Der Bouleplatz
Kurzgeschichte zum Thema Andere Welten
von Koreapeitsche
Der Bouleplatz war dicht gerammelt überfüllt. Plötzlich ist ein Bouleplayer mit geballten Fäusten auf einen der Arbeitslosen zugelaufen und hat ihn bedroht, weil ihm die Musik zu laut war. Er sagte unter anderem „das könnte böse für dich enden“. Daraufhin ist der Arbeitslose beleidigend geworden. Dann hat der Bouleplayer mit der Polizei gedroht und sie auch gerufen. Ich weiß aber nicht, was der Bouleplayer der Polizei gesteckt hat, dass die gleich die ganze Straße blockieren mussten. Ich weiß auch nicht, was die später mit dem Arbeitslosen angestellt haben, ob das arme Schwein in die Entnüchterungszelle gekommen ist. Der Bouleplayer war ein hohes Tier.
Der Arbeitslose auf der Bank hat Metal gehört. Ich fand es nicht übermäßig laut. Da ist es im Hochsommer deutlich lauter mit unterschiedlichen Soundquellen und leistungsstarken Boxen. Doch da trauen sich die Boulespieler nicht ultimativ einzugreifen. Der gut gekleidete Bouleplayer wollte einfach etwas Dampf ablassen und einen armen Teufel zur Hölle schicken. Der Vorgang ließ auf schwerwiegende Konflikte schließen, die sich über Monate und Jahre aufgestaut haben und sich jetzt in einer Konfrontation entluden. Vor allem war der Arbeitslose allein und deshalb einfache Beute für den nervösen und aggressiven Bouleplayer.
Der Arbeitslose kann froh sein, dass er nicht tätlich angegriffen wurde, was es dort auch schon gegeben hat. Der Bouleplayer mit seinem Schlapphut und gepflegten Bart schaffte es jedoch, den Arbeitslosen zu triggern und zu verletzen, bis dieser zurückmotzte und erzeugte dadurch erst den Grund, die 110 anrufen zu können. Aber weshalb da nicht der KOD kam, sondern gleich das Polizeiaufgebot, wird wohl das Geheimnis des Bouleplayers und der Polizei bleiben. Allerdings standen gegenüber dem Eingang zur Lessing-Sporthalle an der Goethestraße auch noch zwei große, hellgrüne Fahrzeuge direkt an der Straße hinter der Bank mit dem Arbeitslosen. Ich habe den geschädigten Arbeitslosen seitdem nicht mehr gesehen und hoffe, es geht im gut.
Es ging wirklich ratzfatz. Die Polizei war für einen Sonntagnachmittag ungewöhnlich schnell vor Ort, als sei ein Katastrophenfall ausgerufen worden. Ich drehte in der Zeit eine kleine Runde um den Teich, die gerade mal fünf Minuten dauert, da standen dort längst rund zehn Polizisten vor der Parkbank und der Arbeitslose stand eingeschüchtert im Gebüsch. Es wurde auch nicht mehr geschrien, die Polizisten wirkten entspannt und demütig, jedoch nicht kommunikativ, als wäre ein Trauerfall zu beklagen. Kurze Zeit später war der Arbeitslose spurlos verschwunden und die Polizisten standen weiter im Rudel vor der Bank. Circa 20 Meter weiter links stand eine Gruppe von jungen Südländern, vom Alter her um die 30, die das Geschehen beunruhigt verfolgten. Diese Gruppe war vorher nicht da und hat den Park erst im Verlauf des Polizeieinsatzes mit Straßensperre betreten. Diese jungen Männer äußerten sich negativ über die Polizei als ich vorbei ging, sagten „in der Ausbildung bei den Anwärtern v*gelt jeder mit jedem“. Das fand ich primitiv. Es schien den Herren aber sorgen zu bereiten.
Ich setzte meinen Weg fort und musste am Pulk aus Polizisten vorbei.
Die laute Heavy Metal Musik, die vor wenigen Minuten noch von der Parkbank des Arbeitslosen zum Bouleplatz herüberschallte und den Mann mit dem Schlapphut zur Raserei brachte, war längst verstummt. Stattdessen herrschte Friedhofsruhe, abgesehen von den lauten Klackgeräuschen beim Aufeinanderprallen der metallenen Boulekugeln, die auch nicht ohne waren und die Kanada- und Ringelgänse stärker irritierten und desorientierten als die Heavy Metal Musik. Sie zuckten zusammen.
Die vielen älteren Herren und die ein oder zwei Frauen, die auf dem Bouleplatz weiter ihr Boulespiel spielten, ignorierten das Geschehen an der Parkbank weitestgehend und beließen es bei kurzen, schnellen Blicken in Richtung des Polizeirudels. Ich sah schon, dass der Arbeitslose als Buhmann dastand, obwohl der Bouleplayer mit dem Schlapphut, der jetzt weiter Boule spielte, einen entscheidenden Anteil zur Eskalation beitrug. Deshalb ließ ich es mir nicht nehmen, den kräftigen Polizisten en passant zu sagen, dass der Boulespieler den Arbeitslosen bedroht und sich sogar schreiend zu ihm auf der Parkbank runtergebeugt hat, um ihn einzuschüchtern. Da sei es doch kein Wunder, dass dem Arbeitslosen die Nerven durchgingen, auch wenn dessen darauffolgende rüde Beleidigungen durch nichts zu entschuldigen sind. Doch in ihrer Voreingenommenheit ignorierten die Polizisten meine Eingabe. Sie waren vom Boulespieler regelrecht auf Spur gebracht. Keiner der Polizisten war älter als 30. Keiner wollte die Rolle des Bouleplayers hinterfragen. Keiner hatte ein offenes Ohr für meine Schilderungen. Alle hatten einen ausrasierten Nacken. Als ich jedoch Richtung Gebüsch blickte, in dem eben noch der Arbeitslose wie ein gehetztes Tier stand, befand sich dort niemand mehr. Entweder hat die Polizei ihn ohne weitere Konsequenzen gehen lassen, was in unserer Polizeigarnisionsstadt eher unwahrscheinlich ist, oder sie haben ihn lautlos festgesetzt und abtransportiert, vielleicht mit einem modernen Schmerzgriff aus der asiatischen Kampfkunst, der einen Notwehrschrei nicht mehr zuließ. Er ist jedenfalls seit diesem Moment spurlos verschwunden und ward nicht mehr gesehen. Falls jemand etwas zum Verbleib des Arbeitslosen berichten kann, so möge er es hier bitte kundtun.
Als ich mich daraufhin vom Einsatzort entfernte und auf die Goethestraße kam, sah ich, dass ebendiese Straße immer noch durch drei sogenannte Polizeiwannen blockiert war. Diese drei Fahrzeige standen hier ganz verwaist. Trotz der verdunkelten Scheiben war ersichtlich, dass sich darin niemand mehr befand. Diese Straßensperre befand sich an einem neuralgischen Punkt der Fahrradstraße, durch die natürlich auch Autos fahren dürfen, was jetzt nicht mehr möglich war. Während Autos hier nicht mehr durchkamen, war es für Fahrradfahrer nur unter größter Vorsicht möglich, sich an den Fahrzeugen vorbeizuzwängen, ohne sie zu tuschieren. Die in Kiel ansässigen Lastenfahrräder wären hier nicht mehr vorbeigekommen und hätten über den Bürgersteig oder die Pram-Route ausweichen müssen, was wiederum eine Gefahr für Fußgänger, spielende Kinder und Kinderwagen bedeutete. Hier standen kein Polizist und keine Ordnungskraft, um zu erläutern, weshalb sich in unserem Kiez eine unbewachte Straßensperre befand. Es war nicht mal ein Schild mit einem Hinweis auf den Polizeigroßeinsatz aufgestellt oder eine Aufforderung, einen Umweg zu nehmen. Die Straßensperre dauerte mindestens 20 Minuten und wurde auch nicht im Radio im Verkehrsfunk kommuniziert oder auf den von der Polizei bevorzugten sozialen Medien wie Tik Tok. Polizeidrohnen wurden nicht gesichtet, auch kein Polizeihubschrauber wie in der Vergangenheit in Kiel-Friedrichsort bei Einbrüchen durch albanesische Jugendliche in Keller von Miethäusern. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass es um einen renitenten Arbeitslosen und Heavy Metal Fan ging, wäre ich bei dem Szenario mit der verlassenen Straßensperre von einer Messerattacke oder Schlimmeres ausgegangen. Auch das hätte über Tik Tok oder RSH kommuniziert werden können, dass keine Gefahr durch Messerattentäter bestand. Entsprechend verwaist war der Bereich um den Mmhio-Parkplatz, obwohl es Sonntag und gutes Wetter war. Wahrscheinlich sind Spaziergänger schutzsuchend umgekehrt und haben ihre Kinder in Sicherheit gebracht. Dabei ging es nur um Lärmbelästigung durch Heavy Metal Musik, die streng genommen keine Lärmbelästigung war. Von dem Arbeitslosen fehlt nach wie vor jede Spur.
Ich lege Wert darauf zu betonen, dass der Arbeitslose lediglich Heavy Metal hörte und nichts anderes. Es war moderner Heavy Metal und kein 80er Heavy Metal, also keine Metal-Klassiker, wie sie früher in der Bergstraße und im Radio liefen. Stattdessen durchweg unbekannte Sachen. Die Schar der Boulespieler stellte einen sauberen Querschnitt der Kieler Oberschicht dar, alles gut situierte, kerngesunde, bestens gekleidete Beamte aus der Stadt- und Landesverwaltung teils in Ministerien beschäftigt, teils Studienräte, teils hoch berentet. Während die große Wiese des Parks wie leergefegt war, tummelten sich hier die Boulespieler auf engstem Raum. So “crowded“ war es jedoch noch nie. Es gilt bei der Bouleszene als Prestige so viele Spiele wie möglich gewonnen zu haben. Damit durfte geprahlt werden. Ein Boulespiel zu verlieren galt hingegen als für einige als Erniedrigung, die Aggressionen freisetzen konnte, die, wenn sich die Chance ergab, an unbeteiligten Parkbesuchern abgelassen werden konnte. Und das schien an diesem Sonntagnachmittag der Fall zu sein.
Als ich am Parkcafé des Hamburger Unternehmers vorbeikam, stellte ich fest, dass die meisten Besucher, die während meiner ersten Runde, als der Streit akut war, noch auf der Terrasse am Fast-Food-Schalter saßen, das Café und den Park verlassen hatten. Der Grund kann nur der Polizeieinsatz und die Angst vor einer weiteren Eskalation gewesen sein. Bei meiner ersten Runde glotzten die Besucher zwar noch amüsiert zum Ort des Geschehens, aber als die vielen Uniformen eintrafen zogen sie es vor, ihre Kinder in Sicherheit zu bringen und trafen dabei auf die verwaiste Straßensperre, was die Verunsicherung weiter erhöhte. Überhaupt war es inzwischen unwirtlich still im Park, irgendwie geisterhaft wie in einem Hitchcock Thriller, denn die Vögel schienen nicht zu singen und es war obendrein windstill. In der Ferne war nur noch das metalische Klacken der Boulekugeln zu vernehmen, keine Gespräche, keine WLAN-Boxen, kein Partygekreische.
Meiner Ansicht nach war der Schlapphutträger der erste, der eine Straftat beging, indem er in rechter Rumpelstilzchenmanier radikal und übergriffig auf den Arbeitslosen einwirkte, während das Abspielen von Heavy Metal Musik im Park per se keine Straftat darstellten sollte. Als ich mir schlussendlich die Parkpositionen der Autos näher ansah, kam ich zu der Erkenntnis, dass das Auto links zuerst eintraf, da es noch einigermaßen tolerant einparkte. Das zweite Auto stellte sich ganz rechts auf gleiche Höhe, während das Auto in der Mitte, das die Goethestraße komplett blockiert, zuletzt eingetroffen sein muss und in der Eile nicht darüber nachdachte, dass auf diese Weise eine Straßensperre entstand – und somit aus einer Maus ein Elefant gemacht wurde. Deshalb sah ich mich motiviert, ein Foto zu schießen.
Als ich die drei Busse gerade passiert hatte, kamen die Cops zu den Fahrzeugen zurück. Sie wirkten wie eine American Football Mannschaft, die nach einer hart umkämpften Niederlage die Arena verließ. Leicht verwirrt wartete ich einen Moment. Sie stiegen blitzschnell ein. Der größte und kräftigste Polizist war der Beifahrer des dritten Autos in der Mitte der Straße, das als letztes davonfuhr. Bevor er die Tür zuschlug, fragte ich aus vier Metern Abstand, weshalb es die Polizei nicht interessiere, von wem die Straftat ausging, nämlich vom provokativen und übergriffigen Schlapphut. Der Polizist, der aussah wie eine moderne Version Dolf Lundgrens, sagte nur, die Sache ist für uns erledigt. Das letzte Auto war immer noch so positioniert, dass andere Autos nicht vorbeikamen oder nur auf der breiten Pram-Strecke. Wahrscheinlich war der Dolf-Lundgren-Style deshalb so kurz angebunden.
Am liebsten hätte ich den Polizisten noch gesagt, einen alleinstehenden Arbeitslosen und ein Heavy Metal Anhänger, der im Park seine Freizeit verbringt, in der Art und Weise anzugehen und zu erniedrigen, dass er sich danach fühlt wie ein „unnützes Stück Sche*ße, ist meiner Ansicht nach sogar eine Sexualstraftat. Jetzt warte ich auf eine Retourkutsche des Schlapphuts und seiner Boulekollegen, wenn ich das nächste Mal am Bouleplatz vorbeigehe. Oder es triff einen anderen Arbeitslosen.
ENTWARNUNG: Inzwischen ist der Arbeitslose, der ursprünglich aus dem Kurort und Segelparadies Bad Schilksee stammt, wieder aufgetaucht. Er ist also nicht einkassiert und „weggesperrt“ worden. Ich traf ihn in der Innenstadt im Bahnhofskiez. Dort stand er an der Ampel vis-a-vis zur Parteizentrale der CDU. Die Ampel zeigte gerade Rot. Bevor sie wieder auf Grün runtersprang, sprach ich ihn an und befragte ihn zu dem Tumult im Park sechs Tage zuvor. Er sagte, dass er den Aufforderungen der Beamten, die ihn umringten, umgehend nachkam und sofort die Heavy Metal Musik ausstellte, die der Schlapphut auf dem überfüllten Bouleplatz als stark störend empfand, weshalb der Mann so überzeugend die Polizei herbeizitierte. Darüber hinaus verlangte der federführende Beamte, dass er die Bank zu räumen habe, um sich eine andere Bank zu suchen. Doch das wollte der Arbeitslose nicht, zumal die Heavy Metal Musik längst verstummt war. Als die Beamten weiter auf ihn einwirkten, die Bank zu räumen, erhob der Arbeitslose sich und war im Begriff diesen Korridor des Parkes zu verlassen. Da gab der Beamte ihm trotzdem einen Platzverweis, was bedeutete, dass er den Park per se zu verlassen habe. Als der Druck der Einsatzkräfte weiter anwuchs, ließ er sich ins Gebüsch abdrängen, wo ich ihn noch stehen sah, als ich mich auf dem Pfad den Turbulenzen näherte. Der Arbeitslose wollte den Platzverweis offensichtlich wegverhandeln, was die Polizei nicht duldete. Es wurde auch nicht kommuniziert, was langfristig mit Platzverweis gemeint sei, und ob es auch die im Park seit über 20 Jahren ansässige Gastronomie des Hamburgers betrifft, ob der Platzverweis nur für diesen Sonntag galt oder sogar für immer oder nur, wenn anständiges Freizeit-Boule gespielt wird. Es kam sogar noch einmal der Schlapphut hinzu, als das Platzverbot ausgesprochen war, und bot dem Arbeitslosen eine Entschuldigung an, die der Arbeitslose annahm. Doch trotz dieser Entschuldigung, des zuvor sehr forsch agierenden Schlapphutes, bestand die Polizei auf dem nicht weiter definierten Platzverbot. Erst danach schickte sich die Polizei an, die Straßensperre in der Goethestraße Ecke Lessingplatz Höhe Mmhio-Firmenwagenparkplatz aufzulösen.
Der Arbeitslose sagte mir noch, er lasse sich von den Leuten wie der Bouleplatz-Szene nicht das Recht nehmen, seine Freiheiten zu genießen oder eine Familie zu gründen. Er will sich nicht überall schlecht behandelt lassen. Er will sich nicht länger als „Untermensch“ demütigen lassen. Er bezeichnete unser Gespräch an der Ampel als „Interview“. Danach ging er über die grüne Ampel weiter geradeaus Richtung Kreuzung Hummeltittchen.
Im Nachhinein würde mich interessieren, was der genaue Text des Notrufs war. Die 110 Leitstelle muss den Notruf ja noch abgespeichert haben. Wie muss ein Notruf vorgetragen sein, dass die laute Heavy Metal Musik einer einzigen Person drei Polizeiwannen erforderlich machte (prae-profiling)? Dachte der Schlapphut, dass er es mit Bruce Lee oder mit dem Präsi eines gefürchteten Motorradclubs zu tun hat oder mit den kieler Kneipenterroristen? Werden da nicht Steuergelder verschwendet, wenn die Polizei ein ganzes Rudel entsendet? Was heißt das für die Zukunft? Darf im Schrevenpark keine Musik mehr gespielt werden, wenn Schlapphüte und Aluhüte Boule spielen? Hat der Schlapphut wirklich angeordnet, dass eine einzelne Polizeiwanne zu wenig sei oder dass von dem Arbeitslosen eine Gefahr für Leib und Leben ausgehe? Sind wir alle längst mit Fotos in einer Schrevenpark-Datei – geordnet nach Asozialen, Homosexuellen, Drogenabhängigen, Staatsfeinden, Kommunisten?
Kommentare zu diesem Text
Und Aluhuete spielen mit Schlapphüten boule?
Ansonsten: krass wie einfach es ist, Leute mit Staatsgewalt zu drangsalieren

lg
Maroon