„Moni? Bist du es?“, fragte sie mich, als ich sie begrüßte.
„Nein, ich bin es doch, Peter“, erkennst du mich denn nicht?“, fragte ich sie, während ich sie traurig anlächelte.
„Doch, du bist es, Moni“, antwortete sie und lächelte ebenfalls, aber es war ein glückliches Lächeln. Ich hatte keine Ahnung, wer diese Moni war, sie sprach die vergangenen Male bereits immer von ihr und rief ständig ihren Namen. Aber sie hatte mich immer noch irgendwie erkannt, auch wenn sie nicht immer meinen Namen wusste. Aber nun hielt sie mich für jemand anderen.
Ich nickte nur traurig. Ob ich traurig aussah oder nicht, sie würde es wahrscheinlich sowieso nicht merken.
„Frau Zimmer, es ist Zeit für Ihre Medizin“, sprach die Krankenschwester, die das Zimmer betrat, zu ihr.
Ich sah zu, wie sie den Mund aufmachte, als die Krankenschwester ihr die Tablette dahin hielt und wie sie sie mit einem Schluck Wasser herunter spülte. Dabei war ihr Blick so leer. Ich hatte Tränen in den Augen.
„Das ist Moni“, sagte sie zur Krankenschwester und zeigte dabei auf mich.
„Sie erkennt mich nicht mehr“, sagte ich leise zur Krankenschwester.
„Das tut mir leid“, sagte diese mitfühlend.
Vor zwei Jahren hatte es angefangen, dass sie vergesslich wurde. Mal war es, dass sie den Herd anmachte, um zu kochen und es anschließend vergaß. Dann verlegte sie ständig ihr Portemonnaie oder ihre Schlüssel und wusste nie, wo sie sie hingelegt hatte. Anfangs hatte noch niemand Verdacht geschöpft, wie auch, sie war ja erst 38. Darüber gescherzt hatten wir noch, es hätte ja jedem passieren können. Schließlich war ich auch schon mal in Pantoffeln aus dem Haus gegangen und zur Arbeit gefahren.
Kurze Zeit später kam es dann einmal vor, dass sie den Tisch deckte und mir zwei Gabeln und sich selbst zwei Messer hinlegte. Da sie aber im nächsten Moment merkte, was sie falsch gemacht hatte, lachten wir wieder.
Doch als sie eines Nachts die Nachttischschublade mit der Toilette verwechselte und es in dem Moment nicht begriff und sich auch am nächsten Morgen nicht mehr dran erinnern konnte, wusste ich, dass etwas nicht in Ordnung war und überredete sie, einen Arzt aufzusuchen. Ich vermutete damals noch einen Hirntumor.
Nachdem der Neurologe sie gründlich untersucht hatte und einige Tests mit ihr durchgeführt hatte, stellte er die Diagnose: Alzheimer.
„Aber das ist doch nicht möglich“, sagte ich. „Sie ist doch erst 38.“
„Nun diese Krankheit ist in dem Alter nicht üblich, aber trotzdem nicht ausgeschlossen. Es sprechen alle Anzeichen dafür. Es tut mir wirklich sehr Leid, dass ich keine besseren Nachrichten für Sie habe“, sprach der Arzt.
Ich stellte zu Hause tagsüber eine Haushälterin ein, die auf sie aufpasste, da ich aufgrund meiner Arbeit immer erst abends nach Hause kam. In meinem Job als Manager war das leider nicht anders möglich. Und ich wollte sie nicht allein lassen, auch wenn sie soweit noch bei klarem Verstand war.
Die Krankheit schritt fort, ihr Gedächtnis ließ immer mehr nach, zwischendurch fielen ihr auch einige Begriffe nicht mehr ein, eine Zahnbürste z.B. war dann „das Ding für den Mund“. Zwischendurch kam es vor, dass sie angezogen duschte.
Aufgrund aufgetretender Weglauftendenz musste ich sie vor einem halben Jahr in ein Heim einweisen.
Und nun wusste sie nicht mehr, wer ich war. Sie war noch so jung, inzwischen gerade Mal 40. Ob sie mich zwischendurch noch mal wieder erkennen würde? Es würde immer schlimmer werden, irgendwann würde sie nicht mehr sprechen können, sondern nur noch vor sich hin vegetieren.
Und wer war diese Moni, nach der sie die vergangenen Male immer gefragt hatte und für die sich mich nun offensichtlich hielt?
Eigentlich wusste ich viel zu wenig von ihr.
Schon zu Beginn unserer Ehe war ich kaum zu Hause, weil ich geschäftlich ständig unterwegs war, ich war viel auf Reisen und selbst wenn ich nicht auf Reisen war, kam ich oft erst nach 20 Uhr nach Hause. Einen Workaholic hatte sie mich immer genannt. Sie hatte immer wieder bedauert, dass ich so selten zu Hause war. Und wenn ich am Wochenende zu Hause war, verbrachte ich die Zeit damit, mich von der Arbeit auszuruhen, anstatt mit ihr etwas zu unternehmen. Wie oft hatte ich ihr versprochen, mit ihr in den Urlaub zu fahren und wie oft waren wir tatsächlich zusammen verreist.
Kinder hatte sie sich immer so sehr gewünscht, aber was hätten die Kinder von einem Vater, der nie zu Hause war.
„Ich weiß gar nicht wirklich, wer du bist, ich kenne dich eigentlich kaum“, hatte sie einmal zu mir gesagt.
An diesen Satz dachte ich gerade auch. Sie hatte Recht, sie konnte mich auch kaum kennen, erst jetzt wurde es mir bewusst. Hätte ich mit ihr mehr Zeit verbracht, wüsste ich wahrscheinlich auch, wer diese Moni war.
Es war kein Wunder, dass sie sich nun nicht mehr an mich, ihren eigenen Mann erinnerte. Ich bin ein Typ zum Vergessen.