Der Besuch des jungen Mannes

Text

von  Fridolin

Nein, Kein Anti-Dürrenmatt; einfach nur eine griffige Zeile zum Einstieg.

Schon wie er klingelte, hätte mich stutzig machen sollen. Abends nach sieben, das kommt heutzutage schon mal vor, manche Paketdienste sind ja übereifrig. Aber er klingelte einen Tick zu lange, das gab dem Ganzen etwas unangenehm Forderndes.

Im Nachhinein muss ich sagen, er trug  eine ziemlich perfekte Maskerade. Ein T-Shirt mit großem Aufdruck „Vodafone“, und um den Hals trug er ein Band, an dem so etwas wie ein Ausweis hing, grünlich eingefärbt; das wirkte so dokumentenmäßig. In der Hand hielt er ein eingeschaltetes Tablet, das mich anfunkelte.

Was mich auch stutzig hätte machen sollen: Er hatte offenbar wenig Verständnis dafür, dass ich schlecht höre. Er wirkte eher ärgerlich wegen meiner wiederholten Fragen nach seinem Anliegen, und er sprach einfach irgendwie zu schnell für mich.

Er müsse meinen Router überprüfen, sagte er. Ob er reinkommen dürfe? Ich ließ ihn, und er erkannte das Gerät auf den ersten Blick, aber bei diesem Blick blieb es denn auch. Ob er sich setzen dürfe? Und beschlagnahmte den einzig freien Stuhl ohne Hemmungen für sich.

Was ich denn bezahlen würde? Das ging dann so ein bisschen hin und her. Auf jeden Fall hätte ich zu wenig bezahlt und er müsse das Gerät jetzt sperren.

Als ich ihm sagte, das käme mir alles ein wenig suspekt vor, zeigte er Wirkung. Er meinte, die Tatsache, dass er doch alles über mich wisse, müsse mich doch überzeugen. Aber als ich suspekt zum dritten Mal aussprach, setzte er zum Konter an. Dann sperre er jetzt das Gerät, sagte er, und tippte schwungvoll und mit Genuss auf sein Tablett. Angesichts dessen, dass ich scheinbar cool blieb, trat er zu meiner Erleichterung dann doch die Flucht an, und klingelte jetzt bei der Nachbarin.

Mit flauem Gefühl im Magen überprüfte ich sicherheitshalber dann doch erst mal die Funktionsfähigkeit meines Routers. Im höheren Alter erholt man sich gar nicht so leicht von solchen Erlebnissen.

Hinterher ist man ja immer klüger. So weiß ich jetzt: Ich hätte ihn fragen sollen, ob ich ein Foto von ihm und seinem Ausweis machen darf. Das hätte die Sache deutlich abkürzen können

Satt dessen knabbere ich jetzt an der Frage, wie weit die Verelendung in Deutschland schon fortgeschritten ist, dass Menschen glauben, sich mit solchen Methoden über Wasser halten zu können.



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Kommentare zu diesem Text


 dubdidu (24.09.25, 17:37)
Nun, wäre es ein Dürrenmatt, hätte es sich um einen dir unbekannten Sohn handeln können, der sich an dir rächen will, das wäre auch eine gute Geschichte gewesen. Ansonsten: ja. Solche Betrugsversuche sind leider nicht selten. Ältere Menschen bekommen ja auch öfter WhatsApp-Nachrichten von ihren angeblichen Kindern und Enkeln, die sich in einer Notsituation befinden und ganz schnell Geld brauchen.

 Graeculus (24.09.25, 17:54)
Beunruhigend.

Allerdings bringe ich das nicht mit einer zunehmenden Verelendung in Deutschland in Verbindung; mittels Betrug kommt man leichter und schneller an mehr Geld als durch Arbeit. Das erscheint mir nicht auf die Gegenwart beschränkt.
Ich habe mich auch noch nie gefragt, ob die Leute in den Callcentern der Türkei, die uns mit Schockanrufen und Enkeltrick überziehen, dies aus materieller Not tun.

Erlebt habe ich es mal, daß mich ein Mann auf der Straße, direkt vor meinem Haus, angesprochen hat: er habe im Zug sein Jackett mit Ausweispapieren und Geld hängenlassen. Ob ich ihm mit 50 Mark kurzfristig aushelfen könne? Er werde mir das Geld zurückzahlen.
Daraufhin bin ich hochgegangen und habe mir zu diesem Zweck von meinen Eltern einen Taschengeldvorschuß geben lassen.
Mir ist noch aufgefallen, daß er sich erst auf meinen Hinweis hin meine Anschrift notiert hat.
Nun, ich war ein Kind, und wir reden über die frühen 60er Jahre des verflossenen Jahrhunderts.
Natürlich habe ich nie wieder etwas von dem Mann gehört.
War er verelendet damals?

Aber es war nicht umsonst, denn ich habe aus dieser Erfahrung etwas gelernt. 

Flaschensammler und Bettler sind da doch eher ein Indiz für die gegenwärtige Situation.

 dubdidu meinte dazu am 24.09.25 um 18:05:
Mir ist es mal im Jugendalter in einem ICE passiert, ein Mann brauchte dringend 60 DM, um für seine Fahrradmitnahme einen Aufpreis zu zahlen. Er meinte an der nächsten Station würden ihn seine Mutter und seine Schwester abholen und mir das Geld erstatten. Ich bemerkte schon in dem Moment, als ich ihm das Geld gab, dass er ein Betrüger war: an den geschwollenen Händen und den schwarzen Fingernägeln. Aber ich wagte es nicht, zurückzuziehen.

Allerdings denke ich doch, dass es Menschen, die derartige Betrügereien ausführen, wie auch Drückerkolonnenarbeiter etc. tatsächlich elend geht. Niemand, der einen besseren Job haben könnte, arbeitet in einem solchen Call Center. Das gehört zur Tragik. Die kriminellen Geschäfte sind hierarchisch genauso organisiert wie die legalen, je ärmer du bist desto dreckiger die Arbeit. Die 50 DM waren für dich als Kind ein großer Betrag, aber wie viele Tage konnte ein Erwachsener davon in den 60ern leben? Trotzdem: rührende Geschichte, Graeculus. Hast du deinen Eltern nicht erzählt, wozu du den Vorschuss brauchtest?

Antwort geändert am 24.09.2025 um 18:22 Uhr

 Graeculus antwortete darauf am 24.09.25 um 18:15:
Hast du deinen Eltern nicht erzählt, wozu du den Vorschuss brauchtest?

Doch, ja, und sie haben versucht, mich von meinem Vorhaben abzubringen. Letztlich bin ich heute froh, daß ich mich durchgesetzt habe, denn es war eine wichtige Erfahrung für ein Kind ... die irgendwann einmal nötig ist. Irgendwann muß man mal lernen, daß manche Menschen einen belügen. Wer das nicht berücksichtigt, kann mehr verlieren als 50 Mark. Insofern war das gut investiertes Geld (was ich nicht zynisch meine).

 Graeculus schrieb daraufhin am 24.09.25 um 18:17:
Übrigens gebe ich Dir recht, was die Callcenter angeht. Gut möglich, daß zumindest die Leute am Telephon selbst arme Teufel sind. Und auch diejenigen, die sich hier vor Ort dem Risiko einer Verhaftung aussetzen.

 dubdidu äußerte darauf am 24.09.25 um 18:27:
Ziemlich cool von ihnen, dass sie dich diese für dich wertvolle Erfahrung machen ließen, aber auch eine reife Schlussfolgerung deinerseits. Ich denke immer, die ersten Menschen, die man beim Lügen ertappt, sind die eigenen Eltern, nur um Geld betrügen sie einen eher selten (wobei, wenn sie drogenabhängig sind, womöglich schon).

Antwort geändert am 24.09.2025 um 18:42 Uhr

 Moppel ergänzte dazu am 24.09.25 um 22:07:
kein Wunder, Dieter, dass du so seltsam bist, wenn du nicht mal deinen eigenen Eltern vertrauen konntest... armer Junge. :(

 dubdidu meinte dazu am 24.09.25 um 22:46:
Ach Moppel! Ich erinnere mich noch sehr gut daran, als ich meine Eltern beim Lügen ertappte. Ich war ungefähr vier Jahre alt und entdeckte durch Zufall ein Buch, das ich sofort für meines hielt, zwar konnte ich noch nicht lesen, aber das Design des Verlags und die Zeichnung auf dem Cover sprachen unbedingt dafür. Ich sprach meine Mutter darauf an und sie beharrte darauf, dass es ihr Buch sei und ließ mein Argument, dass es nach Kinderbuch aussehe, nicht gelten. Ein paar Wochen später bekam ich es zum Geburtstag   :D

Ich konnte meinen Eltern allerdings immer und ausnahmslos vertrauen, dass sie mir stets mit dem Interesse und der Bereitschaft begegnen, mich zu verstehen und mir keine Unwahrheiten unterstellen. So haben sie sich auch nie anderen Menschen gegenüber verhalten. Auch nicht im Internet....

 lugarex (24.09.25, 18:22)
herrlich die frechheit! aber ich habe ähnliches ofiziell erlebt, s. auch, dass schon fast ein Monat keine Bilder da am KV erschreinen. Bin schon über ein Monat ohne Internet, Dank den Enkeln habe ich sog.
"Hotspot" benutzen gelernt. Der kann aber -- oder ich kann es nicht! -- kein Scanner u.ä. bedienen. Ich warte, bis ein Techniker kommt und mir den Salat wieder in Ordnung bringt. Nach mehr als 30 J. bin ich so blöd gewesen, dass ich ungewollt den Provider gewechselt habe! Spare zwar 50 CHF, aber muss ich warten auf den Neuen... :(

 Moppel (24.09.25, 22:16)
ich muss lächeln, Fridolin, obwohl es nicht zum Lächeln ist. Denn just heute Mittag standen zwei dieser "Vodafone-Sorte" auch vor meiner Tür. Mein Mann, gutmütig wie du, hatte aufgemacht und wurde in ein Gespräch verwickelt. 
Ich ging dann hin um zu schauen, wer da so intensiv auf ihn einredet.
Solche Typen, genauso aufgemacht wie du es beschreibst.
Ich mag es nicht, wenn jemand ungefragt vor meiner Tür steht und werde dann ziemlich harsch. meinem Mann ist das meistens unangenehm.
Sichtlich unerfreut, sein Verslein nochmals aufsagen zu müssen, sagte auf meine kurze Frage: Was wollen Sie? der Typ: ich will ihren PC optimieren. Sie haben doch Vodafone, Sie sind doch Frau...Bei sowas bin ich sofort auf Alarm. Ich gebe nie Auskünfte vor der Tür oder am Telefon. Hab gesagt: Wir sind optimiert und die Tür zugemacht.
Meine Prämisse, schon als junge Frau: In mein Haus, Wohnung kommt niemand rein, den ich nicht eingeladen oder bestellt habe, oder der von einem Unternehmen schriftlich angekündigt ist.

Es ist gut, dass du die Geschichte geschrieben hast. kann manchen Warnung sein zu mehr Vorsicht.
lG von M.

 Fridolin meinte dazu am 25.09.25 um 07:06:
Herzlichen Dank für die Kommentare und Geschichten, die ihr alle beigetragen habt.
Darauf, dass solche Geschichten Anzeichen der Verelendung sind, bestehe ich, denn aus meiner Arbeit im Strafvollzug weiß ich, wieviel Elend sich dort sammelt. Das Vergnügen am Betrügen bleibt meiner Ansicht nach den sozioökonomisch besser gestellten Kreisen vorbehalten, wo es nicht mehr existenziell ist. Und wo man sich vor Strafe meist auch zu schützen weiß.
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