. Anscheinend sind wir uns darin sogar einig.
Das sagt doch etwas über materielle Ansprüche, oder?
Ein Zimmer, Klo auf dem Gang. Mit zwei Personen.
Da kommen Erinnerungen hoch. Tatsächlich haben eine Frau und ich für anderthalb Jahre mal so gelebt, die erste Wohnung nach der Abnabelung von meinen Eltern.
Und es war nicht die schlechteste Zeit meines Lebens. Anscheinend sind wir uns darin sogar einig.
Das sagt doch etwas über materielle Ansprüche, oder?
@Graeculus
ich lebte in einer kleinen Hafenstadt in SH, da waren das normale Verhältnisse. In Hamburg war das ähnlich zu dieser Zeit. Bei mir war es die reinste Handwerker- und Fischerstraße. Und viele arbeiteten auch in einer Fischräucherei. (Mein Vater ausnahmsweise im Finanzamt).
ich lebte in einer kleinen Hafenstadt in SH, da waren das normale Verhältnisse. In Hamburg war das ähnlich zu dieser Zeit. Bei mir war es die reinste Handwerker- und Fischerstraße. Und viele arbeiteten auch in einer Fischräucherei. (Mein Vater ausnahmsweise im Finanzamt).
Das wußte ich nicht, daß das damals so weit verbreitet war. Wobei ich annehme, daß auch Du die 50er und 60er Jahre meinst.