Der besondere Moment

Erzählung zum Thema Momente

von  Triton

Es war an einem kalten, klaren Sonntagmorgen im Winter, die Natur lud regelrecht zu einem Spaziergang ein. Auch ich war diesem Ruf gefolgt, entgegen meiner sonstigen Gewohnheit, da ich bei Kälte nur gezwungenermaßen meine Wohnung verlasse.
Lieber mache ich es mir bei einer Kanne Tee und einem guten Buch auf der Couch bequem, unter Umständen noch in eine warme Decke gehüllt und in Gesellschaft meines Katers, der diese Zeit ebenfalls sichtlich geniest.

Was mich an diesem Morgen trotzdem dazu veranlasst hat, mich in warme Kleidung zu hüllen und zum See raus zu fahren weiß ich nicht zu sagen. Wasser ist fast immer mein Ziel, wenn ich die Natur aufsuche um meinen Gedanken nachzuhängen und etwas Luft zu schnappen. Obwohl es klirrend kalt und deutlich unter 0 Grad war an diesem Tag, war der See noch nicht zugefroren, denn die letzten vergangenen Tage waren noch sehr mild. Erst jetzt hatte der Winter es sich überlegt und war sozusagen über Nacht machtvoll ins Land gezogen. Das Umrunden des Sees würde bei etwas strammerem Schritt etwa eine dreiviertel Stunde dauern. Gerade genug für einen Morgenspaziergang, denn es war noch recht früh und ich war allein am See, niemand war zu sehen. Ich liebe solche Momente, erlauben sie einem doch manchmal etwas Besonderes zu entdecken oder zu erleben.
Doch ist so etwas im Winter weniger zu erwarten, zu wenige Tiere sind in dieser Zeit aktiv, jedoch sollte ich mich an diesem Morgen täuschen in dieser Annahme.

Nachdem ich den See halb umrundet hatte kam ich an einen Zaun, hinter dem wie ich wusste ein weiterer kleiner See liegt, der jedoch abgesperrt ist weil dort noch aktiv Kies gebaggert wird. In den Zaun hatten (wahrscheinlich) Jugendliche ein Loch geschnitten, vielleicht aus Neugier, Abenteuerlust oder um ungestört baden oder feiern zu können.
Da ich allein und mir durch den schnellen Schritt warm war, erachtete ich die Gelegenheit für günstig, ebenfalls einmal meine Neugier zu befriedigen und einen Blick auf diesen neuen kleinen See zu werfen. Vielleicht wäre er es wert, im Frühjahr einmal betaucht zu werden.
Also kletterte ich kurzerhand durch das Loch und ging durch das winterlich trockene Dickicht zu dem See hin. Ruhig und friedlich lag er da, das Ufer kaum bewachsen, überall Spuren von geschäftiger Nutzung durch die Männer des Kieswerks. Auch meine Annahme bestätigte sich, dass hier wohl Jugendliche gefeiert hatten. Reste eines Lagerfeuers waren zu erkennen, drum herum Zigarettenschachteln, Bierdosen und zerschlagene Alkopops Flaschen. Bei allem Verständnis für eine nette Feier in freier Natur, kann ich diese Unart nicht nachvollziehen, überall den ganzen Dreck liegen zu lassen.

Während ich darüber noch sinniere, werde ich plötzlich von einem schlagenden Geräusch aufgeschreckt, wie ich es noch nie zuvor gehört habe. Ich sehe mich um, um die Quelle dieses Geräusches zu lokalisieren, das vollkommen gleichmäßig ist und zunehmend lauter wird. Und plötzlich erkenne ich etwas großes durch die Luft fliegen, das von der anderen Seite des Sees kommt und direkt auf mich zuhält. Während ich gebannt beobachte wird mir klar, was da eben mit mächtigem Flügelschlag ganz langsam an Höhe gewinnt. Einer der Schwäne, die häufig an diesen Seen anzutreffen sind, erhebt sich mühsam in die Lüfte. Ab und an habe ich mal einen aus dem Wasser starten sehen, was wahrhaftig ein Schauspiel ist. Nur war das meist aus größerer Entfernung und untermalt von allerlei anderen Geräuschen: Verkehrslärm oder Kindergeschrei zum Beispiel.

Doch in dieser Stille ist es ein unbeschreiblicher, besonderer Moment. Der Flügelschlag klingt kraftvoll und dennoch geschmeidig, und als der Schwan näher kommt und seine anmutige Gestalt keine zwei Meter entfernt knapp über mir hinwegfliegt, kann ich den Luftzug spüren, den seine mächtigen Flügel verursachen, und sehe das Muskelspiel dieses Wesens, den langen Hals nach vorn gereckt.
Ich kann nicht sagen, wie lange ich noch da stand, der Schwan war bereits verschwunden und mit ihm das Geräusch seiner Kraft. Dennoch schienen meine Augen immer noch diesen Anblick aufzusaugen, wieder und wieder dieses Bild über den See zu projizieren, bis es sich unauslöschlich in meine Erinnerung eingebrannt hatte.

Andächtig verließ ich den See, mich fragend, ob dies nur ein Zufall war, oder ob irgendwo in meinem Inneren mich etwas dazu veranlasst hatte, gerade an diesem Morgen zu dieser Zeit an diesem Ort zu sein.

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Kommentare zu diesem Text

Engel79 (34)
(28.01.05)
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 Triton meinte dazu am 28.01.05:
Hallo Engel79, freut mich sehr, daß es Dir gefallen hat und Du Dich fast hineinversetzen kannst. Danke für die netten Wünsche. LG Triton
Fidibus (47)
(28.01.05)
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 Triton antwortete darauf am 28.01.05:
Hallo Fidibus, es freut mich, Dich nun auch für ein wenig längere Texte begeistert zu haben. Auch daß ich eine Erinnerung wecken konnte empfinde ich als Erfolg.
Ich habe inzwischen einen Platz entdeckt, an dem tagsüber eine Menge Schwäne anzutreffen sind, vor allem im Sommer. Dort ist es in der Abenddämmerung möglich, Schwäne starten und fliegen zu sehen. Ein Ort, den ich ab und an aufsuche, weil es immer aufs neue begeistert. LG Triton
Marshall (28)
(30.01.05)
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 Triton schrieb daraufhin am 30.01.05:
Danke Marshall, es freut mich, daß Dir diese Erzählung gefallen hat. Leider stimmt es, daß viele Menschen manche Schönheit nicht bemerken, wenn sie ihr begegnen. Auch vielen Dank für Deine Anregung, ich habe sie bereits übernommen. LG Triton
ODIN (41)
(03.02.05)
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 Triton äußerte darauf am 03.02.05:
Danke für das Kompliment, ODIN. Wenn Du Dich in die Szene hineinversetzen kannst und es vor Dir siehst, dann bin ich zufrieden. Danke fürs Lesen und den tollen Kommentar. LG Triton
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